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Der Neben-Vorsitzende - DER SPIEGEL
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SPD Der Neben-Vorsitzende

In der Parteispitze ist ein Richtungsstreit entbrannt. Franz Müntefering versucht, die Genossen auf Regierungslinie zu trimmen, Kurt Beck ringt um das sozialdemokratische Profil.
aus DER SPIEGEL 16/2007

Irgendwann kam der Moment, als der Vizekanzler verstummte. Franz Müntefering saß auf seinem Stuhl und schwieg. Es reichte ihm. Was sollte er auch noch sagen, wo doch Kurt Beck gar nicht mehr zu stoppen war? Und immer lauter, immer erregter und zudem auch immer weinseliger wurde. Das war nicht mehr der Ton, in dem er mit sich reden lassen wollte. Unvermittelt stand Müntefering auf - und verließ den Raum.

Er war schließlich an jenem Donnerstag nicht in die rheinland-pfälzische Landesvertretung gekommen, um sich von Beck Vorträge anhören zu müssen. Der Parteichef hatte die Qualität der Bundesagentur für Arbeit in Frage gestellt. Und das gegenüber ihm, dem Bundesarbeitsminister. Nein, das musste er sich nicht antun. Vor allem nicht in diesem Ton.

Es war nicht das erste Mal. Nicht, dass sie sich offen streiten oder gar anbrüllen würden, aber alle, die diese beiden mächtigsten Sozialdemokraten miteinander erleben, kommen zu dem Schluss: Da passt nichts mehr zusammen.

Seit einem Jahr führen sie nun die SPD, und eigentlich ist die Aufteilung klar: Kurt Beck, der Gemütsmensch, soll die Partei zusammenhalten, ihr wieder Kampagnenfähigkeit und eine Identität verleihen. Die Aufgabe von Müntefering ist es, als eine Art Zuchtmeister die SPD-Minister in der Großen Koalition anzuführen und im Kabinett für sozialdemokratische Politik zu sorgen. Gemeinsam

sollen sie die Partei wieder mehrheitsfähig machen.

Doch inzwischen sind die Zweifel gewachsen, ob die beiden das richtige Führungsduo sind, und zumindest einer der beiden teilt diese Zweifel voll und ganz: Vizekanzler Müntefering. Die Partei liegt in den Umfragen bei etwa 30 Prozent, nur ein Drittel der Deutschen kann den Vorsitzenden der SPD auf Anhieb beim Namen nennen, und die Zahl der Mitglieder sinkt weiter. Die SPD ist in einem beunruhigenden Zustand, niemand in der Parteispitze glaubt ernsthaft daran, dass der nächste Kanzler ein Sozialdemokrat wäre, wenn die Deutschen jetzt wählen müssten.

Müntefering hat sich Beck genau angesehen, er hat beobachtet, wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident seine Rolle zu finden versuchte, wie er die SPD wieder vernehmbar machen wollte - und er ist zu einem Urteil gekommen. Müntefering glaubt nicht mehr daran, dass die Partei zu alter Kraft zurückfindet, wenn Beck sie weiter führt wie bisher. Ausgerechnet im Vizekanzler ist dem Parteichef sein größter Kritiker erwachsen.

Immer öfter mischt sich Müntefering inzwischen ein in Fragen, die eigentlich Sache des Vorsitzenden sind. Er gibt lange Interviews zur Verfassung der Partei, zu ihren Wahlaussichten. Er redet kaum noch über den Arbeitsmarkt und die Reformen, für die er zuständig ist. Während in seinem Haus, dem Arbeitsministerium, bereits das Codewort »BMW - Beck muss weg« kursiert, benimmt sich der Mann, der von März 2004 bis November 2005 selbst an der Spitze der Sozialdemokraten stand, wie der Neben-Vorsitzende.

