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Anonyme Plagiatsjäger: Der Schwarm bin ich - DER SPIEGEL
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Anonyme Plagiatsjäger Der Schwarm bin ich

Mit Guttenberg fing es an, mit Silvana Koch-Mehrin geht es weiter: Plagiatsjäger melden den Universitäten mögliche schwarze Schafe und leisten Puzzlearbeit, um die Sünder zu überführen. Sie selbst bleiben anonym - was treibt sie an?
Jagd im Dunkeln: Die Plagiatsgegner von

Jagd im Dunkeln: Die Plagiatsgegner von "VroniPlag" wollen anonym bleiben

Foto: Corbis

Der Schwarm, der sich Silvana Koch-Mehrin als Ziel ausgeguckt hat, ist klein und er mag es dunkel. Zehn bis 20 Plagiatsjäger durchforsten seit knapp zwei Wochen die Doktorarbeit der FDP-Politikerin, auf der Suche nach abgeschriebenen Textstellen, nichtangegebenen Quellen, wissenschaftlich unsauberen Methoden.

Sie legen größten Wert auf Anonymität, teilweise kennen sie von ihren Mitaktivisten nicht viel mehr als den Chatnamen.

Wer sind diese Leute, die tage- und nächtelang mäßig spannende Dissertationen durchstöbern? Die Originalquellen aus Uni-Bibliotheken besorgen und einscannen, um Textstellen abgleichen zu können? Was treibt sie an? Warum wollen sie ihre Namen nicht nennen? Und wie arbeiten sie?

Bei Karl-Theodor zu Guttenberg war es noch ein einzelner Wissenschaftler, der die Affäre lostrat: der Jurist Andreas Fischer-Lescano. Erst danach gingen im Netz anonyme Plagiatsjäger daran, die Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsministers zu überprüfen. Organisiert über die Seite "GuttenPlag Wiki"  sammelten und dokumentierten sie plagiierte Textstellen in einem enormen Tempo.

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Silvana Koch-Mehrin: FDP-Politikerin unter Abschreibe-Verdacht

Foto: PAWEL KOPCZYNSKI/ REUTERS

Bei Koch-Mehrin wurde die Sache hingegen von vornherein angestoßen von anonymen Plagiatsjägern im Netz: Sie informierten die Universität Heidelberg, an der die FDP-Frau sich vor gut zehn Jahren promovieren ließ, über den Verdacht. Seitdem prüft die Hochschule die Vorwürfe.

"GuttenPlag"-Veteranen suchen sich neue Ziele

Dieses Mal organisieren sich die Plagiatsjäger auf der Seite "VroniPlag Wiki" , doch viele waren schon bei "GuttenPlag" dabei. Das berichtet einer der Organisatoren. Auch die Chat- und Forumsnamen, die sich auf beiden Seiten finden, deuten darauf hin. Allerdings wurden die Seiten selbst von zwei verschiedenen Initiatoren ins Leben gerufen. Und die Gruppe der Aktiven ist diesmal kleiner als bei Guttenberg, jeder von ihnen könnte sagen: Der Schwarm bin ich.

Der neue Name "VroniPlag" bezieht sich auf die Stoiber-Tochter Veronica Saß, Spitzname: Vroni. Ihre rechtswissenschaftliche Dissertation nahmen sich die Freiwilligen als Erstes vor. Auch sie soll ihre Doktorarbeit in weiten Teilen aus nichtgenannten Quellen abgeschrieben haben, äußerte sich bislang aber nicht zu den Vorwürfen. Auch die Doktorarbeit eines baden-württembergischen CDU-Abgeordneten geriet ins Visier der Plagiatsjäger.

Wer die Macher von "VroniPlag" erreichen will, muss sich in ihren Chat einloggen oder das Kontaktformular auf der Web-Seite nutzen. Dann kann es sein, dass das Telefon klingelt und sich jemand mit den Worten meldet: "Hier spricht VroniPlag." Denn einerseits wollen die Plagiatsjäger zwar unbedingt anonym bleiben. Andererseits wollen sie aber auch, dass ihre Arbeit wahrgenommen wird - und dass sie Folgen hat.

So kommt es auch, dass sie im Fall Koch-Mehrin Kontakt zur Uni Heidelberg halten. Sie rufen im Rektorat an und berichten von neuen Textstellen, die sie für Plagiate halten. Eine Uni-Sprecherin betonte allerdings, dass die universitären Gremien Koch-Mehrins Doktorarbeit unabhängig von diesen Informationen überprüfen und bewerten. Der zuständige Promotionsausschuss werde sich noch einmal Ende April und Anfang Mai treffen, dann werde entschieden, ob Koch-Mehrin zu einer Stellungnahme eingeladen werde.

