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U-Bahn-Schläger Torben P.: Hartes Urteil, milde Strafe - DER SPIEGEL
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Urteil gegen U-Bahn-Schläger: Kein Erbarmen für Torben P.

Foto: Clemens Bilan/ dpa

U-Bahn-Schläger Torben P. Hartes Urteil, milde Strafe

Der Richterspruch im Fall Torben P. soll abschrecken: Das Landgericht Berlin verurteilte den 18-Jährigen zu knapp drei Jahren Gefängnis - er hatte in einem U-Bahnhof einen Menschen fast totgetreten. Trotzdem muss der Gymnasiast vorerst keinen einzigen Tag hinter Gitter.

Berlin - Torben P. stützt sich auf seine Fäuste, die auf dem Tisch vor ihm ruhen, die Haltung krumm, fast schlaff. Der Gürtel der dunklen Stoffhose sitzt locker um die kindliche Taille, unter dem hellblauen Hemd zeichnen sich die Rippenbogen ab. Der 1,99-Meter-Mann sieht so abgemagert aus, als könne ihn ein kräftiger Windstoß umwehen.

Mit Mühe und leerem Blick hält Torben P. dem Urteil stand, das verkündet wird, weil er einen Menschen fast totgetreten hat: zwei Jahre und zehn Monate Haft wegen versuchten Totschlags.

Sein Entsetzen entlädt sich in wenigen Sekunden: Er schlägt die Augen nieder, sinkt zurück auf seinen Stuhl, fällt in sich zusammen, verschränkt die Arme auf der Tischplatte, senkt den artig frisierten Kopf.

Das Urteil im Fall Torben P. war schon umstritten, bevor es überhaupt gesprochen war. Soll man einen Jungen aus einer intakten Familie, sozial integriert, nie auffällig geworden, kurz vor dem Abitur einsperren? Einer, der sich selbst der Polizei stellte, ein Anti-Gewalt-Training absolvierte, mehrere Entschuldigungsbriefe an sein Opfer schrieb? Hat nicht gerade so einer eine zweite Chance verdient? Eine Jugendstrafe ohne Bewährung ist Strafrechtsexperten zufolge immer das allerletzte Mittel. Ist das also für einen Jungen wie Torben P. angemessen?

Das Schicksal des Mannes sei Torben P. gleichgültig gewesen, so der Richter

"Der wird doch eh freigesprochen", grantelt die JVA-Beamtin an der Sicherheitskontrolle des Landgerichts. "Geht doch gar nicht, wenn dann kriegt er Bewährung", sagt ihr Kollege. "Is' doch dasselbe!"

In Berlin gab es erst am vergangenen Samstag erneut einen tragischen Vorfall, bei dem drei Männer zwei andere in der U- Bahn belästigten. Ein 23-jähriger Koch flüchtete daraufhin in Panik, rannte vor ein Auto und wurde getötet.

Torben P. hatte auf Erbarmen gehofft. Er sei Täter, kein Opfer und verdiene eine Strafe, hatte er sich in seinem Schlusswort vor wenigen Wochen reuig gezeigt. Aber ins Gefängnis wolle er nicht, bat er.

Muss er wohl auch nicht.

Knapp 90 Minuten lang führt der Vorsitzende Richter Uwe Nötzel am Montag aus, warum die Kammer davon überzeugt ist, dass so einer wie Torben P. ins Gefängnis muss. In allen Details skizziert er, wie es am 23. April dieses Jahres am U-Bahnhof Friedrichstraße um 3.30 Uhr zu der tragischen Begegnung dreier einander unbekannten jungen Männer kommt, die das Leben jedes einzelnen grundlegend verändern wird.

Wie Torben P. aus dem Stand auf den hilflosen Markus P. zuspringt, ihn anbrüllt und ihm weit ausholend eine gefüllte Colaflasche aus Hartplastik an den Kopf knallt. Der 29-jährige Installateur fällt auf den gekachelten Boden. "Kraft- und schwungvoll" tritt Torben P. auf den Kopf des Gestürzten, der regungslos liegenbleibt, so zeichnet es der Richter nach.

Torben P. habe die Gefährlichkeit erkannt und sie hingenommen. Anstatt aufzuhören habe der 18-Jährige gezielt weitere dreimal auf den Kopf des Bewusstlosen getreten und so den Tod seines Opfers einkalkuliert, das Schicksal des Mannes sei ihm gleichgültig gewesen.

Als Torben P. zurücktänzelt und mit dem rechten Bein für einen weiteren Angriff ausholt, greift ein 21-Jähriger ein, ebenfalls größer als 1,90 Meter und mehr als hundert Kilo schwer. Er kassiert von Torben P. Schläge, von dessen Kumpel Nico A. Tritte in den Rücken. Als auch er am Boden liegt, fliehen die beiden Angreifer.

Die Überwachungskameras haben die Tat exakt so aufgezeichnet. Nötzel, der Richter, nennt es ein "Spezifikum des Verfahrens", der Tatablauf sei so bildlich dokumentiert, dennoch hätte die Kammer ihre eigenen Schlüsse gezogen.

Das Gericht glaubt Torben P., dass er über sich selbst schockiert sei

So zum Beispiel, dass Torben P. nur von dem eingreifenden Helfer zu stoppen war. Ein Impuls, den die Kammer so wertet, dass Torben P. die Tat vollenden wollte, dass es nur einem glücklichen Zufall geschuldet sei, dass das Opfer keine schwersten Schädelfrakturen erlitten hat und alles "ein gutes Ende" nahm.

Torben P. habe darauf vertraut, dass es nicht zum Schlimmsten komme, so Richter Nötzel. Aber sobald ein Täter nur darauf hoffe, handele er vorsätzlich. Die Schwere der Schuld stehe außer Frage, Torben P. sei "grässlich entgleist", kein Zweifel. Der Gewaltakt sei so heftig gewesen, dass sich das Gericht nicht imstande sah, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Nico A., der mitangeklagte Freund, wurde zu einer Geldstrafe von 250 Euro und der Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs verurteilt.

Das Aufatmen kommt ganz zum Schluss: Er habe noch etwas anzumerken, sagt Nötzel. Es dränge sich die Frage auf, ob man mit diesem Urteil nicht etwa eine Existenz ruiniere, eine Zukunft zerstöre?

Dem sei nicht so. Die Strafe könne durchaus nach einem Drittel, also nach elf Monaten, zur Bewährung ausgesetzt werden. Trotz Vollstreckung könne Torben P. sein Abitur machen, es gebe viele Strafgefangene, die ganz normal in die Schule gehen, außerhalb der Haftanstalt. Und sowieso seien Jugendstrafen auch im offenen Vollzug möglich. Zunächst solle die Haftverschonung aufrechterhalten werden, Torben P. muss sich einmal pro Woche bei der Polizei melden.

Es klingt, als würde Torben P. trotz des Urteilsspruchs keinen Tag oder nur ganz wenige hinter Gittern verbringen müssen. Vielleicht auch, weil ihm die Kammer glaubt, dass er rückblickend bestürzt und schockiert über sich selbst sei und echte Einsicht gezeigt habe. Weil sie glaubt, dass Torben P. nicht erneut straffällig wird und weil ihm die gnadenlose Berichterstattung und die darauffolgenden Morddrohungen zugesetzt hätten.

Die Verteidigung hatte zwei Jahre Haft auf Bewährung gefordert und will nun eine Revision prüfen. Man fragt sich, warum.