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Islamdebatte bei "Hart aber fair": Träumen von der Toblerone-Republik - DER SPIEGEL
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Islamdebatte bei "Hart aber fair" Träumen von der Toblerone-Republik

Ist das Minarettverbot ein "leuchtendes Beispiel" für die demokratische Bekämpfung des "politischen Islam"? Ein Schweizer vertrat diese These bei Plasbergs Talk - und bekam Recht. Nicht von der Talkrunde, sondern von den Zuschauern. Eine Sendung, die zum Lehrstück über den Kulturkampf wurde.
Von Reinhard Mohr
Diskutanten Köppel, Bosbach, Friedman, Höhn, Mazyek (v. l.): Debatte über Grenzen der Religion

Diskutanten Köppel, Bosbach, Friedman, Höhn, Mazyek (v. l.): Debatte über Grenzen der Religion

Foto: WDR

Wäre das nicht schön gewesen? Roger Köppel, Verleger und Chefredakteur der Zürcher "Weltwoche", geladen in Frank Plasbergs "Hart aber fair"-Studio, bringt zur Entspannung der Lage wenigstens ein kleines, selbst gebasteltes Minarett mit. Als ein bisschen Wiedergutmachung eben.

Aber nichts da, kein Mini-Minarett von Köppel auf dem Tisch. Stattdessen verteidigt er unbeirrt das weltweit umstrittene Votum der Schweizer Stimmbürger als "leuchtendes Beispiel der Demokratie in Europa" und kritisierte die "Arroganz" der internationalen Medien, die sich in ihrer Kritik daran weithin einig waren.

Aber wer hätte auch gedacht, dass die neutrale und liebenswürdige Schweiz einmal als Hort eines "faschistischen", ja "verbrecherischen" Ungeists dastehen könnte, dessen "islamophober Rassismus" unsere so grundfriedliche Welt in Angst und Schrecken versetzt?

So jedenfalls formulierte es der türkische Premierminister Erdogan, dessen Europaminister gleich noch einen flamboyanten Boykottaufruf startete.

Ausgerechnet die urdemokratische, weltoffene und polyglotte Schweiz, in der selbst einfache Servicekräfte fließend französisch und italienisch, rätoromanisch und hochdeutsch sprechen, gilt nun als rückständig, verbohrt und ausländerfeindlich.

Toblerone-Boykott?

Wird nun der Aufruhr in der arabisch-muslimischen Welt, ähnlich wie beim dänischen Karikaturenstreit, tatsächlich zum massiven Boykott Schweizer Waren und Unternehmen führen - von Toblerone bis Swatch, von leckeren Luxemburgerli bis zur milliardenschweren Credit Suisse?

"Schock-Entscheidung zum Minarettverbot - wie tief sitzt die Angst vor dem Islam?" fragte Frank Plasberg am späten Mittwochabend, und Aiman Mazyek, Generalsekretär der Muslime in Deutschland und Mitglied der FDP, wusste sofort die richtige Antwort. Wortreich beklagte er den vermeintlich eklatanten "Verstoß gegen die Religionsfreiheit" und sämtliche Menschenrechtskonventionen, den üblen "Ausdruck von Destruktivität" und einen riesengroßen "Schaden für die Demokratie".

"Populismus, Propaganda und Rassismus" - all das attestierte er nicht etwa Ahmadinedschads "Islamischer Republik" Iran, sondern der braven Eidgenossenschaft zwischen Basel und Lugano. Aiman Mazyek forderte gleich noch "einen neuen Volksentscheid". Der Hauptvorwurf an seine Kontrahenten: "Sie islamisieren alles!" Will heißen: Alles, was an der islamischen Kultur kritisiert wird, hat letztlich "nichts mit dem Islam zu tun" - ganz so, als hätten die europäischen Gesellschaften und ihre Kultur rein gar nichts mit dem Christentum zu tun. Auch Michel Friedman, einst stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, hielt den Ausgang der Schweizer Volksabstimmung für einen "großen Fehler", weil allen Religionen der gleiche Respekt gebühre.

Er beharrte auf jenem vorbildlichen Prinzip demokratischer Toleranz, das sich mit gleicher Schärfe und Klarheit gegen jede Art von Fundamentalismus, Gewalt und Irrationalismus wende. Und was die viel beschworene "Integration" betreffe, so gälten schlicht das Grundgesetz, die Rechtsordnung und die deutsche Sprache. Der Rest sei Privatsache.

Bosbach gegen Minarettverbot

Friedmans selbstbewusster abendländisch-aufklärerischer Geist hatte sogar noch die Großzügigkeit und Güte, notorische Probleme der islamischen Gemeinschaften in Deutschland zu benennen, die ihrem Vertreter Aiman Mazyek auch auf Nachfrage partout nicht einfallen wollten.

Dabei ist es doch eigentlich gar nicht so schwer. Im Grunde kennt der fundamentalistische Islam bis heute keine Säkularisierung und keine Aufklärung, kurz: keine strikte Trennung von Staat und Religion, keine Trennung von Gesellschaft und religiösem Glauben, von gläubigem Kollektiv und selbstbestimmtem Individuum. Darum und nur darum geht es immer wieder - nicht um einen Kampf der Religionen wie im finstersten Mittelalter. Im Zentrum des Konflikts stehen allein Freiheit und Menschenrechte für jeden einzelnen, ob Mann oder Frau: die Errungenschaften Europas seit der Französischen Revolution von 1789.

Im Alltag wird diese Diskrepanz zum Beispiel daran deutlich, dass christliche Kreuze in Ämtern und Behörden nach einem höchstrichterlichen europäischen Entscheid abgehängt werden sollen, während muslimische Schüler Gebetsräume in Schulen einklagen und türkische oder arabische Eltern ihren Töchtern verbieten, am Schwimmunterricht teilzunehmen.

Wolfgang Bosbach, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zitierte aus einer islamischen Fatwa zur Verdeckung praktisch aller weiblichen Körperteile und äußerte nicht nur deshalb Verständnis für Sorgen und Ängste vieler Bürger.

Der Unterschied zwischen "öffentlicher" und "veröffentlichter" Meinung sei offenkundig sehr groß. Gleichwohl hätte er selbst, als liberaler rheinischer Katholik, gegen ein Minarettverbot gestimmt.

"Wir müssen davon ausgehen, dass die Leute vernünftig sind" - mit diesen Worten erinnerte Roger Köppel an einen ehernen Grundsatz demokratischer Volkssouveränität. Das würde er sogar einem Marsmenschen erklären. Es sei ein Skandal, dass man nun versuchen wolle, eine Mehrheitsentscheidung der Bürger nach "monatelanger, hochsachlicher Diskussion" wieder rückgängig zu machen, nur weil sie der "Elite" nicht passe. Selbstverständlich sei das Minarett hier kein Problem der Bauordnung gewesen, sondern als Symbol eines "politischen Islam" verstanden worden, den man ablehne.

Die Fernsehzuschauer von "Hart aber fair" sehen das offenbar ähnlich. Eine große Mehrheit derer, die sich per Telefon oder E-Mail zu Wort meldeten, pflichtete der Schweizer Entscheidung bei.

Wie immer man das Ergebnis dieser Volksabstimmung in der kleinen Alpenrepublik betrachten mag - allein die weltweite Aufregung zeigt, dass die Eidgenossen uns womöglich einen großen Dienst erwiesen haben. Sie haben eine notwendige Debatte eröffnet über Demokratie und Integration, über eine freie Gesellschaft und die Grenzen der Religion.

Und noch etwas haben die Schweizer hingekriegt: Es war eine der besten "Hart aber Fair"-Sendungen seit langem.