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Harry St. John Philby - NATIONAL GEOGRAPHIC
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Harry St. John Philby

Mal als Agent der Briten, mal als Berater des Königs Ibn Saud, mal als exzentrischer Forscher durchquert Harry St. John Philby die Wüsten Arabiens. Er konvertiert mit 45 Jahren zum Islam – und verknüpft die Politik mit dem Geschäft.

Mit Harry St. John Philby ist es wie mit der Geschichte von der Henne und dem Ei. Die Politik macht ihn zum Forscher. Als Forscher macht er Politik. Am Ende ist nicht mehr so recht klar, was Ursache und was Wirkung ist. Nur ein Eigenbrötler und Egoist, Extrovertierter und Exzentriker kann all die Händel und Strippenziehereien, in die er gerät, auch noch genießen.

Wie so oft bei großen Briten beginnt das Leben in geordneten Bahnen. Philby wird 1885 als Sohn einer Teepflanzerfamilie auf der Insel Ceylon (Sri Lanka) geboren. Am berühmten Trinity College der Universität Cambridge studiert er klassische und moderne Sprachen, darunter Persisch und Arabisch ebenso wie Hindi und Urdu – zwei der wichtigsten Sprachen, die in Britisch-Indien gesprochen werden. Dort tritt er 1908 in den diplomatischen Dienst der Kolonialmacht ein. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wird es spannend in Philbys Leben.

Die Regierung schickt ihn als politischen Agenten in den Nahen Osten. Dort wollen die Briten dem mit Deutschland verbündeten Osmanischen Reich von der asiatischen Seite her den Todesstoß versetzen. Mit Waffen und Geld versucht ihr Geheimdienst, arabische Herrscher zum Aufstand gegen den türkischen Sultan anzustacheln, dessen Truppen noch immer in Arabien und Mesopotamien stehen, Syrien und den Libanon, Palästina und Transjordanien besetzt halten. Das ist das Feld, auf dem sich einer wie Philby bewähren kann.

Um die Türken aus Arabien zu vertreiben, lassen sich die Briten mit den beiden starken Männern der Halbinsel ein, die zwar beide gegen die Osmanen kämpfen, ansonsten aber Rivalen um die Macht für die Zeit danach sind. Scherif Husain I. Ibn Ali ruft sich 1916 zum König von Hedschas mit der Hauptstadt Mekka aus. Der Beduinenfürst Abd al-Asis III. Ibn Saud, der in Riad residiert, vergrößert sein Herrschaftsgebiet schon seit 1902 durch Kriegszüge gegen andere Stämme.

Um den Kontakt zu Ibn Saud zu intensivieren, bricht Philby 1917 von Bagdad aus zum Marsch nach Riad auf. Zu seinem Team gehören Oberst Hamilton und der schottische Adjutant Schofield. Von Bahrain im Persischen Golf segeln sie an die arabische Küste. Zu ihrer Ausrüstung gehören Gewehre und Karten, Funkgeräte, Fotoapparate und 10000 Pfund in Gold. Das dritte Mitglied der Mission, der Orientalist Cunliffe-Owen, schlägt sich von Kuwait auf dem Landweg durch.

Von Ukair aus reiten die Briten auf Kamelen durch die Wüste. Philby lernt schnell, nach Beduinenart Reis und Hammelfleisch mit den Fingern in den Mund zu schaufeln, ohne dass sie die Lippen berühren. Er liebt die sternenklaren Nächte und die Geschichten am Lagerfeuer. In Al-Hufuf, der größten Stadt in Ibn Sauds Herrschaftsgebiet, besteht der Gouverneur darauf, dass alle arabische Kleidung tragen. Die Briten wollen aus Angst vor der Sonne auf ihre Tropenhelme nicht verzichten, so ziehen sie die Kopfbedeckung der Einheimischen einfach drüber. Fünf Tage nach ihrer Abreise aus Hufuf kommen sie in Riad an.

Der junge, stolze Herrscher, den Philby dort trifft, fasziniert ihn vom ersten Augenblick an. Ibn Saud und er werden Freunde. Der Beduine beschwert sich, dass ein anderer Agent, der ihn vom Königreich Hedschas aus besuchen sollte, durch Scherif Husain offensichtlich festgehalten werde. Philby bietet an, das in Ibn Sauds Sinn zu regeln, wenn er Kamele und Geleit dorthin bekomme. Am 9. Dezember 1917 bricht Harry St. John Philby mit 30 Mann Eskorte und einem Vorrat an Chinintabletten, Tabak und Brandy auf. Seinen Vorgesetzten in Kuwait, Jercy Cox, informiert er von seinem Plan. Eine Antwort von ihm wartet er jedoch nicht ab.

Die Briten sind wütend, dass ihr Mann in der Wüste auf eigene Faust Politik betreibt. Seine drei Begleiter haben sich, aus Zorn über den Selbstdarsteller, ohnehin schon wieder auf den Rückweg nach Kuwait gemacht. Aber London ist weit, und mit jedem Tag in diesem wilden Land rückt es noch ein Stück weiter weg. «Fortan», schreibt Philby später, «war ich bei meinen Wanderungen in Arabien allein.»

