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Näher ans Ruhrgebiet - DER SPIEGEL
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RADIO LUXEMBOURG Näher ans Ruhrgebiet

aus DER SPIEGEL 9/1958

Noch ehe die Frage entschieden ist, ob es in der Bundesrepublik zukünftig neben dem »Deutschen Fernsehen« noch ein zweites, von Privatfirmen betriebenes (Werbe-)Fernseh-Programm geben wird, hat sich unvermittelt für die westdeutschen Funkhäuser eine andere Ätherkonkurrenz etabliert: Der Rundfunksender »Radio Luxembourg« hat begonnen, Unterhaltungssendungen für deutsche Radiohörer auszustrahlen. Vom kommenden Monat an will der Privatsender seine Versuchssendungen zu einem regelmäßigen deutschsprachigen Mittelwellen-Programm ausbauen, das aus den Werbe-Etats westdeutscher Firmen finanziert werden soll.

Hauptstoßrichtung der Werbefunk-Attacke ist das Sendegebiet des »Westdeutschen« und des »Norddeutschen Rundfunks«. Beide Rundfunk-Anstalten haben nämlich mit dem Hinweis auf die »erzieherischen und volksbildnerischen Aufgaben des Rundfunks« bisher jede Art von Werbesendungen in ihren Programmen unterbunden *. »In dieses Vakuum wollen wir hineinstoßen«, gesteht »Radio Luxembourg« -Programmdirektor Claude Fischer.

Die französisch-luxemburgische Aktiengesellschaft »Compagnie Luxembourgeoise de Telediffusion« - die Betriebsgesellschaft von »Radio Luxembourg« - ist auf Sendungen für das Ausland spezialisiert. Ähnlich wie die kommerziellen Stationen »Radio Monte Carlo«, »Radio Andorra« und »Europa I« (SPIEGEL 6/1958) profitiert auch »Radio Luxembourg« von der Tatsache, daß es bei den meisten staatlichen Rundfunkanstalten in Westeuropa, insbesondere in Frankreich und England, keinen Werbe-Rundfunk gibt. Das Publikum hört aber offenbar die geschickt zusammengestellten Programme der Werbesender gern.

Die Betriebsgesellschaft unterhält in dem Zwergstaat, der zu dreißig Prozent am Reinerlös der Werbefunkgeschäfte mit dem Ausland beteiligt ist, mehrere Sendeanlagen:

> einen Langwellensender (Wellenlänge: 1293 Meter) mit einem Programm in französischer Sprache, dessen Stammhörerzahl in Frankreich, Belgien, der Schweiz und Nordafrika auf mehr als zehn Millionen geschätzt wird;

> einen Mittelwellensender (Wellenlänge: 208 Meter), der morgens Sendungen in flämischer Sprache überträgt und von 18 bis 24 Uhr über Richtstrahler ein Programm in englischer Sprache nach Großbritannien sendet;

> einen Kurzwellensender (49 - Meter-Band) mit dem Programm des Mittelwellensenders und

> einen Fernsehsender, der bis zu 150 Kilometer tief nach Frankreich hineinreicht.

Die Programme produziert die Sendegesellschaft in ihren Studios in Luxemburg, Paris, London und Brüssel. Sie verfügt über einen Stamm versierter Programmfachleute, ein eigenes Symphonieorchester und einen Zirkus. Die Kosten dieses stattlichen Apparates bestreitet die Gesellschaft ausschließlich aus Werbe-Einnahmen.

Bereits im vergangenen Jahr hat nun »Radio Luxembourg« begonnen, eine Werbefunk-Attacke auf Westdeutschland vorzubereiten. Die luxemburgischen Funkleute verlegten, noch ehe sie die erste. deutsche Ansage über ihren Sender verbreiteten, die Sendemasten der 350 Kilowatt. starken Mittelwellenstation in die Nordostecke des- Landes. Kommentierte Programmdirektor Fischer: »Wir wollten den Empfang in Belgien und Holland verbessern - den Hintergedanken, daß wir damit näher an das Ruhrgebiet heranrücken, hatten wir natürlich auch schon.«

Einige Zeit später startete der Sender - vorerst noch ohne Werbe-Einblendungen - das erste Nachmittagsprogramm mit deutschen Ansagen, um zu testen, »wie wir in Deutschland ankommen«. Als Sprecherin setzte die Direktion eine Sekretärin aus der England-Abteilung ein, eine Luxemburgerin namens Elisabeth Merkels. Die Dame besaß eine »liebe, anheimelnde Stimme« - eine Voraussetzung, die »Radio Luxembourgs« Programmplaner bei Deutschland-Sendungen für unerläßlich hielten.

