Freier Zugang zu harmonisierten technischen Normen in der EU

Europäische harmonisierte technische Normen über die Sicherheit von Spielzeug müssen für Unionsbürger zugänglich sein.

Freier Zugang zu harmonisierten technischen Normen in der EU

Public.Resource.Org und Right to Know sind zwei gemeinnützige Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, allen Bürgern das Recht frei zugänglich zu machen. 2018 beantragten sie bei der Kommission, ihnen Zugang zu auf Unionsebene harmonisierten technischen Normen im Bereich der Sicherheit von Spielzeugwaren zu gewähren. Diese Normen betrafen im Einzelnen chemisches Spielzeug und chemische Experimentierkästen. Die Kommission lehnte ihren Antrag ab.

Das daraufhin von den beiden Organisationen angerufene Gericht der Europäischen Union bestätigte im Jahr 2021 diese Ablehnung und wies die Klage ab1. Im Rechtsmittelverfahren stellte der Gerichtshof der Europäischen Union nunmehr jedoch fest, dass an der Verbreitung der harmonisierten Normen über die Sicherheit von Spielzeugwaren ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, da diese Normen wegen ihrer Rechtswirkungen Teil des Unionsrechts sind. Daher hob der Unionsgerichtshof das Urteil des Unionsgerichts auf und erklärt den Beschluss der EU-Kommission für nichtig:

Der Gerichtshof der Europäischen Union weist darauf hin, dass das Unionsrecht, namentlich die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, jedem Unionsbürger und jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat den Zugang zu Dokumenten gewährleistet, u. a. zu denjenigen, die sich im Besitz der Europäischen Kommission befinden. Der Zugang zu einem Dokument kann allerdings verweigert werden, falls durch dessen Verbreitung der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums, beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

Im vorliegenden Fall sind die Normen über die Sicherheit von Spielzeug harmonisierten Normen Teil des Unionsrechts. Eine Unionsvorschrift kann nämlich solchen Normen Rechtswirkungen verleihen, insbesondere wenn für Erzeugnisse, die diese Normen beachten, die Vermutung besteht, dass sie die Standards einhalten, die in diesen Vorschriften festgelegt werden und von denen die Vermarktung in der Union abhängt. In diesem Sinne kann eine harmonisierte Norm die den Einzelnen eingeräumten Rechte sowie ihnen obliegende Pflichten näher bestimmen.

Unter Verweis u. a. auf die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des freien Zugangs zum Gesetz ist der Unionsgerichtshof der Auffassung, dass die Bürger darauf angewiesen sein können, von diesen Normen Kenntnis zu nehmen, damit sie prüfen können, ob ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Dienstleistung tatsächlich die Anforderungen einer solchen Vorschrift erfüllt. Daher stellt der Unionsgerichtshof fest, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der in Rede stehenden harmonisierten Normen besteht.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 5. März 2024 – C-5888/21 P

  1. EuG, Urteil vom 14.07.2021 – T-185/19[]

Bildnachweis: