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Schnell denken, scharf schießen - DER SPIEGEL
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KARRIEREN Schnell denken, scharf schießen

Im Hintergrund der neuen niedersächsischen Regierung führen zwei politische Jungstars Regie. Die Fraktionschefs David McAllister und Philipp Rösler sind so, wie Ministerpräsident Wulff nicht sein kann: ruppig, frech und deutlich.
aus DER SPIEGEL 11/2003
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Als David McAllister klein war, acht Jahre alt, lebte er in Berlin. Er wollte ins Grüne reisen, doch im Weg stand eine Mauer. Die Mauer, schrie Franz Josef Strauß, hatten die Russen gebaut. »Freiheit statt Sozialismus«, schrie Strauß, und David McAllister flüsterte: »Aha, Freiheit statt Sozialismus.« So fing das an mit der Politik.

Als Philipp Rösler 18 war und auf die Lutherschule in Hannover ging, ließ sich einer der Lehrer für die Republikaner in den Stadtrat wählen. »Wenn das Extreme hoffähig wird, wird es gefährlich«, sprach Rösler und ließ sich zum Schulsprecher wählen. Er erreichte, dass der Republikaner als Vertrauenslehrer zurücktrat, und er begann, alles zu hinterfragen, »Kaiser, König und den lieben Gott«. So fing das an mit der Karriere.

Und jetzt sitzen David McAllister und Philipp Rösler im Saal 117 des niedersächsischen Landtages, sie sitzen unter einer Uhr, die die Verschuldung ihres Bundeslandes anzeigt: 42 509 674 792 Euro sind es gerade, alle zwei Sekunden kommen 90 Euro dazu. McAllister und Rösler sitzen hier hinten auf einem Tisch, und vorne stehen zwei blasse Parteichefs und reden davon, wie sie Niedersachsen umkrempeln wollen. Von Wirtschaft, Bildung, innerer Sicherheit und Sparsamkeit sprechen Christian Wulff (CDU) und Walter Hirche (FDP), und die beiden jungen Männer hier hinten lächeln und nicken.

»Natürlich ist man stolz«, sagt Philipp Rösler, inzwischen 29.

»Ich bin sehr glücklich, nein, glücklich ist das falsche Wort. Ich bin zufrieden und durchaus gespannt«, sagt David McAllister, inzwischen 32.

Die beiden sind politische Stars in Niedersachsen. Sie haben ja schon andere Lebensläufe als die meisten Landespolitiker, weil McAllister einen schottischen Vater hatte und weil Rösler ein vietnamesisches Waisenkind war. »Sie haben gut Deutsch gelernt«, diesen Satz hören beide oft, wenn sie von Bauernhof zu Bauernhof fahren.

Die beiden sind die Jüngsten im Machtzentrum. Sie sind die Fraktionschefs von CDU und FDP, und sie waren die Drahtzieher der Koalitionsverhandlungen; vor allem aber sind sie so, wie ihre Parteichefs niemals sein werden: furchtlos, skrupellos und gern auch mal demagogisch.

Sind sie die Prototypen einer neuen Polit-Generation?

Die beiden seien nur »Turbo-Typen« mit »altbackenen Ideen«, sagt Rebecca Harms von den Grünen. Jedenfalls sind sie ein Kulturschock: für Harms, für SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel, aber auch für diejenigen in CDU und FDP, die meinen, junge Leute müssten sich hinten anstellen, und für jene sowieso, die anmerken, ein paar Brüche, ein wenig Lebenserfahrung könnten auch Politikern nicht schaden.

David McAllister landete damals zufällig in Niedersachsen. Sein Vater, britischer Soldat, wurde 1982 eines der Opfer von Margaret Thatchers Frühpensionierungswelle, die Familie musste die Wohnung in Berlin räumen, und der Makler bot halt ein Haus in Bad Bederkesa an, plattes Land, Kreis Cuxhaven, 5000 Seelen.

Heute ist David McAllister dort derart verwurzelt, dass es die Linken gruselt. Er wurde Schützenkönig von Bad Bederkesa, liebt es deftig, füllt die Bierzelte. Wenn die Bauern stampfen und grölen, schiebt Christian Wulff seinen Mann fürs Derbe nach vorn, und dann stimmt McAllister, ehedem Knabensopran im Berliner Staats- und Domchor, die Hymne an: »Wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen.«

Man müsse »die Roten wegfegen«, sagte er im Wahlkampf, und einen aus Gabriels Regierung nannte er einen »Oberschlauen, der viel Mist erzählt«. Es gibt kein Kino und keine Fußgängerzone in McAllisters Wahlkreis, es gibt nur Dörfer und Höfe, und wenn ein Unverheirateter mit britischem Namen dort etwas werden will, muss er vermutlich so auftreten. Oder so sein.

Und dann sitzt David McAllister bei Kaffee und Wasser im Restaurant des Landtags und referiert Biografisches. Wie er mit Fußball und Tischtennis Fuß fasste im Norden. Wie die SPD »flächendeckend die Gesamtschule einführen und unser schönes Gymnasium platt machen wollte«. Wie er sich mit ein paar Freunden zusammentat und »Black is beautiful«- und »Weiter so Deutschland«-Aufkleber auf die Schulranzen pappte.

