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Behagliche Tendenz - DER SPIEGEL
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HOCHSCHULEN Behagliche Tendenz

Das Hochschulrahmengesetz, Hinterlassenschaft der sozialliberalen Koalition, soll geändert werden: zugunsten von Professoren erster Klasse. *
aus DER SPIEGEL 46/1983

Den ministeriellen Auftrag wollte die CDU-Politikerin nicht mißverstanden wissen. Er sei, so Bonns Bildungsministerin Dorothee Wilms Anfang dieses Jahres, keinesfalls als Aufforderung zu begreifen, »um jeden Preis eine Änderung« des Gesetzes zu empfehlen, doch könnte dergleichen »im Interesse der Leistungsfähigkeit der Hochschulen als notwendig erscheinen«.

Die zwölf Herren, Mitglieder der Expertenkommission zur Untersuchung der Auswirkungen des Hochschulrahmengesetzes und überwiegend konservative Professoren und Wissenschaftsbeamte, verstanden den Wink: ändern schon, aber nicht ganz und gar. Sie dachten ohnedies, wie die christdemokratische Ministerin, kritisch über das Hochschulrahmengesetz (HRG), die bildungspolitische Hinterlassenschaft der sozialliberalen Koalition. Es soll, Wende auch hier, geändert werden.

Das Rahmengesetz, nach jahrelangem Parteienstreit 1975 verabschiedet, besiegelte den Wandel von der herkömmlichen hierarchisch aufgebauten Ordinarienuniversität zur Gruppenuniversität, die den Studenten und Assistenten Mitbestimmung in akademischen Gremien sichert.

Das Gesetz egalisierte, um die »Personalstruktur der Hochschulen von Grund auf neu« zu ordnen, sämtliche Professorentitel, postulierte eine durchgreifende Studienreform und wies die »integrierte Gesamthochschule« als zentralen Bestandteil eines neuen Hochschulsystems aus.

Kernprobleme der deutschen Universität berührte das Gesetz nicht, konnte es gar nicht berühren: den Mangel an wissenschaftlicher Kreativität in Forschung wie Lehre etwa und, als Folge, den drastischen Schwund des internationalen Renommees. Es regelte vielmehr Personalstrukturen und Gremienbesetzungen - offenbar in der Annahme, daß Wissenschaft in erster Linie eine Frage der Organisation wenn nicht gar der Bürokratie sei.

Sowenig seitdem das »neue Hochschulsystem« zu sehen ist - Gesamthochschulen sind Ausnahme geblieben -, sowenig hat sich das Klima in den Hochschulen geändert. Der einst vielbeschworene »herrschaftsfreie Diskurs«, versuchsweise institutionalisiert in der Mitbestimmung aller Gruppen, Studenten, Professoren, Mittelbau, erweist sich im universitären Alltag als Abklatsch dessen, was von Jungakademikern gern als das Finassieren der Berufspolitiker verachtet wird.

Die »transparente«, »demokratisierte« Universität ist in Wahrheit eine Fraktionsuniversität, in der Entscheidungen bis ins Detail in Hinterzimmern vorbereitet werden und das taktische Kalkül Triumphe feiert. Die erfolgreichste Figur in der deutschen Alma mater ist derzeit nicht der introspektiv grübelnde Hochschullehrer, der das Erkannte an andere weitergibt, sondern, so der Bochumer Politologe Peter Weber-Schäfer, der »Verwalter von Studienordnungen, Institutssatzungen und mittelträchtigen Forschungsprojekten über jeweils modische, wenn auch nicht immer relevante Fragen«.

Relevant wäre zumindest gewesen, die Studieninhalte und die Studienziele neu zu bestimmen.