Hinter der permanenten Grenzüberschreitung steht eine grundsätzlich unterschiedliche Auffassung über die Rolle der SPD als Regierungspartei. Während Beck vor allem die Parteimitglieder im Blick hat, die sich nach mehr Gerechtigkeit und sozialdemokratischer Geborgenheit sehnen sowie nach einfachen Antworten auf komplizierte Fragen, will Müntefering der SPD mit pragmatischer Politik die Regierungsfähigkeit auf Dauer sichern. »Man

muss das Land regieren wollen, und zwar nicht als Rotkreuzwagen, der die Mühseligen und Beladenen auflädt«, sagte er vergangene Woche der »Süddeutschen Zeitung«. »Die SPD muss sagen: Wir machen das Ganze besser. Nicht nur: Wir machen Sozialpolitik besser.«

Nach Meinung Münteferings muss ein Parteichef Führung und Autorität demonstrieren »und darf der Partei nicht zu sehr nachgeben«, wie er es einmal formuliert hat. Beck hat ein ganz anderes Führungsverständnis. Er lässt in den Gremien diskutieren, er sondiert Stimmungen und sucht, falls nötig, nach Zwischenlösungen und Kompromissen.

Seit 1995 begegnen sich Müntefering und Beck nun regelmäßig an der Parteispitze, damals wechselte Müntefering aus dem NRW-Sozialministerium als Bundesgeschäftsführer in die SPD-Zentrale. Doch sie sind einander immer fremd geblieben. Das ist schon habituell bedingt. Müntefering kann wenig anfangen mit der Welt, aus der Beck kommt, dieser fröhlichen, manchmal derben Provinz, wo üppiges Essen und Trinken als Kulturgut gelten. Umgekehrt hat Beck keinen wirklichen Zugang zu dem Sauerländer Müntefering, der eher den asketischen, verschlossenen Typ verkörpert.

Hinzu kommt die gemeinsame Geschichte. Bis heute hat Müntefering dem Pfälzer nicht wirklich verziehen, dass der am 31. Oktober 2005 die Sitzung schwänzte, am Tag, an dem Münteferings Kandidat für den Generalsekretärsposten die Abstimmung im Parteivorstand verlor und Müntefering den Parteivorsitz niederlegte. Beck, damals sein Stellvertreter, war einfach im Urlaub in Andalusien geblieben.

Anderseits war Müntefering auch Parteisoldat genug, um Ärger herunterzuschlucken. Dass er mit dem neuen Mann an der Spitze nicht nur glücklich war, ließ er zum ersten Mal im vorigen Oktober erkennen, ein halbes Jahr nachdem Beck das Amt von Matthias Platzeck übernommen hatte. Der Pfälzer hatte gerade eine große Debatte über die Unterschicht in Deutschland entfacht. Müntefering stemmte sich ungewöhnlich heftig dagegen. »Wir sind keine Schichten-, wir sind eine Volkspartei«, rief er dazwischen. So ging es weiter. Formal hat Müntefering mit der Parteizentrale nichts mehr zu tun, aber raushalten mochte er sich auch nicht. Im Oktober zerfledderte er ein für ihn, Beck und Fraktionschef Peter Struck geschriebenes Papier zum Sozialstaat. »Das geht so nicht«, kommentierte er die Vorlage aus dem Willy-Brandt-Haus und schrieb sie eigenhändig neu.

Den Entwurf fürs Grundsatzprogramm von Ende November reicherte er mit umfangreichen, selbstgefertigten Passagen an, und auch den im März zwischen SPD und Gewerkschaften bereits vereinbarten Aufruf zur Unterschriftenaktion für einen Mindestlohn kassierte er ein und formulierte ihn übers Wochenende in Heimarbeit um.

Beck lässt eine Lücke, schon räumlich, er ist häufig nur von Sonntagnachmittag bis Montagabend in Berlin, und Müntefering ist in diese entschlossen hineingestoßen. So hat er inzwischen auch den Parteitagsleitantrag zum Thema Sozialstaat an sich gezogen, den er ursprünglich zusammen mit der NRW-Landesvorsitzenden Hannelore Kraft entwerfen sollte. Geschrieben werden solche Papiere normalerweise in der Parteizentrale. Diesmal liegt die Federführung im Bundesarbeitsministerium.

