Der Klimawandel – und die Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte sich aktuell in drei Fällen mit dem Klimawandel zu befassen. In allen drei Fällen liegen nun die Urteile der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs vor. Der einzig erfolgreiche der drei Fälle, der Fall der Schweizer KlimaSeniorinnen, postuliert eine Handlungspflicht für die Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), dem Klimawandel entgegenzuwirken:

Der Klimawandel – und die Menschenrechte

Die Kammern des Europäischen Gerichtshofs, denen die Fälle zunächst zugewiesen worden waren, hatten ihre Zuständigkeit zugunsten der Großen Kammer aufgegeben. Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte besteht aus 17 Richtern, darunter der Präsident des Europäischen Gerichtshofs, die Vizepräsidenten, die Vorsitzenden der Sektionen und der nationale Richter; die übrigen Richter werden durch das Los bestimmt. Die drei Rechtssachen wurden alle als vorrangig eingestuft (gemäß Artikel 41 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs). Sie wurden zwar nicht zusammengelegt, aber die Verhandlungen wurden gestaffelt und alle von der gleichen Besetzung der Großen Kammer entschieden.

In dem jetzt verkündeten Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache Verein KlimaSeniorinnen Schweiz u.a. gegen die Schweiz (Antrag Nr. 53600/20) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer Mehrheit von sechzehn Stimmen bei einer Gegenstimme fest, dass eine Verletzung von Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention und einstimmig eine Verletzung von Artikel 6 Absatz 1 (Zugang zu den Gerichten) vorlag. Der Fall betraf eine Beschwerde von vier Frauen und einem Schweizer Verein, dem Verein KlimaSeniorinnen Schweiz, deren Mitglieder allesamt ältere Frauen sind, die über die Folgen der globalen Erwärmung auf ihre Lebensbedingungen und ihre Gesundheit besorgt sind. Sie sind der Ansicht, dass die Schweizer Behörden trotz ihrer Verpflichtungen aus der Konvention keine ausreichenden Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.

I. Die Rechtssache „Carême gegen Frankreich“

Die Rechtssache Carême gegen Frankreich betraf die Beschwerde eines ehemaligen Einwohners und Bürgermeisters der Gemeinde Grande-Synthe, der geltend macht, dass Frankreich keine ausreichenden Maßnahmen zur Verhinderung der globalen Erwärmung ergriffen hat und dass dieses Versäumnis eine Verletzung des Rechts auf Leben und des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellt.

Der Europäische Gerichtshof erklärte die Klage mit der Begründung für unzulässig, dass der der ehemalige Einwohner und Bürgermeister von Grande-Synthe nicht Opfer im Sinne von Artikel 34 EMRK sei, da er weder in Grande-Synthe noch derzeit in Frankreich wohne und keine hinreichend relevante Verbindung mehr zu Grande-Synthe habe.

II. Die Rechtssache „Duarte Agostinho u.a. gegen Portugal und 32 andere“

Die Rechtssache Duarte Agostinho u.a. gegen Portugal und 32 andere betraf die gegenwärtigen und zukünftigen schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels, die die Kläger den beklagten Staaten zuschreiben und von denen sie behaupten, dass sie ihr Leben, ihr Wohlergehen, ihre psychische Gesundheit und die friedliche Nutzung ihrer Häuser beeinträchtigen. Der Europäische Gerichtshof erklärte die gegen Portugal und die anderen Staaten eingereichten Beschwerden zum Thema Klimawandel für unzulässig.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Beschwerdeführer in Portugal keinen Rechtsweg für ihre Beschwerden beschritten hatten, war die Beschwerde der Beschwerdeführer gegen Portugal bereits wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs unzulässig. Die sechs jungen portugiesischen Staatsangehörigen hatten die ihnen in Portugal zur Verfügung stehenden Rechtsmittel nicht genutzt, um ihre Beschwerden einzureichen, und somit die innerstaatlichen Rechtsmittel nicht erschöpft.

