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Karl Arnold - DER SPIEGEL
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Karl Arnold: Das Scheitern des Adenauer-Rivalen

Karl Arnold Das Scheitern des Adenauer-Rivalen

Karl Arnold galt gleichzeitig als Gegenspieler und potentieller Nachfolger von Konrad Adenauer. Dann verlor der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sein Amt durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Seine Rückkehr an die Macht endete tragisch.
Von Stefan Appelius

"Eine mangelhafte Gesellschaftsordnung zu verteidigen, ist ebenso wenig christliche Politik, wie es antichristlich ist, sie durch eine bessere ersetzen zu wollen." Mit solchen Äußerungen brachte sich Karl Arnold bei seinem Parteifreund Konrad Adenauer gründlich in Misskredit, während er die Opposition arbeitslos machte. Arnold glaubte an die soziale Verpflichtung des akademischen Standes, predigte Toleranz in der politischen Auseinandersetzung. Das machte ihn für viele Jahre zum führenden Kopf des linken CDU-Flügels in der frühen Bundesrepublik.

Die Kritik der oppositionellen Sozialdemokraten an der "restaurativen" Politik des Bundeskanzlers prallte an Konrad Adenauer fast spurlos ab. Umso mehr schmerzten ihn die verbalen Attacken des früheren Gewerkschaftssekretärs Karl Arnold, der an seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik kein gutes Haar ließ. Die Politik der Bundesregierung laufe Gefahr, so Arnold auf einem Landesparteitag der CDU im Herbst 1950, die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen. Das sah Adenauer ganz anders. Die Arbeitslosigkeit mit damals rund 1,3 Millionen Erwerbslosen beunruhigte ihn nicht. Es würde genügen, wenn die "meist unter der Leitung von SPD-Vorsitzenden" stehenden Arbeitsämter, erklärte Adenauer, die "tatsächlichen" Arbeitslosen "klar sichten" würden.

Furchtbare Epoche

Wer hätte wohl geglaubt, dass der 1901 in der Gegend von Biberach geborene Sohn eines armen Kleinbauern einmal an der Spitze des bevölkerungsreichsten Bundeslandes stehen würde? Diese Karriere war erst nach dem Untergang des Nazi-Regimes möglich, nach jenen zwölf Jahren, über die Karl Arnold schon 1933 prophetisch notierte: "Eine entscheidende Schlacht ist verloren, eine furchtbare Epoche hat begonnen." Furchtbar auch für ihn selbst. Nach dem gescheiterten Attentatsversuch auf Adolf Hitler im Juli 1944 sperrte ihn die Gestapo ein.

Im Frühjahr belud Karl Arnold auf der Düsseldorfer Königsallee eine Lore mit Trümmerschutt. Der hagere Mann in seinem staubbedeckten Overall mit dem gelichteten Haarkranz wirkte wie ein Intellektueller und packte doch an wie ein Arbeiter. Wahrscheinlich war es gerade diese Mischung, die seine Glaubwürdigkeit besser unterstrich, als jede noch so geschliffene PR-Kampagne es vermag. Wer ihn nicht kannte, wäre nie auf die Idee gekommen, dass hier der kurz zuvor neugewählte Oberbürgermeister höchstpersönlich zur Schippe griff.

Genau dort, als Stadtoberhaupt am Niederrhein, hätte er auch bleiben sollen - wenn es nach Konrad Adenauer gegangen wäre. Denn als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hätte der spätere Bundeskanzler lieber seinen Parteifreund Josef Gockeln gesehen. Dass es dann doch auf Karl Arnold hinauslief, war der Tatsache geschuldet, dass die Sozialdemokraten nur einen arbeiterfreundlichen Mann als Chef einer Koalitionsregierung akzeptieren wollten und dieser auch noch einstimmig im Parlament gewählt wurde - das schmeckte dem alten Herrn in seinem Rhöndorfer Rosengarten ganz und gar nicht

Er will nach links und muss nach rechts

Es war die Zeit des Ahlener Programms der nordrhein-westfälischen CDU, in dem nicht nur mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung abgerechnet, sondern auch ein christlicher Sozialismus proklamiert wurde. Dieser Idee eines "Sozialismus aus christlicher Verantwortung" fühlte sich Karl Arnold eng verbunden. Umso missfiel es ihm, dass er auf Druck des Bundeskanzlers nach den Landtagswahlen im Jahre 1950 nicht weiterhin mit den Sozialdemokraten koalieren durfte. In Düsseldorf kursierte schon damals das geflügelte Wort "Er will nach links und muss nach rechts". Doch Arnold ließ sich nicht beirren. Er ging unbeirrt vom Kanzler seinen eigenen Weg.