Aber auch diese Gesetzesvorgabe blieb Papier. »Das Geraufe um die Notwendigkeit der Funktionsanalysis und der Quantenmechanik für den normalen Diplomphysiker«, so schildert es der ehemalige Berliner Wissenschaftssenator und heutige Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, »der zähe Kampf um die Zahl der Gußfüllungen beim Zahnmediziner und um die notwendigen Linguistik- oder Altfranzösisch-Kenntnisse beim Lehrer blieb bald mehr, bald weniger ergebnislos« - und füglich auch die endlosen Diskussionen über eine Studienzeitverkürzung, die den überfüllten Hochschulen hätte Entlastung verschaffen können.

Anders: An der Misere der deutschen Hochschulen hat das Rahmengesetz der Sozialliberalen kaum etwas geändert - weder zum Positiven noch zum Negativen. Nun versucht es die Union.

Der Bericht der von Bildungsministerin Wilms berufenen HRG-Kommission steht zwar noch aus. Aber die Experten, unter ihnen der Kieler Politikwissenschaftler _(Bei der Einweihung der Universität ) _(Regensburg. )

Werner Kaltefleiter (CDU) und der Berliner Politologe Hartmut Jäckel (SPD), haben sich unter dem Kommissionsvorsitz des Präsidenten der »Stiftung Preußischer Kulturbesitz« und einstigen Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Professor Werner Knopp, schon weitgehend geeinigt.

Die Tendenz der Vorschläge könnte der Ministerin behagen. Der berichterstattende Beamte des Bildungsministeriums, der bei den Kommissionssitzungen anwesend ist, weist jetzt in einem vertraulichen Vermerk an Frau Wilms auf die »pragmatische Linie« der Expertenempfehlungen hin: Sie seien gekennzeichnet von »Ausgewogenheit und Augenmaß«.

In einem Fünf-Seiten-Papier führt der Referent unter anderem folgende Änderungsempfehlungen der Expertenkommission auf, die, bis Jahresende in »überzeugende Form gegossen«, zur »Erhöhung des Drucks auf eine Novellierung des HRG erheblich beitragen« könnten: *___Der C-2-Professor soll abgeschafft werden. Die Stellen, ____zumeist besetzt von Hochschullehrern, die einst ____Dozenten genannt wurden, sollen »ersatzlos« gestrichen ____werden. Statt dessen ist auf lange Sicht die Vermehrung ____der C-4-Professuren, der ehemals »ordentlichen ____Professoren«, in Aussicht genommen. *___Das Amt des »Hochschulassistenten«, der frei von ____Lehrverpflichtungen und Professorenanweisungen die ____Habilitation anstreben kann, »entfällt« nach den ____Vorstellungen der Kommission. An seiner Stelle soll der ____"Wissenschaftliche Assistent« wiederkehren, der unter ____Anleitung des Professors arbeitet mit einem ____Beschäftigungsanspruch auf maximal zwei mal drei Jahre. ____Hat sich der Jungwissenschaftler innerhalb dieser ____Zeitspanne habilitiert, soll er, so er nicht zum ____C-4-Professor avanciert, noch einmal drei Jahre »der ____Hochschule für qualifizierte wissenschaftliche ____Dienstleistungen zur Verfügung« stehen; dann müßte er ____endgültig ausscheiden. *___Im Akademischen Senat, dem Exekutivorgan der ____Universität, sollen künftig die Professoren stets die ____Mehrheit haben. Wenn im Senat »die absolute Mehrheit ____der Professoren noch nicht erreicht ist«, sollen zwecks ____Mehrheitsherstellung »zusätzlich weitere ____Professorensitze« geschaffen werden. *___Die nach dem HRG vorgesehene »Studienreformkommission«, ____in der Hochschullehrer zusammen mit Ministerialbeamten ____und »Fachvertretern aus der Berufspraxis« Studiengänge ____neu bestimmen sollen, kann nach Meinung der Experten ____"ersatzlos gestrichen« werden. Die Vorstellung, daß ____Gewerkschafter und Arbeitgebervertreter für besondere ____Praxisnähe des Studiums bürgen könnten, wird damit ____aufgegeben.