Auch die Beschwerde gegen die anderen beklagten Staaten mit Ausnahme Portugals erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für unzulässig. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass es keine Grundlage in der Konvention gibt, die es rechtfertigen würde, die extraterritoriale Zuständigkeit der anderen beklagten Staaten in der von den Klägern vorgeschlagenen Weise im Wege der richterlichen Auslegung auszuweiten. Insbesondere wies der Europäische Gerichtshof das Vorbringen der Kläger zurück, wonach die Kontrolle über ihre „Interessen“ im Rahmen der Konvention als maßgebliches Kriterium für die Begründung der Gerichtsbarkeit im Bereich des Klimawandels dienen sollte. Der Europäische Gerichtshof ist der Ansicht, dass dieses Kriterium zu einem kritischen Mangel an Vorhersehbarkeit in Bezug auf die Reichweite der Konvention und zu einem unhaltbaren Maß an Unsicherheit für die Staaten führen würde. Es würde zu einer unbegrenzten Ausweitung der extraterritorialen Zuständigkeit der Staaten im Rahmen der Konvention und der sich daraus ergebenden Verantwortung gegenüber Menschen praktisch überall auf der Welt führen. Die territoriale Zuständigkeit wurde nur in Bezug auf Portugal festgelegt – in diesem Fall konnte keine Zuständigkeit in Bezug auf die anderen Staaten festgelegt werden.

III. Der Fall „Verein KlimaSeniorinnen Schweiz u.a. gegen die Schweiz“

Der Fall Verein KlimaSeniorinnen Schweiz u.a. gegen die Schweiz betrifft eine Beschwerde von vier Frauen und einem Schweizer Verein, dem Verein KlimaSeniorinnen Schweiz, deren Mitglieder über die Folgen der globalen Erwärmung auf ihre Lebensbedingungen und ihre Gesundheit besorgt sind. Sie sind der Ansicht, dass die Schweizer Behörden keine ausreichenden Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte zunächst fest, dass die vier individuellen Kläger die Kriterien für den Opferstatus gemäß Artikel 34 der Konvention nicht erfüllten und erklärte ihre Beschwerden für unzulässig.

Um den Opferstatus im Zusammenhang mit Beschwerden über den Klimawandel geltend machen zu können, müssen die individuellen Kläger nachweisen, dass sie persönlich und direkt von den Maßnahmen oder der Untätigkeit der Regierung betroffen sind, da die Konvention keine Beschwerden im allgemeinen öffentlichen Interesse (actio popularis) zulässt. Dies hängt von zwei Schlüsselkriterien ab:

  1. Hohe Intensität der Exposition des Klägers gegenüber den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels und
  2. ein dringendes Bedürfnis, den individuellen Schutz des Klägers sicherzustellen.

Das Gericht hat die Art und den Umfang der Beschwerden der einzelnen Kläger und das von ihnen vorgelegte Material, den Grad der Wahrscheinlichkeit und/oder die Wahrscheinlichkeit der nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels in der Zeit, die spezifischen Auswirkungen auf das Leben, die Gesundheit oder das Wohlergehen jedes einzelnen Klägers, das Ausmaß und die Dauer der schädlichen Auswirkungen, das Ausmaß des Risikos (lokal oder allgemein) und die Art der Anfälligkeit der Kläger sorgfältig geprüft. Es stellte fest, dass die vier individuellen Kläger die Kriterien für den Opferstatus nicht erfüllten.

Die antragstellende Vereinigung hingegen hatte das Recht (locus standi), eine Beschwerde über die Bedrohungen durch den Klimawandel im beklagten Staat im Namen derjenigen Personen einzureichen, die wohl behaupten konnten, spezifischen Bedrohungen oder nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben, ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität, wie sie durch die Konvention geschützt sind, ausgesetzt zu sein.

Da der Klimawandel ein gemeinsames Anliegen der Menschheit ist und die Lastenteilung zwischen den Generationen gefördert werden muss, hielt es der Europäische Gerichtshof für angemessen, im Zusammenhang mit dem Klimawandel den Rechtsweg für Verbände zuzulassen. Darüber hinaus wird mit der Zulassung von Verbandsklagen der Tatsache Rechnung getragen, dass die Inanspruchnahme kollektiver Einrichtungen in diesem Zusammenhang das einzige zugängliche Mittel sein kann, um bestimmte Interessen wirksam zu verteidigen. Das Recht einer Vereinigung, im Namen ihrer Mitglieder oder anderer betroffener Personen innerhalb der betreffenden Gerichtsbarkeit zu handeln, unterliegt nicht der gesonderten Anforderung, dass diejenigen, in deren Namen der Fall vorgebracht wurde, selbst die Anforderungen an den Opferstatus von Einzelpersonen erfüllen würden. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass der klagende Verband die entsprechenden Voraussetzungen erfüllte und über die erforderliche Klagebefugnis verfügte, um in diesem Fall im Namen seiner Mitglieder zu handeln.