Bei den Landtagswahlen im Juni 1954 gelang es der CDU unter seiner Führung noch einmal, ein paar Prozentpunkte hinzulegen. Die CDU war erneut die stärkste politische Kraft im Land, Karl Arnold konnte sich seine Koalitionspartner aussuchen. Auch diesmal wäre er am liebsten ein Bündnis mit den Sozialdemokraten eingegangen. Doch der Zuchtmeister Adenauer funkte ihm dazwischen. Eine solche Koalition, so der Kanzler, könne es nur geben, wenn Ollenhauer in der Wehrfrage auf seine Linie einschwenke. Das aber kam für den SPD-Vorsitzenden gar nicht in Frage. Und so musste Arnold am Ende eine Schlappe hinnehmen: Er kam wegen des knappen Wahlresultats nicht umhin, auch die FDP in die Regierung zu holen. Seinen bisherigen Koalitionspartner, die Zentrumspartei, hatte Arnold durch eine Änderung des Wahlgesetzes, reichlich dezimiert und auch nur um Haaresbreite wieder ins Landesparlament gezaubert, obwohl sie deutlich unter der neueingeführten Fünfprozentklausel blieb.

Nackte Interessenpolitik

Was er von seinem neuen Koalitionspartner hielt, das enthüllte Karl Arnold erst, nachdem ihn die Liberalen im Februar 1956 durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu Fall gebracht und den SPD-Politiker Fritz Steinhoff zum neuen Ministerpräsidenten gemacht hatten. Arnold warf der FDP "nackte Interessenpolitik" vor und fragte, ob das Programm der Liberalen lediglich daraus bestehe, "den Rahm von der nächsten Wahl zu schöpfen". Was natürlich nicht unbeantwortet blieb. Willy Max Rademacher, der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, bezichtigte Arnold postwendend, er versuche, "die letzten Brücken" zwischen Union und Liberalen zu zerschlagen, weil er selbst an der Spitze einer schwarz-roten Koalition Bundeskanzler werden wolle.

Besonders tragisch für Arnold war, dass die FDP ihr Misstrauensvotum nicht mit Fehlern in seiner Politik, sondern bundespolitisch begründete. Bundeskanzler Adenauer plante damals die Einführung des Mehrheitswahlrechts auf Bundesebene - eine Entscheidung, die die FDP in ihrer Existenz bedrohte und gegen die sich die mit Adenauer verbündeten Liberalen heftig wehrten. Dazu erschien eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat mehr als zweckmäßig - wodurch Arnold aus dem Amtssessel katapultiert wurde.

Die CDU schäumte. Während Arnold von einer "Schlacht im falschen Saal" sprach und sich zum Opfer des "Bonner Zanks" deklarierte, drückten sich seine Parteifreunde, soweit sie loyal zu ihm standen, weniger vornehm aus. Von einem "Staatsstreich" war die Rede, kaltblütig und gegen den Willen der Bevölkerung. Was Arnold wohl darüber dachte? Er war überzeugt, dass er auch von seiner eigenen Fraktion nicht alle Stimmen erhalten hatte. Möglicherweise versuchte die NRW-CDU damals, die Zustimmung einiger FDP-Abgeordneter zu erkaufen - enthüllte schon Arnolds Biograf Detlev Hüwel und glaubt, dass das womöglich in einem Fall gelungen sein könnte. Doch unter dem Strich reichte das nicht.

Rückblickend stellt sich die Frage, ob das Ende des populären Ministerpräsidenten durch gezielte Gerüchte herbeigeführt wurde. Der dynamische Karl Arnold galt in Teilen der CDU viele Jahre als der designierte Nachfolger des greisen Adenauer. Arnold war klug genug, diese Gerüchte stets nachdrücklich zu dementieren und auf die "gute Gesundheit" seines Parteifreundes hinzuweisen. Wurmten Adenauer solche Spekulationen, hielt er Arnold für einen Konkurrenten? Der Adenauer-Biograf Henning Köhler meint, die Antwort auf eine solche Frage müsse zwar offen bleiben, von der Hand zu weisen sei sie aber nicht.

Wesentlich deutlicher drückt sich der Münsteraner Publizistikprofessor Walter Hagemann aus, einst führender Kopf in der Zentrumspartei und 1945 einer der Mitbegründer der CSU. In einem von ihm hinterlassenen, bislang unveröffentlichten Manuskript heißt es, Adenauer selbst habe dafür gesorgt, dass diese "Blütenträume" nicht reiften: "Eine Flüsterkampagne, die nach Nazi-Muster gesteuert war, wusste von sittlichen Verfehlungen Arnolds mit allen Details zu erzählen. Arnold, der die Bonner Rufmordmethoden kannte, konnte es nicht wagen, Strafanzeige gegen Unbekannt zu erstatten, denn er hätte gerade dadurch der Gerüchtelawine nur neuen Auftrieb gegeben. Aber auch die Einschaltung hoher geistlicher und weltlicher Persönlichkeiten zur Wiederherstellung seines öffentlichen Ansehens prallten an den Polstertüren des Palais Schaumburg ab."