Wenn diese Revision zustande kommt, wäre das Hochschulrahmengesetz sozialliberaler Prägung entkernt. Wiewohl schon zu Zeiten seiner Entstehung von den Unionsparteien »in vielen, vielen Sitzungen entschärft«, wie der bayrische Kultusminister Hans Maier frohlockte, ist das HRG gleichwohl Symbol geblieben für den Versuch neuer durchgreifender Hochschulreformen - so unzulänglich diese auch gerieten.

Aber die jetzt erwogene Teilrevision beseitigt weder die Schwächen des alten Gesetzes, noch setzt sie neue Maßstäbe. Auch ein neues Gesetz nach Kommissionsart, wiederum nur aufs Organisatorische zielend, kann das Elend in Forschung und Lehre nicht beheben - Umschichtung der Gehaltsstufen macht noch keinen Gelehrten von Rang, und Machtverschiebung in Gremien ist kein Ersatz für wegweisende Forschung oder nützliche Lehre. Wie Ironie nimmt sich aus, daß die Studienreform (Neuregelung der Studiengänge, Verkürzung der Studiendauer) wieder jenen überantwortet werden soll, die sich über 30 Jahre lang als unfähig erwiesen haben, sie zu bewerkstelligen: den Universitäten.

Der Bildungsreferent in der Kommission berichtet denn auch seiner Dienstherrin, daß Kritiker »wenig Angriffspunkte« finden würden. Soll wohl heißen: Eine Novellierung des HRG würde die von der Westdeutschen Rektorenkonferenz, dem Forum der Uni-Rektoren und -Präsidenten, geforderte »Organisationsruhe« an den Hochschulen nicht gefährden.

Denn während den Professoren im Akademischen Senat die Mehrheit sicher sein soll, bleibt es in den Fachbereichen bei der Gruppenrepräsentanz nach dem HRG. Während an der Spitze der Hochschule wieder, wie in alten Zeiten, ein »Rektor« stehen soll, sind ihm dennoch die Befugnisse des mittlerweile üblichen »Präsidenten« zugedacht.

Zurück, aber nicht ganz und nur in kleinen Schritten - das könnte die Devise der HRG-Kommission gewesen sein. Zu wessen Lasten die Rückwendung gehen soll, ist ersichtlich. Die Kommissionsanregung, »der Besoldungsaufwand für den neuen Wissenschaftlichen Assistenten« solle »vermindert« werden, macht das klar: Bei stagnierenden Haushalten sollen auch in der Wissenschaft zuerst die Nicht-Etablierten Opfer bringen.

Deutlich wird diese Tendenz in dem Vorschlag, die C-2-Professorenstellen einfach zu streichen. Häufig nicht habilitiert und allzu oft in den großen »Überleitungsschüben« vor allem zu Beginn und am Ende der siebziger Jahre ohne besonderes Berufungsverfahren zu Professoren ernannt, stehen C-2-Stelleninhaber am Fuß der Professoren-Hierarchie, mit dem geringsten Verdienst. Je drei C-2-Stellen könnten, zusammengelegt,

je zwei neue C-4-Professuren ergeben - so übersichtlich rechnet sich das die Experten-Kommission aus.

Jede wegfallende Professorenstelle hieße, daß die knapper werdenden Haushaltsmittel für Lehr- und Forschungsaufgaben unter weniger Professoren aufgeteilt werden müßten - weniger erhielten mehr.

Die Gelegenheit, per Streichung so manchen unterdurchschnittlich Begabten (Uni-Jargon: »Discount-Professoren") aus Amt und Würde zu jagen, ergibt sich dennoch nicht. Nach geltendem Recht sind Professoren Beamte und als solche unkündbar. Der C-2-Professor bleibt, Wende ohne Ende, der Universität noch wenigstens 25 Jahre erhalten - erst dann werden die letzten Mini-Professoren in den Ruhestand treten.

Bei der Einweihung der Universität Regensburg.

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