Gegenwärtig überträgt der Sender jeden Tag von 14 bis 18 Uhr - in der Zeit also, in der sich bundesdeutsche Funkstudios hauptsächlich mit Schul- und Wirtschaftsfunk sowie matter Kaffeehaus-Musik beschäftigen- ein Musikprogramm, das nach Ansicht der luxemburgischen Werbefunker dem deutschen Hörergeschmack entspricht: Es reicht von Bing Crosby über Lys Assia bis zu Mozart - reiner Jazz ist verpönt.

Zwischendurch plaudert Elisabeth, die Sprecherin mit der anheimelnden Stimme: »Nun setzen Sie sich mal schön an den Kamin, den Rest besorgen wir.« Sie erzählt, wie es ihr geht, ob es in Luxemburg

schneit oder regnet, zitiert Goethe-Worte und wünscht den deutschen Hörern immer wieder »alles Schöne und Gute«.

Über den Erfolg dieser nachmittäglichen Radio-Unterhaltung sind die Luxemburger Funkleute selbst überrascht: »Wir haben noch nie auf irgendeine Sendung in irgendeiner Sprache soviel Hörerpost bekommen«, versicherteProgrammdirektor Fischer. »Besonders Hausfrauen -und Autofahrer schreiben, sie könnten die Wortsendungen des deutschen Rundfunks nicht mehr hören; viele schimpfen auf die langweiligen Programme am Sonntagnachmittag.«

Für die nächste Zeit plant »Radio Luxembourg« zunächst täglich von 14 bis 18 Uhr Wunschkonzerte mit Werbe-Einblendungen und mit der Stimme Elisabeths. Von dem Erfolg dieser Sendungen soll es abhängen, ob der Sender später auch in den Abendstunden ein deutschsprachiges Programm ausstrahlen wird. Das Werbefunkgeschäft des Senders in England hat in der letzten Zeit etwas nachgelassen, seit neben »Radio Luxembourg« auch die kommerzielle englische Werbefernseh-Gesellschaft »I.T.A.« von den Reklame-Etats britischer Firmen lebt. Die Luxemburger erwägen deshalb, ihr englischsprachiges Abendprogramm einzuschränken und durch Sendungen für Deutschland zu ersetzen.

Nach dem Muster der England-Programme sollen den deutschen Radiohörern dann allabendlich »gesponserte«, das heißt von Markenartikel-Firmen bezahlte Kriminalhörspiele, Schlagerwettbewerbe und Kabarett-Übertragungen geboten werden. Die Erfahrungen der Werbefunk-Leute scheinen zu beweisen, daß derartige Unterhaltungssendungen Millionen Hörer an die Lautsprecher locken. In England zum Beispiel gehören bestimmte »Radio-Luxembourg«-Hörfolgen zu den beliebtesten Rundfunksendungen überhaupt, so etwa

> die Kriminial - Reihe »Spike Harrigan« ("Wir bringen Ihnen die Abenteuer Spike Harrigans, des berühmten Privatdetektivs, dessen Fälle ihn mit den finstersten Figuren Amerikas zusammenführen. Heute laden wir Sie ein, ihm hinter die glitzernde Fassade der New-Yorker Unterwelt zu folgen..) oder

> die Musik-Serie »Glückszahl« ("Wir laden Sie ein, zu erproben, was unsere Schallplatten-Bibliothek Ihnen zu bieten hat. Schicken Sie uns Ihr Geburtsdatum ein, wir suchen die Platte aus, die Ihr Datum trägt, und spielen sie für Sie.").

Außerdem beabsichtigen die Programmplaner von »Radio Luxembourg« Massen-Quiz-Veranstaltungen ("Wir denken an die Dortmunder Westfalenhalle") auf ihrer deutschen Werbewelle zu übertragen.

Den Beginn des deutschsprachigen Werbeprogramms will »Radio Luxembourg« Ende März in den großen Tages- und Wochenzeitungen Nordwestdeutschlands durch Anzeigen bekanntgeben. Für den Fall, daß die, deutschen Rundfunkzeitschriften dem ausländischen Werbesender nicht genügend Platz einräumen sollten, haben die Luxemburger einen besonderen Plan: Sie wollen die Programmvorschau jede Woche einmal als Anzeige in deutschen Zeitungen veröffentlichen.

Die erste deutsche Filiale der Verkaufsorganisation des Senders ist in Frankfurt am Main bereits eröffnet. Sie sucht nach den Werbekunden, die Radio Luxembourgs« weitgespannte Deutschlandpläne bezahlen sollen. »Wenn wir mit unserem attraktiven Programm erst einmal genügend Hörer gewonnen haben«, glaubt der Deutschland-Vertreter des Senders, Stoldt, »dann kommen die Firmen von allein und wollen Werbezeit oder auch komplette Sendungen kaufen.«

* Der Norddeutsche und der Westdeutsche Rundfunk wollen in ihren Fernseh-Programmen »in der nächsten Zeit täglich sechs Minuten für Werbung zur Verfügung stellen«; Im Ton-Rundfunk der beiden Anstalten gibt es keine Werbesendungen

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