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Erstbesteigung des Kilimandscharo 1889: Hurra, Hurra, Hurra! - DER SPIEGEL
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Kibo-Erstbesteigung: "Hurra, Hurra, Hurra!"

Erstbesteigung des Kilimandscharo Als Deutschlands höchster Berg 6010 Meter maß

"Hurra, Hurra, Hurra!" Drei Jahre lang hatte er es probiert, am 6. Oktober 1889 stand der Deutsche Hans Meyer tatsächlich auf dem Gipfel des höchsten Berg Afrikas. Chronik eines Triumphs, der bis heute für Streit sorgt.

Alles ist nun vergessen. Drei Jahre harte Arbeit. Wochenlange Märsche, durch Urwald und fünf Vegetationszonen. Nebel und Nässe, durchfrorene Nächte unter Kamelhaardecken und in Schlafsäcken aus Schaffell. Und dann diese Atemnot. In großer Höhe zwingt sie Hans Meyer, alle 50 Schritte stehenzubleiben, "um weit vornübergebeugt nach Luft zu röcheln".

Zweimal war Meyer, Sprössling aus jener Verleger-Familie, die mit "Meyers Konversations-Lexikon" berühmt wurde, schon an der Besteigung des Kibo gescheitert, wie der höchste Gipfel des Kilimandscharo-Massivs heißt.

Beim ersten Versuch war er schlecht ausgerüstet und kam an einer Eiswand nicht weiter. Den zweiten Versuch musste er wegen eines Aufstands in der Kolonie Deutsch- Ostafrika im heutigen Tansania abbrechen. Er wurde gefangen und kam erst gegen 10.000 Rupien Lösegeld frei.

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Kibo-Erstbesteigung: "Hurra, Hurra, Hurra!"

Jetzt, am 3. Oktober 1889 gegen 14 Uhr, wähnen sich er und sein Begleiter Ludwig Purtscheller am Ziel. In seinem Reisebericht "Ostafrikanische Gletscherfahrten" schreibt Meyer 1890:

'Vorwärts!', rief ich zur Selbstanfeuerung, 'der Berg muss doch mal ein Ende haben!' (...) Noch ein halbes Hundert mühevoller Schritte in äußerst gespannter Erwartung, da tat sich vor uns die Erde auf, das Geheimnis des Kibo lag entschleiert vor uns: den ganze oberen Kibo einnehmend öffnete sich in jähen Abstürzen ein riesiger Krater.

"Tief erschüttert"

Bis dahin war nur gemutmaßt worden, dass der als heilig verehrte Berg von einem Vulkankrater gekrönt ist. Der Geograf Meyer fühlt sich wie berauscht:

Diese längst erhoffte und mit allen Kräften erstrebte Entdeckung war mit so elementarer Plötzlichkeit eingetreten, dass sie tief erschütternd auf mich wirkte. Ich bedurfte der Sammlung.

Denn Meyer treibt nicht nur wissenschaftliche Neugierde an, sondern auch nationaler Stolz. Er verteidigt auch die Eroberung der zu "Schutzgebieten" verharmlosten deutschen Kolonien. Seit den 1880er Jahren hatte sich das Kaiserreich trotz der Skepsis Bismarcks zur Kolonialmacht aufgeschwungen und forderte bald seinen "Platz an der Sonne". Dafür braucht es Symbole. Wie etwa den Kibo, den höchsten Berg Afrikas.

"Eine böse Aufgabe"

Genau deshalb ist Hans Meyer nach Sekunden der Euphorie schlagartig ernüchtert. Dann sieht er, dass er nicht auf der Spitze des Kibo angelangt ist. Die liegt offenbar auf der Südseite des Kraterkessels. Dort ragen drei Felsspitzen aus dem Eismantel hervor.

Die Marschentfernung bis dorthin schätzen wir auf 1 ½ Stunden. Dazu reichten unsere Kräfte nicht mehr hin; wir hätten denn riskieren wollen, am Endziel ohne jeglichen Schutz zu biwakieren, was sehr wahrscheinlich verhängnisvoll gewesen wäre.