Damit ein Verband das Recht hat, im Namen von Einzelpersonen zu handeln und eine Klage wegen des angeblichen Versäumnisses eines Staates einzureichen, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um sie vor den schädlichen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben und ihre Gesundheit zu schützen, muss er mehrere Voraussetzungen erfüllen:

  1. Die Vereinigung muss in dem betreffenden Hoheitsgebiet rechtmäßig niedergelassen oder dort handlungsfähig sein.
  2. Sie muss nachweisen können, dass es ihr Ziel ist, die Menschenrechte ihrer Mitglieder oder anderer betroffener Personen in dem betreffenden Hoheitsgebiet zu verteidigen, unabhängig davon, ob sie sich darauf beschränkt oder kollektive Maßnahmen zum Schutz dieser Rechte gegen die Bedrohungen durch den Klimawandel einschließt.
  3. Sie muss nachweisen können, dass sie als wirklich qualifiziert und repräsentativ angesehen werden kann, um im Namen ihrer Mitglieder oder anderer betroffener Personen innerhalb des Hoheitsgebiets zu handeln, die spezifischen Bedrohungen oder nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Wohlergehen, wie sie durch die Konvention geschützt sind, ausgesetzt sind.

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft ihre Pflichten („positive Verpflichtungen“) im Rahmen der Konvention bezüglich des Klimawandels nicht erfüllt hat. Es gab kritische Lücken im Prozess der Einführung des relevanten nationalen Regelwerks, einschließlich des Versäumnisses der Schweizer Behörden, durch ein Kohlenstoffbudget oder auf andere Weise die nationalen Treibhausgasemissionsgrenzen zu quantifizieren. Außerdem hatte die Schweiz ihre Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen in der Vergangenheit nicht erreicht. Der Europäische Gerichtshof erkennt zwar an, dass die nationalen Behörden bei der Umsetzung von Gesetzen und Maßnahmen über einen weiten Ermessensspielraum verfügen, stellt jedoch auf der Grundlage des ihm vorliegenden Materials fest, dass die schweizerischen Behörden nicht rechtzeitig und nicht in angemessener Weise gehandelt haben, um in diesem Fall einschlägige Gesetze und Maßnahmen zu konzipieren, zu entwickeln und umzusetzen.

Unzureichende staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels verschärfen die Risiken schädlicher Folgen und daraus resultierender Bedrohungen für die Ausübung der Menschenrechte – Bedrohungen, die bereits von Regierungen weltweit anerkannt und durch wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigt wurden. In Anbetracht des Kausalzusammenhangs zwischen staatlichen Maßnahmen und/oder Unterlassungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem Schaden oder der Gefahr eines Schadens für den Einzelnen stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass Artikel 8 so zu verstehen ist, dass er ein Recht des Einzelnen auf wirksamen Schutz durch die staatlichen Behörden vor schwerwiegenden nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf sein Leben, seine Gesundheit, sein Wohlergehen und seine Lebensqualität umfasst.

Der Europäische Gerichtshof muss in seiner Rolle als Justizorgan, das mit der Durchsetzung der Menschenrechte beauftragt ist, sicherstellen, dass die Hohen Vertragsparteien ihre Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihren Protokollen einhalten (Artikel 19 – Errichtung des Gerichtshofs). Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner nachteiligen Auswirkungen erfordern gesetzgeberische Maßnahmen sowohl im politischen Rahmen als auch in verschiedenen sektoralen Bereichen. Solche Maßnahmen hängen notwendigerweise von der demokratischen Entscheidungsfindung ab. Das Mandat der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs ergänzt diese demokratischen Prozesse. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass die Schweiz ihren Pflichten („positive Verpflichtungen“) aus der Konvention zum Klimawandel nicht nachgekommen ist. Die Schweizer Behörden hatten in diesem Fall nicht rechtzeitig und in geeigneter Weise gehandelt, um einschlägige Rechtsvorschriften und Maßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen des Klimawandels zu konzipieren, zu entwickeln und umzusetzen.

Außerdem stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass Artikel 6 § 1 der Konvention auf die Beschwerde des klagenden Vereins hinsichtlich der wirksamen Umsetzung der Minderungsmaßnahmen nach geltendem innerstaatlichem Recht anwendbar ist. Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass die schweizerischen Gerichte nicht überzeugend begründet hatten, warum sie es für unnötig hielten, die Begründetheit der Beschwerden des klagenden Vereins zu prüfen. Sie hatten die zwingenden wissenschaftlichen Beweise für den Klimawandel nicht berücksichtigt und die Beschwerden nicht ernst genommen.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 8. April 2024 – 53600/20 u.a.

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