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IAA in Frankfurt: "Autoindustrie, die Party ist vorbei" - DER SPIEGEL
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Proteste gegen IAA "Die Party ist vorbei"

Fußgänger und Radfahrer sollen sich die Städte von den Autos zurückerobern, haben Tausende Menschen bei Protesten gegen die Frankfurter Automesse gefordert. Die Demo zielte aber nicht nur auf die Autoindustrie.

Tausende Menschen haben sich in Frankfurt am Main zu einer Großdemonstration gegen die Automesse IAA versammelt. Sie forderten eine grundsätzliche Kehrtwende in der Verkehrspolitik für besseren Klimaschutz. Die Veranstalter schätzten die Zahl auf 25.000. Die Polizei ging von rund 15.000 Teilnehmern aus.

Zu den Protesten hatte das Bündnis #aussteigen aufgerufen, zu dem sich Klimaschutz- und Umweltgruppen zusammengeschlossen haben. Sie werfen der Autoindustrie vor, den Wandel zu emissionsfreier Elektromobilität nicht entschlossen genug voranzutreiben und unter anderem weiter auf klimaschädliche Stadtgeländewagen (SUV) zu setzen. Die Proteste richten sich aber auch an die Politik.

Die Demonstranten zogen nach Polizeiangaben auf dem Fahrrad und zu Fuß friedlich aus mehreren Richtungen zum IAA-Gelände. Kurzzeitig mussten Abschnitte der Autobahnen A648 und A661 für die Teilnehmer einer Fahrrad-Sternfahrt gesperrt werden. "Heute haben sich Zehntausende Menschen zu Fuß und auf dem Fahrrad die Stadt von der Autoindustrie zurückerobert", erklärten die Organisatoren. "Die Zeit für protzige Spritschlucker und immer größere SUV ist vorbei."

Mit der Verkehrswende soll der Ausstoß klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) gesenkt und die Erderwärmung gebremst werden. Die Demonstranten stellten dazu konkrete Forderungen auf. Sie pochten

  • auf ein sofortiges Ende von Verbrennungsmotoren
  • eine Abkehr von spritschluckenden SUV
  • einen Umstieg auf kleine sparsame Elektroautos
  • den Umbau der autogerechten zur fahrrad- und fußgängerfreundlichen Stadt
  • einen klimaneutralen Verkehr bis zum Jahr 2035

Stegner fordert höhere Besteuerung von SUV

"Schluss mit der Autovorrangpolitik in Städten und Gemeinden", forderte Ernst-Christoph Stolper, stellvertretender Chef des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bei der Abschlusskundgebung vor der IAA. Christoph Bautz, Geschäftsführer der Organisation Campact, rief bei der Kundgebung: "Autoindustrie, die Party ist vorbei."

Den Trend zu SUV kritisierte die Vorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland, Kerstin Haarmann. Sie sprach von Millionen "Panzern" auf den Straßen, die eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer seien.

Via Twitter bekam sie Unterstützung von SPD-Bundesvize Ralf Stegner. Der nutzte die Proteste, um eine höhere Besteuerung von SUV zu fordern: "Das ist ökologisch geboten, trifft finanziell die Richtigen, stärkt Verkehrssicherheit gerade für Kinder", schrieb Stegner am Samstag auf Twitter.

Stegner, der sich zusammen mit Gesine Schwan um den SPD-Vorsitz bewirbt, will die Geländewagen am liebsten gar nicht auf deutschen Straßen sehen: "Die PS-Ungetüme passen eher in unbefestigte Pisten des Wilden Westens als in unsere Städte", meinte der Oppositionschef in Schleswig-Holstein.

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Proteste gegen IAA: "Ich merkel nix vom Klimawandel"

Foto: Wolfgang Rattay / REUTERS

Mit dem Protest wollen die Demonstranten auch die Bundesregierung unter Druck setzen, Maßnahmen für einen klimaneutralen Verkehr bis 2035 zu ergreifen. "Mit dem Klimaschutzgesetz in diesem Jahr muss Tempo in die Verkehrswende kommen", forderten die Umweltverbände. Dem Verkehr komme eine besondere Rolle zu. Einzig im Verkehrssektor seien die klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen in den vergangenen 30 Jahren nicht gesunken. Am Freitag will die Bundesregierung ein Klimapaket verabschieden.

Wie sich die Autoindustrie verteidigt

Die Autoindustrie ist unter dem Druck der EU-Grenzwerte für CO2 und des Pariser Klimaschutzabkommens seit einigen Jahren dabei, auf Elektroautos umzustellen. Doch Volkswagen, Daimler und BMW gehen davon aus, dass in zehn Jahren erst rund die Hälfte ihrer Neuwagen emissionsfrei ist.

"Dass wir uns so öffentlich zum Pariser Klimaschutzziel bekennen, hätte es vor zwei Jahren nicht gegeben", hatte der scheidende Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Bernhard Mattes, bei einem Bürgerdialog eingeräumt. Klimaschutz und nachhaltige individuelle Mobilität seien jedoch kein Gegensatz.

Mattes meinte, nicht Verbote - sondern Innovationen und technologischer Fortschritt würden das Problem von Emissionen lösen. Die Autoindustrie werde in den nächsten drei Jahren 40 Milliarden Euro in alternative Antriebe investieren. Bis 2023 werde sie ihr Angebot an E-Autos und Hybridwagen verfünffachen.

BUND-Redner Stolper hielt diesem Argument entgegen: Hybride, die nur ein kurzes Stück batterieelektrisch fahren und auf längeren Strecken mit Verbrennungsmotoren, seien die nächste Trickserei nach dem Diesel.

Weggang aus Frankfurt nicht ausgeschlossen

Die IAA zählte am ersten Publikumstag nach VDA-Angaben rund 60.000 Besucher. Die Messe leidet unter Ausstellerschwund. Der Veranstalter VDA, in dem die Autobauer und Zulieferer in Deutschland zusammengeschlossen sind, will daher das Konzept überdenken. Ein Weggang der Autoschau aus Frankfurt ist dabei nicht ausgeschlossen. VDA-Präsident Mattes hatte nach internen Querelen noch am Eröffnungstag in dieser Woche seinen Rücktritt erklärt.

Bereits am Donnerstag hatte es am Rande des traditionellen Rundgangs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf der IAA Proteste gegeben. Am Freitag hatten Teilnehmer der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" in Frankfurt gegen die Autoshow protestiert.

Am Sonntag wollen Mitglieder der Organisation "Sand im Getriebe" mit friedlichen Blockaden den Ablauf der Messe stören. Die Organisation Attac hält zudem zwei Mahnwachen ab. Für mehr Lebensqualität in den Städten müsse das Auto zurückgedrängt werden, fordern die Organisatoren. Die Polizei erwartet mehrere Hundert Teilnehmer.

Die IAA öffnet ihre Tore am Samstag für das breite Publikum. Sie endet kommende Woche Sonntag.

fok/Reuters/AFP/dpa