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Fast wie im Fasching - DER SPIEGEL
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FILM Fast wie im Fasching

»Kehraus«. Spielfilm von Hanns Christian Müller. Deutschland 1983. 96 Minuten; Farbe. *
Von Fritz Rumler
aus DER SPIEGEL 46/1983

Der Aschermittwoch graut allmählich, doch beim Faschingsball der Versicherungsgesellschaften, »Traumpolice« genannt, leuchtet München noch, und das Leben pulsiert:

Urige Rausschmeißer der Faschingshochburg dreschen einen Null-Zecher vor die Pforte, in der Herrentoilette wird wuchtig gekotzt, die Garderobenfrauen ratschen gemütlich über Krebs und Operationen, und in der Sektbar testen Herren aus der Chefetage die Knautschzonen der Tisch- und Bettdamen.

Aber plötzlich wird, wie so oft im Leben, die Gaudi arg gestört. Aus dem Bierbrodem des Ballsaals haben sich ein paar kleine Angestellte in die Sektbar verirrt, geraten dort an ihre Chefs und erfahren von den launigen Herren frisch Beschlossenes: ihre Kündigung.

Das reißt einem Zorro die Pistole aus dem Halfter, die ist kein Scherzartikel. Der Gefeuerte läuft Amok, schießt den Kronleuchter vom Ballsaalhimmel, München dunkelt, die Massen flüchten, ohne zu zahlen; Kehraus total.

So Knall und Fall endet eine Maskerade, auf die eine Filmstory mit Bedacht und Tücken, mit hundsgemein genauen Beobachtungen und hinterfotzigen Lachreizen hinsteuert - »Kehraus«, der erste Kinofilm der bayrischen Spitzen-Manufaktur für Satire & Abgründiges, der Kompagnons Gerhard Polt und Hanns Christian Müller.

Mit ihren TV-Dramoletten »Fast wia im richtigen Leben« haben die beiden _(Gisela Schneeberger (l.), Gerhard Polt, ) _(Dieter Hildebrandt. )

das Feld des grausam-gemütlichen Alltags schon erfolgreich beackert; in Dieter Hildebrandts »Scheibenwischer« rühren Polt und seine hinreißende Dauerpartnerin Gisela Schneeberger auch in politischen Tunken, etwa in einem bestimmten Kanal.

»Kehraus« bringt die Polt-Welt nun in ein dramaturgisch festes Gefüge, eine Welt so kalt wie das Land, in dem ein anderer Bayer Ananas pflanzen wollte, bevölkert von Leuten, die sich in herzlichem Bayrisch infam traktieren und deren Seelen von Frost- und Frustbeulen deformiert sind.

Es ist eine Komödie aus lauter kleinen Tragödien. Sie spielt im Milieu der Angestellten, in einer Versicherungsgesellschaft namens »Fidelitas«, und sie ist auch ein beißender Sozialreport über Menschen im Pump- und Hebelwerk der Hierarchie.

In diese Welt tapst Polt wie ein gutmütiger Braunbär, in der Rolle eines Gabelstaplerfahrers, dem dämmert, daß ein Agent der »Fidelitas« ihn geleimt hat. Der Klinkenputzer, Nikolaus Paryla als armer Nestroy-Teufel, schwatzte ihm so viel Policen auf, daß sein halber Lohn draufgeht - mit der Verheißung: »Ein ausgelaufenes Auge, ein steifer Arm, und Sie sind ein gemachter Mann.«

Polt, ein sanfter Kohlhaas, will wenigstens den einen oder anderen Kontrakt rückgängig machen. Im Palast der »Fidelitas« läuft er jedoch ins Leere, der Agent verkrümelt sich vor ihm, im Reklamations-Büro stößt er auf Situationen fast wie im richtigen Leben:

Ein Bierdimpfel dröselt vor sich hin, der ewige Witzereißer gackert, Büro-Brunft lurcht umher, und das Inbild einer Sekretärin - die wieder hinreißende Gisela Schneeberger als ausgestopftes ältliches Mädchen - geht voll im Beruf auf, Tratschen am Telephon, Kaffeekochen und Diät-Diskussionen.

Per Zufall gelangt Polt in den Tempelbezirk der Chefetage, wo die Herren vom Vorstand - darunter Dieter Hildebrandt als eisiger Burberry-Elegant - gerade Rationalisierungs-Maßnahmen beraten: eine vitriolische Gruselszene.

Wir da oben, ihr da unten - per verstecktem Video schnorcheln die Herren die »Fidelitas«-Büros nach Opfern ab, wie Amöben unterm Mikroskop liegen die kleinen Angestellten bloß; ehe die Herren zum Faschingsball eilen, steht die Liste der Gekündigten.

Dorthin eilt dann auch der nimmermüde Gabelstaplerfahrer, um den Agenten doch noch zu stellen - und bei den Maskierten fallen dann die Masken ab, auch die Gesichter: »Kehraus« ist ein großer, böser Gaudi-Film in der Tradition des schwarzen Volkstheaters, Ahnherr Horvath und Ahnfrau Marieluise Fleißer schweben über ihm.

Zum Schluß darf es »menscheln«, wie Polt sagt: Der Gabelstaplerfahrer und die ältliche Sekretärin finden sich zum Glück im Winkel. Fritz Rumler

Gisela Schneeberger (l.), Gerhard Polt, Dieter Hildebrandt.

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