Es waren die Achtziger, die Jahre der Anti-Atomkraft-Bewegung, und McAllister sagt, er habe es genossen, Außenseiter zu sein. Er ging in die Junge Union, wurde Kreisvorsitzender. Dem damaligen Landtagsabgeordneten Martin Döscher fiel der Bursche auf, weil er so gut reden konnte. »David feiert und ist am nächsten Morgen trotzdem wach. Die älteren Frauen hätten ihn gern als Schwiegersohn«, sagt Döscher, heute 68 Jahre alt und ehrenamtlicher Landrat.

McAllister studierte dann Jura in Hannover, gewann seine ersten Wahlen in Bad Bederkesa, gratulierte Christian Wulff, als der erstmals Spitzenkandidat wurde, wurde selbst zunächst Bürgermeister und schließlich Fraktionschef im Kreistag. Dann machte ihn Wulff zum Generalsekretär. »Der bringt Polemiken, die ich nicht bringe und nicht bringen will«, sagt Wulff.

Es ist Mittwochvormittag in Hannover, es geht um die Aussprache zur Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten, und im Landtag, unter dem weißen Niedersachsenpferd, steht der neue Fraktionschef und muss die Rede des Ex-Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel kontern.

Am Samstag, auf dem kleinen Parteitag in Bad Fallingbostel, war er in Form; er holte 100 Prozent für den Koalitionsvertrag, es war leicht, es waren seine Leute.

Jetzt ist er nervös.

Er verhaspelt sich.

»Sie tragen die Ursache dafür, dass ...«, ruft er und stockt. Die Bürokratie sei »drastisch zu entschlanken«, ruft er, was das Gegenteil dessen ist, was er meint. Er hat rote Backen und blickt oft nach unten aufs Manuskript.

Und trotzdem feiern sie ihn hinterher stehend, denn auch ein mäßiger McAllister ist zumindest laut. Und schrill. Und scharf. Das Wahlergebnis »ist eine ganz persönliche Niederlage für Sie, Herr Ministerpräsident a. D.«, hat er langsam zu Gabriel gesagt, und der konnte sich nur dadurch helfen, dass er im Pressespiegel blätterte; es sollte vermutlich lässig wirken und wirkte doch bloß beleidigt.

Die Regierungsfraktion, die McAllister nun anführt, will ein Drittel aller Vorschriften und Verordnungen abschaffen und die Bezirksregierungen gleich mit. Freiheiten für den Mittelstand will sie entstehen lassen. Sie will die Orientierungsstufe an den Schulen streichen und für Zucht und Ordnung sorgen. »Illegale Graffiti« seien »nicht Ausdruck künstlerischer Freiheit benachteiligter Jugendlicher, sondern schlicht Sachbeschädigung«, ruft McAllister, und »tüchtige Polizeibeamte brauchen Rechtssicherheit«, also zum Beispiel die Berechtigung zum finalen Rettungsschuss. Und nicht zu viel von diesem lästigen Datenschutz.

Ein Rechtsaußen? Der Erbe Wilfried Hasselmanns? Hasselmann, am 9. Januar gestorben, liebte Bismarck, war Landwirt und über 20 Jahre lang Landesvorsitzender der CDU. »Die Terroristen dürften bei konsequenter Haltung auch kein Wasser bekommen, dann ginge es schneller«, sagte er mal. »Ernst am Schaufenster, ich an der Theke«, so begriff Hasselmann das Duett mit dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, und es gibt kaum jemanden in der Union, der das neue Duo nicht an dem alten misst.

Ist McAllister also Christian Wulffs Hasselmann, der Brandredner des ruhigeren Regierungschefs? »Solche Vergleiche halte ich für vermessen«, sagt McAllister, »die Schuhe Wilfried Hasselmanns sind so groß.« Dann überlegt er und erzählt, wie sie ihm nach den ersten Reden auf die Schulter klopften, wie sie ihn lobten und beklatschten und, nun ja, wie sie ihn irgendwann mit Hasselmann verglichen. »Aber das würde ich nie tun, dazu bin ich viel zu bescheiden«, sagt er.

David McAllister und der neue FDP-Fraktionschef Rösler sind Freunde. »Wir vertrauen uns, wir würden uns nicht in die Pfanne hauen«, sagt Rösler. »Ich bin der Konservativ-Liberale, und Philipp ist der Liberal-Konservative«, sagt McAllister. Die zwei haben sich untergehakt, vor Jahren schon, und gemeinsam sind sie nun nach oben gekommen.

Es ist Mittwochmittag in Hannover, und der Redner Rösler ist bei seinem ersten Auftritt besser als Gabriel, besser als Harms, besser als McAllister. Einen Fraktionsvorsitzenden, der seine Antrittsrede ohne Manuskript und ohne Merkzettel hält, gab es noch nicht in Hannover. Rösler streift Wulffs Regierungserklärung nur, er redet ganz grundsätzlich über Freiheit und Liberalismus, ruppig redet er. »Wir lassen uns nicht wegtragen von Polizeibeamten, die eine Generation später unsere Bodyguards werden«, sagt er, und seine Freidemokraten johlen. Und als Rösler fertig ist, lässt er sich auf seinen Platz fallen, öffnet den zweiten Hemdknopf und schnauft.

