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Corona-Vorgänger Gelbfieber: Immunität als Gottesgeschenk - DER SPIEGEL
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Corona-Vorgänger Gelbfieber Immunität als Gottesgeschenk

Braucht es Immunitätspässe für Menschen, die Corona hinter sich haben? Als das gefährliche Gelbfieber in New Orleans grassierte, wurde ein "Immunitätsbonus" schon im 19. Jahrhundert erprobt. Mit üblen Folgen.
Epidemie in New Orleans: Eine Frau stirbt an Gelbfieber (Bild von 1878)

Epidemie in New Orleans: Eine Frau stirbt an Gelbfieber (Bild von 1878)

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DEA / Biblioteca Ambrosiana/ De Agostini/ Getty Images

Die globale Viruskrise setzt ungewöhnliche Ideen frei. In Deutschland, Italien und Großbritannien wurde nun darüber nachgedacht, ob eine Art "Immunitätspass" geschaffen werden könnte, der allen, die schon Antikörper in sich tragen, freie Beweglichkeit gestattet. In den USA werden solche Vorschläge ebenfalls intensiv diskutiert. Denn wäre es nicht für die von der Rezession geschüttelte Volkswirtschaft nützlich, wenn Menschen, die eine Corona-Infektion überstanden haben, ungehindert ihre Arbeit wieder aufnehmen könnten?

Tatsächlich gibt es für die heutige Situation eine historische Parallele. Im 19. Jahrhundert wüteten Gelbfieber-Epidemien im Süden der USA. Das warme, feuchte Klima dort war ideal für die Stechmücken, die das Gelbfieber-Virus übertragen - eine oft tödliche Gefahr: Etwa die Hälfte aller, die sich ansteckten, überlebten damals nicht.

Die Krankheit begann mit Fieber, Schmerzen und Übelkeit; glücklose Opfer erbrachen zuletzt dickes schwarzes Blut und gingen elend zugrunde. Wer hingegen von der Infektion genas, war für den Rest seines Lebens immun. Da Einwanderer am anfälligsten waren, hieß das Gelbfieber auch "Fremdenseuche". Geheilte wurden entsprechend als "akklimatisiert" bezeichnet.

Massive Gelbfieber-Wellen

New Orleans, die rasant wachsende Hauptstadt des noch recht jungen Bundesstaats Louisiana, wurde von den Infektionswellen besonders stark getroffen. Die Stadt am Mississippi wurde zum pulsierenden Zentrum der Südstaaten und dank ihres Hafens zum Ziel vieler Einwanderer, etwa aus Europa. Zugleich war New Orleans Drehscheibe des Sklavenhandels, der die Plantagenwirtschaft in den Südstaaten am Leben erhielt.

In 60 Jahren trafen 22 Gelbfieber-Wellen die Stadt. Sie forderten insgesamt mehr als 200.000 Opfer und beeinträchtigten massiv das Wirtschafts- und Sozialleben. Allein beim schlimmsten Ausbruch von 1853 kamen etwa 12.000 Menschen um, ein Zehntel der damaligen Stadtbevölkerung. Da die Kranken vor dem Tod häufig ins Koma fielen, wurden manche in panischer Eile noch lebend bestattet.

New Orleans 1878: Gelbfieber-Opfer werden mit der Kutsche zum Friedhof gefahren

New Orleans 1878: Gelbfieber-Opfer werden mit der Kutsche zum Friedhof gefahren

Foto: DEA / Biblioteca Ambrosiana/ De Agostini via Getty Images

Kein Wunder, dass bald alle, die als "akklimatisiert" galten, auf dem Arbeitsmarkt wie auch im gesellschaftlichen Leben weit größere Chancen hatten. Das Überstehen des Gelbfiebers wurde regelrecht zu einer zweiten bürgerlichen "Taufe" - ein Beweis dafür, dass Gott einer Person wohlgesonnen war.