Wurden gezielt Gerüchte gegen Karl Arnold ausgestreut? Das lässt sich mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Vorgängen nicht mehr beweisen. Ausgeschlossen ist es aber nicht, denn es gab durchaus Gerüchte um Arnold. Der Wiesbadener Kleinunternehmer Karl-Heinz Ronke wurde 1952 wegen übler Nachrede zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Der Veranstalter des ersten Nachkriegs-Schönheitswettbewerbs in der Bundesrepublik hatte in seiner Druckschrift "Information - Klatsch Journal Nummer Eins" behauptet, Ministerpräsident Arnold habe seine Sekretärin als seine Ehefrau ausgegeben und zu einer Konferenz in die Schweiz mitgenommen.

Ein Gutes brachte Arnolds Sturz mit sich: Jetzt musste er nicht länger nach der Pfeife des Bundeskanzlers tanzen. Arnold ließ sich auf dem Stuttgarter Parteitag der CDU im Mai 1956 zu einem der vier stellvertretenden Vorsitzenden wählen, und zwar gegen den Willen von Konrad Adenauer. Fortan galt Arnold unter politischen Beobachtern als heimlicher Gegenkaiser, man sah ihn an der Spitze einer innerparteilichen Rebellion gegen die Alleinherrschaft des "Alten" aus Rhöndorf. Und während Adenauers Autorität langsam zu bröckeln begann, ging Arnold mit einer vielbeachteten Rede außenpolitisch auf Distanz zur SPD, bevor er sich im September 1957 im Wahlkreis Geilenkirchen in den Bundestag wählen ließ. Eine strategische Meisterleistung, die allerdings nicht mit dem erhofften Posten des Arbeitsministers oder gar dem Amt des Vizekanzlers belohnt wurde. Manch einer hielt es trotzdem nur für eine Frage der Zeit, wann Arnold den greisen Bundeskanzler beerben würde.

Kampf bis ins letzte Dorf

Sah Arnold in Bonn keine Perspektive? Gut möglich. Vor allem aber nagte der Wunsch an ihm, erneut Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zu werden - ein Wunsch, in dem ihn Adenauer ganz entschieden bestärkte. Allerdings war klar, dass er diesmal eine eigene Mehrheit brauchte und wohl nur in einer Alleinregierung noch einmal Regierungschef werden konnte. Die Sozialdemokraten wollten sich nicht so einfach von der Macht verdrängen lassen. Die der SPD nahestehende Essener "NRZ" giftete: "Die in der CDU organisierten Arbeitnehmer müssen mit der Erkenntnis fertigwerden, dass ihr Karl Arnold kein Profil mehr besitzt. Nach unserer Meinung hat er es niemals besessen. Es ist ihm angedichtet worden."

Arnold schmerzten diese Verunglimpfungen - war er es doch, der diese Art der politischen Auseinandersetzung immer abgelehnt hatte. Und er legte sich mächtig ins Zeug, führte einen Wahlkampf "bis ins letzte Dorf". Es war ein Kraftakt ohne Gleichen. Mit fatalen Konsequenzen: Am 28. Juni 1958, mitten in der heißen Wahlkampfphase, kehrte Karl Arnold erst in den frühen Morgenstunden von einer Kundgebung in Minden in seine Wohnung nach Düsseldorf zurück. Er erlitt einen Herzinfarkt um 5.30 Uhr in der Frühe. Die Ärzte kämpften um sein Leben. Vergeblich. Am Wahlabend legte die CDU sensationell fast neun Prozent der Stimmen zu und erreichte die absolute Mehrheit. Es war das beste Ergebnis bei einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, das die CDU je erreichte.

Starb Arnold an Überanstrengung? Hatten ihn die Verunglimpfungen seiner Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht? In Walter Hagemanns - im Bundesarchiv deponierten - Manuskript heißt es: "Jeder Eingeweihte weiß, dass der vorzeitige Tod Arnolds eine Folge dieser Rufmordkampagne gewesen ist. Bei ihnen hat es Ekel und Abscheu erweckt, dass Herr Adenauer an seinem Grab seine großen Verdienste feierte und ihn der besonderen Hochachtung versicherte."

Das ist wohl nicht mehr als eine Spekulation. Dafür bewahrheiteten sich die düsteren Vorahnungen des Kolumnisten der "Süddeutschen Zeitung", der die am tiefsten um Arnold trauern sah, die ahnten, welche Hoffnung mit ihm dahingegangen sei. Statt Karl Arnold wurde der CDU-Rechtsaußen Franz Meyers Ministerpräsident. Der hatte weder mit den Gewerkschaften noch mit der christlichen Soziallehre etwas im Sinn.

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