»So aggressiv und hart bin ich eigentlich gar nicht«, sagt Philipp Rösler am Tag danach. Er hat sich inzwischen das Video angeguckt und über sich selbst gestaunt. Gefallen hat er sich durchaus.

Rösler trägt eine randlose Brille und hat stets sein Mobiltelefon im Blick. Er sitzt nun in einem Restaurant, aber er will nichts trinken, nichts essen, er will zur Sache kommen. Rösler kann ziemlich schneidend wirken und sagt, sein Feh-

ler sei, »dass ich superungeduldig sein kann«. Seine Stärken, sagt er, seien schnelles Denken und schnelles Entscheiden. Rösler war mal einer dieser Hochbegabten, die in der Schule die Leistungsfächer Mathe und Physik belegen und das Abitur mit 1,6 schaffen. Und bevor sie hauptberuflich in die Politik gehen, belegen Menschen wie Rösler Rhetorik-Seminare.

Einer wie er fällt auf im niedersächsischen Landtag, nicht nur äußerlich.

Neun Monate alt war Rösler, als er aus Vietnam nach Deutschland gebracht wurde. Er weiß, dass er aus einem katholischen Waisenhaus stammt, aus der Nähe von Saigon. Aber von den beiden Schwestern Sylvie und Mary Martha, die ihn und 3000 andere Kinder des Krieges durch die ersten Monate ihres Lebens brachten, hat er nur gelesen, er war nie wieder dort. »Diese Neugierde, woher komme ich, hatte ich nie«, sagt er.

Sein »Papa«, wie er seinen deutschen Adoptivvater nennt, war Pilot bei der Bundeswehr, Philipp Rösler wollte zunächst Hubschrauberarzt werden. Er verpflichtete sich und studierte Medizin. Sein Papa war auch bei den Jusos, damals in Celle, als Celle »schwarz-braun« war, wie Rösler sagt; im Rest der Republik war gerade die »Willy wählen«-Zeit.

Doch die Jusos waren Rösler zu marxistisch. Die Junge Union war ihm zu autoritär. Und die Grünen waren ihm zu ideologisch. Also ging er zu den Jungen Liberalen und wurde »sehr, sehr schnell Landesvorsitzender«. Man macht Politik, sagt Philipp Rösler, »weil man überzeugt ist, dass das, was man gedacht hat, richtig ist. Und weil man dann an der Realität messen kann, ob man wirklich richtig gedacht hat«.

Rösler und McAllister denken, dass die Politik die Deutschen wegführen müsse von dem, was beide Rundumversorgung nennen. Der Staat, das sagen ebenfalls beide, solle sich beschränken auf Sicherheit, äußere wie innere, und auf Justiz und Bildung. Ansonsten müsse der Staat seinen Bürgern vor allem Luft verschaffen.

Natürlich wissen beide, dass Zufälle sie nach oben gespült haben; ohne Gerhard Schröder und ohne Sigmar Gabriel hätten sie gar nichts gewonnen. »Auf Bundeskanzler studieren kann man nicht«, sagt McAllister, »man braucht die Zufälle.«

Und natürlich ahnen beide, dass sich mit dem Machtwechsel nun alles verändert hat für sie. »Diese Erwartungshaltung«, sagt McAllister und zitiert die vielen neuen Freunde: »David, du musst Gabriel in Schach halten, David, du musst die Fraktion schärfen, du musst die Regierung stützen und zugleich die Regierung treiben, und auf Schützenfesten musst du draufhauen und gleichzeitig jedes Wort abwägen, weil die Presse nur auf deine Fehler lauert. Ja ja.«

Rösler sagt, dass er künftig wohl auch die eigene Freiheit hüten müsse. Als Arzt arbeitet er ehrenamtlich für die Caritas; er möchte gewappnet sein, falls in fünf Jahren die FDP wieder unter die Fünfprozenthürde rutscht - oder falls jene, die ihn so schnell nach oben gehoben haben, ihn irgendwann wieder hinabreißen. »Feind, Todfeind, Parteifreund«, die lustige Steigerung kennt Rösler bereits. Und wie anstrengend dieses »Klima des kontinuierlichen Misstrauens und Aufpassens« in der professionellen Politik ist, das hat er auch schon registriert.

Es ist halt eine Sucht. »Kennen Sie den Unterschied zwischen Politikern und Alkoholikern?«, fragt Philipp Rösler. Ganz einfach: »Mit Alkohol kann man aufhören.« KLAUS BRINKBÄUMER

* FDP-Politiker Ulrike Kuhlo, Philipp Rösler, Carl-LudwigThiele, Walter Hirche, CDU-Politiker Christian Wulff, DavidMcAllister, Ursula von der Leyen, Hartmut Möllring, Uwe Schünemannam 3. März in Hannover.

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