Die Historikerin Kathryn Olivarius von der kalifornischen Stanford University hat kürzlich in der "New York Times" dargestellt, wozu der "Immunitätsbonus" führte. Ohnehin war das damalige New Orleans geprägt von der Trennung zwischen Weißen, fast durchweg freien Bürgern, und Schwarzen, mehrheitlich Sklaven. Zusätzlich aber bildete sich nun auf beiden Seiten noch eine weitere unsichtbare Grenze aus: zwischen den bereits Immunen und den weiterhin vom Gelbfieber Bedrohten.

Absichtliche Ansteckung aus Existenzangst

Schon in der weißen Gesellschaft waren die Folgen gravierend. "Ich habe mich vergeblich nach einer Stelle als Buchhalter umgesehen", klagte in den 1830er-Jahren der deutsche Einwanderer Gustav Dresel. "Aber einen jungen Mann zu engagieren, der nicht akklimatisiert war, wäre eine schlechte Spekulation gewesen." Lebensversicherer lehnten nicht "akklimatisierte" Bewerber rundweg ab oder berechneten eine hohe "Klimaprämie". An der Immunität gegen Gelbfieber entschied sich auch, in welchem Viertel man wohnte und wie viel man verdiente, ob man Kredit bekam und wen man heiraten konnte.

Viele Neuankömmlinge, die unbedingt Arbeit brauchten, versuchten sich sogar absichtlich anzustecken, indem sie in engen Wohnungen beieinander lebten oder in ein Bett sprangen, in dem gerade jemand an Gelbfieber gestorben war. Es waren verzweifelte Versuche, den eigenen Wert auf dem Arbeitsmarkt zu steigern - mit oft tödlichem Ausgang.

Auch für ideologische Kämpfe wurde die bedrohliche Krankheit instrumentalisiert: Befürworter der Sklaverei behaupteten wider besseres Wissen, Schwarze seien von Natur aus gegen Gelbfieber resistent. Deshalb erscheine es geradezu gottgewollt, sie zur Stützung des weißen Wohlstands einzusetzen, beispielsweise in der florierenden Baumwollindustrie.

Tatsächlich war es anders: Sklaven liefen ein deutlich höheres Risiko, am Gelbfieber zu sterben, weil sie erheblich schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung hatten. Wer sich indes glaubhaft als immun darstellen konnte, war auch auf dem Sklavenmarkt deutlich mehr wert.

Was hilft gegen Gelbfieber? Noch mehr Gelbfieber

"Die Kluft zwischen Arm und Reich wurde durch das Gelbfieber größer", schreibt Historikerin Kathryn Olivarius. Für die wohlhabende Oberschicht von New Orleans war es geradezu ein Vorteil, wenn die Sterblichkeit nicht sank, weil Angestellte und Arbeiter dadurch unter Existenzdruck gehalten wurden. Denn obwohl sich die Gelbfiebergefahr weit herumgesprochen hatte, kamen weiter regelmäßig Schiffe mit neuen Einwanderern.

Lokalpolitiker weigerten sich infolge dieser bizarren Logik, Steuergeld für sanitäre Maßnahmen oder Quarantäne bereitzustellen. Das beste Mittel gegen Gelbfieber, behaupteten sie, sei einfach noch mehr Gelbfieber - bis alle immun seien.

Ganz so ruppig argumentiert in der gegenwärtigen Pandemie zwar niemand öffentlich. Zudem hat die Weltgesundheitsorganisation bereits vor "Immunitätspässen" eindringlich gewarnt, vor allem weil Corona-Tests oft unzuverlässig sind und eine dauerhafte Immunität von Menschen, die eine Corona-Infektion überstanden haben, noch nicht gesichert ist.

Aber schon jetzt hat sich die Kluft zwischen zwei Gruppen von Beschäftigten deutlich erweitert: hier die weiter beschäftigten Heimarbeiter, dort die kurzarbeitenden, auf Zwangspause gesetzten oder gar entlassenen einfachen Angestellten und Arbeiter. Das Gelbfieber von New Orleans belegt, welch fatale Auswirkungen es haben kann, wenn Immunität als Kapital verrechnet wird.