Warum die Plagiatsjäger unerkannt bleiben wollen

Auch die Medien informieren die Hobby-Fahnder über ihre Fortschritte, zuletzt in einem Zwischenbericht, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Laut "VroniPlag" sind die Plagiatsjäger auf mehr als jeder vierten Seite der Koch-Mehrin-Dissertation fündig geworden, dort seien abgeschriebene Stellen zu finden. Anders als im Fall Guttenberg handelt es sich demnach häufig um beschreibende Passagen aus Standardwerken. Die FDP-Politikerin äußert sich zu den Vorwürfen auch auf mehrfache Nachfrage nicht, ihr Sprecher verweist an die Universität Heidelberg und die zuständigen Gremien.

Dass sie im Schutz der Anonymität arbeiten, erklären die "VroniPlag"-Leute zum einen damit, dass es in der Wissenschaft egal sein müsse, wer etwas sagt. Es komme nur auf das Gesagte an sich an. Zum anderen fürchten einige Nachteile im Job. So gibt es offenbar die Angst, es schade der Wissenschaftskarriere, wenn man andere als Plagiatoren enttarnt habe.

Sie bestreiten, was ihnen immer wieder vorgeworfen wird: dass ihre Arbeit politisch motiviert sei. Auf der Seite heißt es: "Die in diesem Wiki geleistete Arbeit hat nichts mit politischer Ausrichtung, persönlicher Schmutzkampagne oder ähnlichem zu tun."

"Wir suchen händeringend nach einem norddeutschen SPD-Politiker, der plagiiert hat", sagt Debora Weber-Wulff, halb im Spaß. Die Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin ist eine der wenigen, die öffentlich zu ihrer Arbeit bei "VroniPlag" stehen: "Ich bin ein ganz kleiner Teil davon." Das Thema interessiert sie fachlich: Die Informatikerin entlarvte vor fast zehn Jahren ein Drittel der bei ihr eingereichten Arbeiten als abgekupfert, zumindest in Teilen. Seitdem macht sie Jagd auf Mogler und Schummler im Wissenschaftsbetrieb, testet Anti-Plagiats-Software und trainiert Dozenten, damit sie Fälschungen aufdecken können.

"Wie bei Guttenberg wird es nie wieder"

Weber-Wulff hält die Arbeitsweise der anonymen Plagiatsjäger für seriös. Jede gefundene verdächtige Textstelle müsse von zwei anderen unabhängig voneinander verifiziert werden. Die Diskussionen darüber, wie welcher Fund einzuordnen sei, sind auf der Seite dokumentiert. Auch der Medienwissenschaftler Stefan Weber, der sich ebenfalls als Plagiatsjäger einen Namen gemacht hat, lobt die Arbeit der "VroniPlag"-Leute: "Wenn hier anonym die Netzgemeinde arbeitet, kostenlos, dann werden Fälle ans Tageslicht gebracht, das ist ganz hervorragend", sagte er im Deutschlandfunk.

Man kann vielen der anonymen Plagiatsjäger abnehmen, dass sie aus Wut über akademische Hochstapler handeln. Einige haben selbst einen Doktortitel oder sind gar Professor. Und auch fachliches Interesse scheint eine Rolle zu spielen, etwa daran, wie Texte entstehen. Oder wie sich komplexe Zusammenhänge visualisieren lassen: Der Plagiate-Strichcode ist seit dem Fall Guttenberg allgemein bekannt.

Einer der Organisatoren sagt, immer wieder würden sich Leute mit Hinweisen auf mögliche Plagiatoren melden. Nur bei einem begründeten Anfangsverdacht lege der Schwarm los. Aber: "So wie bei Guttenberg wird es nie wieder", sagt er, doch auch die anderen Schummler müsse man überführen. Sobald sie mit Koch-Mehrins Doktorarbeit durch sind, würden sie sich an die nächsten Fälle setzen, allerdings an weniger prominente.

Wie sie ankommen in der Öffentlichkeit und wie über sie berichtet wird, ist den Leuten von "VroniPlag" ebenfalls wichtig. Im Chat schicken sie sich Links zu Interviews und Berichten, in denen es um ihre Arbeit geht. Und wenn etwa der Jura-Professor Volker Rieble, ebenfalls ein bekannter Plagiatsjäger, sagt, er verstehe "die Aufregung in der Internetgemeinde nicht" und wenn er die "VroniPlag"-Leute als "politisch linksstehend" bezeichnet, ist die Wut groß. Ebenso die Belustigung, wenn der Rektor der Uni Heidelberg in einem Fernsehinterview davon spricht, dass Doktoranden künftig eine Diskette abliefern sollen, auf der ihre Arbeit gespeichert ist. Diskette, das sei einfach letztes Jahrhundert.

Der Schwarm mag es dunkel, aber was im Licht geschieht, das beobachtet er ganz genau.