Hans Meyer

Hans Meyer

Foto: Höffert, W./ wikimedia commons

Nebel zieht auf. Er bestärkt die Männer, kurz vor dem Ziel aufzugeben. In drei Tagen wollen sie wiederkommen. Der Rückweg wird zur Tortur. Purtscheller, ein erfahrener österreichsicher Alpinist, fällt vor Erschöpfung fast in Ohnmacht. Die Sonne hat die morgens ins Eis geschlagene Stufen weggeschmolzen. Also alles neu: "Eine böse Aufgabe für unsere matten Glieder", erinnert sich Meyer später.

Erst in mit der Dämmerung erreichen die Männer ihr Lager in 4400 Metern Höhe. Dort wartet der einheimische Bergführer Muini Amani auf sie. Nachts plagt sie die Höhenkrankheit:

Zum Brennen der Haut und der Augen gesellen sich stechender Kopfschmerz, die Nerven waren fieberhaft erregt, jeder Muskel schmerzte.

Auf den Spuren Meyers

115 Jahre später begibt sich Bartholomäus Grill auf den Spuren Meyers, wie Tausende Touristen, die jährlich zum Dach Afrikas aufbrechen. Grill, heute Afrika-Korrespondent des SPIEGEL, schrieb darüber 2004 für die "Zeit" eine packende Reportage: "Zwischen Himmel und Hölle".

Unser Trupp reiht sich ein in die bunte Prozession, (...), 300, 400, ein halbes Tausend oder noch mehr Touristen und Träger sind es, ein endloser Ameisenzug. (...). Was der Massenandrang bedeutet, kann man an den Zeltlagern sehen, am Müll, an den malträtierten Pflanzen, an den stinkenden Örtchen ringsum.

Lager auf 4700 Metern

Lager auf 4700 Metern

Foto: Chris Jackson/ Laureus/ Getty Images

Die mächtige Eiskuppe aus den Zeiten Meyers ist längst geschrumpft. Die Wege, die sich die Pioniere 1889, besonders ihre einheimischen Helfer, mit Macheten schlagen mussten, sind ausgelatscht. Sie tragen heute Namen wie "Coca Cola-Trail". Die wilden Elefanten und Leoparden von einst sind verschwunden. Nur am Schicksal der einheimischen Träger scheint sich wenig geändert zu haben.

Die Ausrüstung der Helfer hat sich nicht wesentlich verbessert. Sie gehen seit hundert Jahren in zerschlissenen Kleidern. Ihr Schuhwerk ist erbärmlich, manche tragen nur Badelatschen, und die meisten sind gegen Nässe, Kälte und Hitze unzureichend geschützt.

Tote Gipfelstürmer

Weil sich heute mit dem Kilimandscharo-Tourismus viel Geld verdienen lässt, suggerieren Reiseveranstalter gerne, das Ganze sei ein Spaziergang, machbar selbst für Senioren. Doch jedes Jahr sterben Wanderer an den Folgen der Höhenkrankheit. Einen Tag, bevor sich Grill auf den Weg macht, wird ein 39-Jähriger leblos hinuntergetragen, gestorben an einem Lungenödem. Grill weiß davon nichts, als sich auch sein Zustand am vierten Tag seiner Tour auf 4750 Metern verschlechtert.

Eisige Nacht, in drei Stunden soll der Aufstieg zum Gipfel beginnen. Der Frost sickert ins Zelt. Im Schädel wummert und pocht und braust es wie in einem Wasserwerk. Schlaflosigkeit, Brechreiz, Atemnot, flatternder Puls. Dann kommt dieser verfluchte Schüttelfrost, und es ist als krieche einem die Polarkälte des Berges in die Knochen. 'Du kehrst um!' befiehlt Christian, unser Expeditionsarzt.

Der Journalist steigt in dem Gefühl ab, versagt zu haben. Er blickt niedergeschlagen den Lichtkegeln der Stirnlampen nach, die langsam nach oben wandern.

115 Jahre zuvor, am 6. Oktober 1889, brechen Hans Meyer und Ludwig Purtscheller fast zur selben Zeit von ihrem Lager in 4650 Metern auf - ohne Stirnlampen. Der Mond und einfache Laternen weisen sie über Geröll und riesige Steinblöcke, hinauf zu einer Lavarippe, die zur Eiskuppe führt.