Die beiden Führungsleute sind Anfang März bei einem Thema offen aneinandergeraten. Es war bei der Rente mit 67, die Beck nur mit flexiblen Übergangslösungen passieren lassen wollte. Müntefering ("Einige von uns haben einen Hang zur Opposition") beugte sich am Ende knurrend, eine Arbeitsgruppe soll nun bis Ende des Jahres eine Lösung finden.

Ansonsten wird viel geschwiegen. Wie kürzlich, als Kurt Beck tagelang angestrengt sein Nein zum US-Raketenschirm zu rechtfertigen versuchte. Oder Anfang des Monats, als er sich mit dem Vorschlag verhedderte, die Taliban in eine Friedenskonferenz einzubeziehen. Ein paar Spitzengenossen sprangen Beck zur Seite - Müntefering nicht. Der »Berliner Zeitung« gewährte er stattdessen am Ostersamstag ein langes Interview zu den Themen SPD und Große Koalition, ohne Becks Arbeit auch nur einmal zu erwähnen. Und auf die Frage nach dem Kanzlerkandidaten Beck als Wahlkampflokomotive antwortete er vieldeutig: »Kurt Beck wird Ende 2008, Anfang 2009 seinen Vorschlag für die Kandidatur machen.« Das musste man so verstehen, dass er die Kandidatenfrage noch für offen hält.

Gute Beobachter entnehmen mittlerweile auch der Körpersprache, wie schlecht es um das Verhältnis der beiden Spitzenleute bestellt ist. Normalerweise folgt Müntefering den Debatten im Präsidium eher schweigend, aber immer konzentriert. Doch regelmäßig, wenn Beck das Wort ergreift, weicht schlagartig jede Spannung aus Münteferings Körper. Dann rutschen die Füße nach vorn, der Körper fällt nach hinten, und die ganze Haltung signalisiert Distanz und Desinteresse.

Eine Lösung des Konflikts ist vorerst nicht erkennbar. »Was spielen die eigentlich?«, fragt sich ein Spitzengenosse. »Müntefering schwächt den amtierenden Vorsitzenden, der nicht ersetzt werden kann.« Ein Vorstandsmann glaubt: »Müntefering will die Machtverhältnisse zurechtrücken«, doch in welche Richtung eigentlich? Er selbst will nicht zurück auf den alten Posten, auch weil er weiß, dass ihm die Partei nicht folgen würde. Er darf sich munter weiter einmischen, ohne dass ihn jemand verwarnen oder gar stoppen könnte. Aber ohne personelle Alternative zu Beck bleiben seine Vorstöße merkwürdig ziellos.

Schon zeichnet sich der nächste Konflikt ab: Zum Parteitag im Oktober wird die Position der Schatzmeisterin neu zu besetzen sein. Franz Müntefering macht sich für Barbara Hendricks stark, die Finanzstaatssekretärin, die nach seiner Meinung alle Qualitäten für diesen Job mitbringt. Kurt Beck denkt über Klaudia Martini nach, seine ehemalige Umweltministerin aus Mainz, die heute Sprecherin des Managerkreises Bayern der Friedrich-Ebert-Stiftung ist.

Bestimmen muss der Parteitag. Für Beck könnte es eine Situation werden, in der er nur verlieren kann. Setzt sich Müntefering durch, hat er gegen den Vizekanzler für alle erkennbar in einer wichtigen Personalfrage verloren. Setzt er Genossin Martini durch, wird das wohl nur mit einem schlechten Ergebnis gelingen. Denn ein Vorsitzender und eine ihm langjährig Vertraute als Schatzmeisterin - das mögen Delegierte nicht.

Um den Konflikt einzudämmen, haben sich Emissäre beider Seiten zu einem ersten Sondierungsgespräch getroffen. Verabredet hatten sich Generalsekretär Hubertus Heil, der wichtigste Berliner Beck-Mann, sowie die Staatssekretäre Kajo Wasserhövel und Matthias Machnig, zwei langjährige Weggefährten Münteferings. Das Misstrauen war groß - das Gespräch blieb ohne Ergebnis. HORAND KNAUP

* Beim politischen Aschermittwoch der Bayern-SPD am 21. Februar in Vilshofen.

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