Die Dünen, die Beduinen, die nächtlichen Feuer – Philby ist der Wüste nun völlig verfallen. Er schreibt von «Erinnerungen, die Worte nicht beschreiben können noch die Zeit wegwischen kann». Als erster Europäer durchquert Philby die Nefud und die Nedschd und damit die ganze Arabische Halbinsel. Weihnachten 1917 hält er Einzug in der hoch gelegenen Stadt Taif, wo der Scherif in den besonders heißen Monaten residiert. Philby hat – das war seine Absicht – demonstriert, dass man im Auftrag von Ibn Saud durch ganz Arabien kommt.

London aber zögert noch immer, ganz auf Ibn Saud zu setzen. Stattdessen richten die Briten in Hayil ein Emirat als Pufferstaat zwischen dessen Herrschaftsgebiet und dem des Scherifen ein. Philby wettert öffentlich über die Politik, die Araber möglichst klein, schwach und in sich zerstritten zu halten. Was London tue, sei «ein subtiler Verrat des britischen Versprechens an die Araber von einer echten Unabhängigkeit ». Harry St. John Philby quittiert seinen Dienst und bietet Ibn Saud an, ihm als politischer Berater bei dessen Feldzügen zur Seite zu stehen. Der schätzt ihn zwar, will aber keinen Christen bei seinen Kämpfern haben. So stellt sich Philby erst mal Emir Abdallah, einem Sohn des Scherifen von Hedschas, zur Verfügung, der nach der Kairoer Konferenz 1921 Transjordanien zugesprochen bekommt.

Ibn Saud dehnt derweil Stück um Stück sein Reich aus. 1921 fällt Hail, 1924 Taif. In Mekka bricht Panik aus, Husain flieht nach Dschidda, doch schon die eigenen Leute stellen sich gegen ihn. Er muss abdanken zugunsten seines Sohns Ali, der aber regiert auch nur ein Jahr. 1926 ruft sich Ibn Saud zum König von Hedschas aus. Es dauert noch sechs Jahre, dann hat er alle Wüstenstämme endgültig unterworfen. Es wird die Geburtsstunde des Königreichs Saudi-Arabien sein.

Philby kehrt nach Riad zurück. Er baut dort eine Handelsagentur auf, die die ersten Autos, Radios und Waschmaschinen vom Westen in den Beduinenstaat importiert. Er konvertiert 1930 zum Islam und macht die übliche hadsch nach Mekka. Er verwirklicht endlich seinen Traum, Ibn Saud als Berater dienen zu dürfen – der Monarch ist vermutlich der einzige Mensch, den er vollends respektiert.

Sein letzter großer Plan ist ein Kamelritt in die Wüste Rub al-Chali, ins „Leere Viertel“, das größte zusammenhängende Sandmeer der Welt. Noch nie hat es vor ihm ein Europäer betreten. Sein Landsmann Bertram Thomas kommt ihm zwar um ein paar Monate zuvor, aber auf einer relativ kurzen und leichten Route, wie Philby immer wieder betont. Er selber stößt 1932 von der Oase Dschabrin aus vor, mit 14 Beduinen und 32 Kamelen, denen oft Wassertropfen in die Nüstern geschüttet werden müssen, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Philby lauscht hingerissen den „singenden Sanden“, jenem eigenartigen Dröhnen, das durch das Aneinanderreiben von Millionen wehender Sandpartikel entsteht. Er entdeckt fünf Krater, die durch Meteoriteneinschläge verursacht wurden. Nach einer fast 3000 Kilometer langen Wanderung ist er in der Zivilisation zurück. Dennoch hat er nur den westlichen Abschnitt des „Leeren Viertels“ durchquert. Der größte Teil der Wüste, ein paar 1000 Kilometer mehr, warten nach wie vor auf seine Erforschung. Philbys Landsmann Wilfred Thesiger wird es 15 Jahre später tun.

Philby erlebt, wie der Ölboom in Saudi-Arabien ausbricht. Wie das Land der stolzen Stämme, das er liebte, sich in ein Land der Luxusprinzen verwandelt. Bald wird Philby in Riad nicht mehr gebraucht. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, geht er nach England. Weil er aber die britische Politik wieder mal so heftig kritisiert hat, dass selbst der Hitler-Freund Mussolini seine Äußerungen in Italien drucken lässt, wird er festgenommen und zusammen mit Nazis und Pazifisten in ein Lager gesteckt.

Das Kriegsende bringt die Freiheit. Ibn Saud lässt ihn wieder als Berater nach Riad kommen. 1953 stirbt der Saudi-Herrscher, Philby sieben Jahre später in Beirut. Auf dem Grab lässt sein Sohn Kim die Inschrift „Größter Entdecker Arabiens“ anbringen. Er setzt die Tradition des Vaters, der einen Privatkrieg mit London führte, auf typische Philby-Art fort. Er wird als berühmter Doppelagent in die Geschichte eingehen.

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