Gegen Sonnenaufgang befanden wir uns bereits auf der Höhe der Zunge des Ratzelgletschers (5360 Meter) und erwarteten in seiner eisigen Nähe, mit frostzitternden Gliedern fest aneinandergeschmiegt, den erwärmenden Aufgang des Tagesgestirns.

"Hurra, Hurra, Hurra!"

Alles läuft besser diesmal. Die Männer feuern sich an. Nach anderthalb Stunden Kletterei über sonnenzerfressenes Eis stehen sie neben einer sechs Meter hohen Eismauer. Darüber die drei Felsspitzen, die sie vor drei Tagen gesehen hatten. Die mittlere ist die höchste.

Um ½ 11 Uhr betrat ich als Erster die Mittelspitze. Ich pflanzte auf dem verwetterten Lavagipfel mit dreimaligen, von Herrn Purtscheller kräftig sekundierten 'Hurra' eine kleine, im Rucksack mitgetragene deutsche Fahne auf und rief frohlockend: 'Mit dem Recht des ersten Ersteigers taufe ich diese bisher unbekannte, namenlose Spitze des Kibo, den höchsten Punkt afrikanischer und deutscher Erde: 'Kaiser Wilhelm-Spitze'.'

Für Purtscheller ist es ein doppelter Glücksmoment: Er wird am Tag seines größten bergsteigerischen Erfolgs 40 Jahre alt. Nach einer kurzen Pause fertigt Meyer eine Skizze des Kraters an und taxiert per Siedethermometer die Höhe auf 6000 Meter. Seine Daten werden später in Berlin auf 6010 Meter korrigiert. Sein Wert sollte bis 1952 Bestand haben. Erst dann schrumpft der Kibo nach einer Neuvermessung auf 5895 Meter.

Den Rückweg macht Meyer zum Fest. Er überrascht seinen Begleiter mit mitgebrachten Zigaretten und Schokolade, die er monatelang heimlich mitgeschleppt hat - für diesen Moment.

Die Genugtuung über das nun endlich Errungene machten mich an diesem Abend so reich, dass ich mit niemand in der Welt getauscht hätte.

Ein verschwiegener Held?

Mit gletscherverbranntem Gesicht, die Haut in Fetzen, steigt Meyer am nächsten Tag schnell ab. Die Nachricht von seinem Triumph soll um die Welt gehen. Auch wenn das Kaiserreichschon im Ersten Weltkrieg seine Kolonien wieder verliert, bleibt der Name "Kaiser Wilhelm Spitze" bis kurz nach der Unabhängigkeit Tansanias bestehen; erst seit 1964 heißt sie "Uhuru Peak", Freiheitsgipfel.

Doch hat der Pionier etwas Wesentliches verschwiegen? In Tansania kursiert noch ein dritter Name als Erstbesteiger: Der damals noch jugendliche Bergführer Yohani Kinyala Lauwo aus dem Volk der Chagga soll, so auch die Überzeugung der Regierung Tansanias, die Europäer begleitet haben. In manchen Berichten wird gar behauptet, er soll früher als Meyer auf dem Kibo gewesen sein.

Yohana Kinyala Lauwo im Jahr 1995

Yohana Kinyala Lauwo im Jahr 1995

In Meyers Bericht taucht der Name Lauwo nirgends auf, sondern nur der seines treusten Helfers Muini Amani, der Meyer demnach bis zur Schneegrenze begleitete. Das mag nichts bedeuten. Und doch fehlt ein eindeutiger Beweis, dass Lauwo 1889 auf dem höchsten Berg Afrikas stand. Auch an seinem biblisch anmutendem Alter - er erlebte angeblich den 100. Jahrestag der Erstbesteigung und wurde 124 Jahre alt - gibt es Zweifel.

Vielleicht ist die Geschichte vom verschwiegenen Helden Afrikas also nur eine Legende. Dann aber eine besonders schöne - und eine mit Folgen: Denn für seinen vermeintlichen Gipfelsturm bekam der Bergführer ein Haus geschenkt, in dem der einfache Mann noch jahrelang in etwas mehr Komfort lebte.