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Papst-Buch: Der Oberhirte gesteht Fehler ein - DER SPIEGEL
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Papst-Buch Der Oberhirte gesteht Fehler ein

Der Papst lockert das Kondomverbot, gesteht Probleme in der Missbrauchs- und Williamson-Affäre, plädiert für Moscheen im Westen und gegen ein Burkaverbot. Mit einem demnächst erscheinenden Interviewbuch will Benedikt XVI. seinem Pontifikat eine neue Bedeutung geben - Motto: Wir sind gar nicht so.
Papst Benedikt XVI.:

Papst Benedikt XVI.: "Ein erstes Stück Verantwortung"

Foto: Ettore Ferrari/ dpa

München - Die linksliberale Tageszeitung "La Repubblica" lobt den Papst nicht häufig, doch an diesem Sonntag schien sie Lob für angebracht zu halten. Auszüge aus dem Gesprächsbuch des Autors Peter Seewald mit Papst Benedikt XVI. reichten aus, "um das Bild, das sich viele von dem 'deutschen Oberhirten' gemacht haben, zumindest teilweise zu revidieren".

Aus dem Werk gehe ein Ratzinger-Porträt hervor, "das komplexer und problematischer ist". Das Kirchenoberhaupt öffne sich angesichts der Krise seiner Kirche neuen Lösungen und "erkennt dabei die moralische Grundlage an, die in manchen Fällen dem Gebrauch des Kondoms zugrunde liegt".

Der Papst sagt ja zu der Verwendung von Präservativen - das war die Neuigkeit aus dem Vatikan, die sich an diesem Wochenende am schnellsten verbreitete. Es war eine Sensation.

"Im einen oder anderen Fall" könne das Präservativ in der Absicht, die Ansteckungsgefahr mit Aids zu verringern, "ein erster Schritt sein auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität", hatte Benedikt gesagt. Und damit eine Position über den Haufen geworfen, die zwar angesichts des Aids-Elends in vielen Ländern der Welt und vor allem in Afrika weltfremd erschien, aber wie zementiert wirkte.

Benedikt selbst hatte noch im März vergangenen Jahres bei seinem Afrika-Besuch für Empörung gesorgt: "Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Kondomen regeln. Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem", sagte er damals.

Nun findet der Papst nicht nur seine damalige Aussage missverstanden, er bricht auch mit der Position seines Vorgängers Johannes Paul II. Dieser hatte 1993 die eheliche Treue als einziges Mittel gegen Aids bezeichnet. Benedikt nennt nun in einem Atemzug mit Enthaltsamkeit und Treue das Kondom als Schutzmöglichkeit - wenngleich dieses nur ein "Ausweichpunkt" sei, falls die beiden anderen Wege nicht griffen.

Radikale Wende

Die Wende des Papstes ist nicht so radikal, dass er etwa allen künstlichen Verhütungsmitteln wie auch der Pille den Segen erteilt. Aber selbst die eingrenzende Formulierung, "begründete Einzelfälle" wie etwa Prostituierte könnten Kondome nutzen, ist ein Quantensprung gegenüber der bisherigen Position des Vatikans.

Im Wortlaut: Der Papst über...

Benedikt sieht plötzlich sogar die Chance, dass Menschen durch das Benutzen von Präservativen bessere Menschen werden: Es könne in den Einzelfällen "ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein", "ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will".

Mit seiner Kehrtwende beim Kondom geht der bisher so konservativ aufgetretene Papst auf Konfrontationskurs zum rechten Flügel der Kirche. Gerade die erzkonservativen Gläubigen sahen in der strikten Ablehnung von Präservativen eine besondere moralische Qualität des Vatikans und der katholischen Kirche.

Entsprechend laut fiel der Aufschrei in den konservativen Internetforen aus: "Der alte Mann ist vor dem Druck zusammengeklappt", hieß es etwa auf einer deutschsprachigen Seite. Während der Papst diese Gruppen nun heftig verärgert, dürfte er sich im bisher skeptischen liberalen Lager Zustimmung sichern. Denn Benedikt geht noch weiter:

  • Als es seinem Vorgänger vor seinem Tod 2005 sichtbar schlecht ging, war diskutiert worden, ob ein Papst zurücktreten kann oder sollte. Nun bekennt sich Benedikt dazu. Wenn ein Papst physisch, psychisch und geistig sein Amt nicht mehr erfüllen könne, habe er nicht nur das Recht, sondern unter Umständen auch die Pflicht zum Rücktritt. Mit dieser Definition hat Benedikt einen weiteren neuen Maßstab für die katholische Kirche gesetzt.
  • Benedikt spricht sich zudem gegen ein verallgemeinertes Burkaverbot aus und plädiert für Moscheen in westlichen Ländern (Wortlaut siehe Kasten oben).
  • Und er sagt: Wenn er gewusst hätte, dass der umstrittene Bischof Richard Williamson die Existenz der Gaskammern der Nazis leugnete, hätte er ihn nicht teilrehabilitiert. Die damalige Entscheidung hatte das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Judentum schwer belastet.
  • Der Papst räumt ein, dass in einigen Fällen die Öffentlichkeitsarbeit des Vatikans versagt habe. Der Fall Williamson sei ein "Super-Gau" gewesen. "Aber leider hat niemand bei uns im Internet nachgeschaut und wahrgenommen, um wen es sich hier handelt."
  • Die jüngsten Missbrauchsfälle seien für ihn in der Größenordnung ein "unerhörter Schock" gewesen, bekennt der Heilige Vater, auch wenn die Sache für ihn nicht ganz unerwartet gekommen sei. Er könne nachvollziehen, dass Menschen aus Protest aus der Kirche austreten würden.
  • Auch gibt sich der 83-Jährige menschlich: "Ich stelle fest, dass meine Kräfte schwinden." Im Hinblick auf den Weltjugendtag nächsten August in Madrid sagt er seine Teilnahme zu, "wenn - so Gott will - ich noch am Leben bin".
  • Zudem stellt er ein Treffen zwischen ihm und dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Kirill, in Aussicht. Das sei in nicht allzuferner Zukunft möglich.

Doch nicht nur der Papst könnte seinem Pontifikat mit dem Buch eine neue Wendung geben, auch der Gesprächspartner des Heiligen Vaters hat einen Coup gelandet. Noch ehe sein Werk "Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit" an diesem Mittwoch erscheint, scheint klar: Es wird ein Bestseller.

Der Vatikan jedenfalls beeilte sich am Sonntag, die Aufregung um das Werk zu mildern. Die Aussagen zu Kondomen seien keine "revolutionäre Wende", sagte Sprecher Federico Lombardi - "bis heute haben wir diese Ansichten aber noch nie mit einer solchen Deutlichkeit aus dem Munde eines Papstes gehört, auch wenn dies in informeller und nicht offizieller Weise geschehen ist". Benedikt XVI. habe in Bezug auf Kondome nur "eine außergewöhnliche Situation betrachtet, in der das Ausüben von Sexualität eine wahre Gefahr für das Leben des Anderen darstellt". Der Vatikan sei weiter der Auffassung, das Aids-Problem sei nicht mit Präservativen zu lösen.

jdl/dapd/dpa/AFP