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Debatte zum Mauerfall: Heftiger Ausfall der AfD gegen Angela Merkel - DER SPIEGEL
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30 Jahre Mauerfall Die wüste Gegenwart

Der Bundestag debattierte über die Öffnung der Mauer vor 30 Jahren. Die Aussprache wirkte wie ein Spiegelbild eines gespaltenen Landes.
Horst Seehofer und Angela Merkel vor der Debatte zum Mauerfall: Glücklichste Tag in der deutschen Geschichte

Horst Seehofer und Angela Merkel vor der Debatte zum Mauerfall: Glücklichste Tag in der deutschen Geschichte

Foto: Jörg Carstensen/dpa

Als Ralph Brinkhaus, der Unionsfraktionschef, als Erster das Wort ergriff, da sah es nach einer routinierten Debatte aus. Der Mann aus Nordrhein-Westfalen hielt eine Rede, in der stichpunktartig zum 30-jährigen Jubiläums des Mauerfalls enthalten war, was an einem solchen Tag von einem CDU-Politiker zu erwarten war.

Um "stille Helden" der "friedlichen Revolution" ging es, um den "glücklichsten Tag in unserer Geschichte", um die Toten an der Mauer, um die DDR als "Diktatur" und "Unrechtsstaat". Auch ein demütiger Hinweis auf die "Brüche" in den Biografien der Ostdeutschen fehlte nicht, das sei der "große Fehler dieser Wiedervereinigung", so Brinkhaus.

Schnell wurde klar: Der 9. November bleibt ein schwieriges deutsches Datum, das in die Gegenwart hineinragt - Mauerfall, Hitler-Putsch, Novemberrevolution und Pogromnacht. Der CDU-Politiker erinnerte denn auch an den 9. November 1938, sprach von einem "Symbol des millionenfachen Mordes an Jüdinnen und Juden, verübt durch Deutsche".

Vornehmlich aber dreht es sich an diesem grauen Novembertag um die Öffnung der DDR-Grenze vor drei Jahrzehnten. Ein Ereignis, das am Samstag unweit des Bundestags mit einem großen Fest begangen wird. Von der Freude über den Fall der Mauer war zwar viel die Rede - aber wenig zu spüren.

Vielmehr wirkte die Debatte wie ein Seismograf der deutschen Gemütslage, ging es um plakative Attacken und um Deutungen der Geschichte.

Gregor Gysi, einst Anwalt in der DDR, im Spätherbst 1989 einer der führenden Vertreter der SED/PDS, wie die einst herrschende Partei in der demokratischen Endphase des untergehenden Staates zeitweise hieß, wehrte sich unter wüsten AfD-Zwischenrufen gegen den Begriff des "Unrechtsstaats". Ja, es habe in der DDR "staatliches Unrecht" gegeben, räumte Gysi ein, den Begriff Unrechtsstaat aber habe der frühere Generalstaatsanwalt von Hessen, Fritz Bauer, "zu Recht für die Nazidiktatur" geprägt.

CDU-Politiker Michael Kretschmer und Angela Merkel: Reden,

CDU-Politiker Michael Kretschmer und Angela Merkel: Reden, "die mich an die Nazis erinnern"

Foto: Foto: Jörg Carstensen/dpa

Mitunter erinnerten manche Reden und ihre Versatzstücke an jüngste Aufritte im ostdeutschen Landtagswahlkampf. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg, sieben Jahre vor dem Mauerfall im Osten geboren, wünschte sich etwa "keine Belehrungen aus der Nachfolgepartei der SED". Ähnlich hatte sie sich jüngst in Thüringen geäußert. Immerhin erinnerte sie daran, dass auch die "Peiniger" von einst 1989 befreit worden seien und "Freiheit und Rechtstaat" bekommen hätten.

Es war, einmal mehr, die rechtspopulistische AfD, die das Datum zum Anlass nahm, gezielt Empörung im Plenum auszulösen. Ihr Fraktionsvize Tino Chrupalla - gebürtiger Sachse und beim Mauerfall 14 Jahre alt - fuhr eine äußerst rüde Attacke gegen Angela Merkel. Rüde selbst für AfD-Verhältnisse.

In Anspielung auf ihre Zeit in der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) machte der 44-Jährige sie zur Täterin im SED-Staat, unterlegte seine Frage mit Verschwörungstheorien, wie sie im AfD-Milieu kursieren: "Ich bedauere, dass sie uns nicht verrät, welche Herrschafts- und Zersetzungsstrategien sie damals bei der FDJ gelernt hat, wie man ein Volk mit Propaganda und Agitation in Schach hält." Als aus den anderen Fraktionen laute "Pfui-Rufe" ertönten, sprach Merkel in der dritten Reihe der Regierungsbank mit einem CDU-Staatssekretär - sah kurz auf und ließ sich ansonsten nichts anmerken.

Chrupallas Attacke war ein Paradebeispiel für ein Problem, vor dem die anderen Parteien immer wieder seit dem Einzug der AfD stehen: Wie auf solche Provokationen reagieren?

SPD-Rednerin Katrin Budde, ebenfalls Ostdeutsche, überging zunächst den Angriff. Kurz vor Schluss nahm sie aber die Ost-Wahlkampagne der AfD aufs Korn ("Die Wende vollenden"), führte den Begriff auf seinen Ursprungsvater zurück, den letzten SED-Generalsekretär Egon Krenz.

Wer das Wort verwende, der stehe "nicht in der Tradition der friedlichen Revolution, sondern in der Tradition der SED", rief Budde. Ihre Worte wirkten wie ein verbaler Befreiungsschlag, zur Freude aller anderen Fraktionen.

Einmal mehr stilisierte sich die AfD auch an diesem Tag zum Opfer. Fraktionsvize Leif-Erik Holm, auch er Ostdeutscher, verwahrte sich gegen Angriffe der Linken, neue Mauern bauen zu wollen. "Für die Mauertoten sind Sie verantwortlich", rief er. Es mache einen Unterschied, ob man damit seine Bürger einsperre oder kontrolliere, "wen wir ins Land reinlassen".

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, im Herbst 1989 in der DDR-Protestbewegung aktiv, konterte kühl, die AfD könne sagen was sie wolle, selbst im Parlament. Sie müsse aber aushalten, "dass wir ihren Hass klar benennen, dass wir ihrer Menschenverachtung die Würde jedes einzelnen Menschen entgegenstellen".

Es war dann der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, einst selbst Abgeordneter im Bundestag, der die AfD am härtesten anging.

Seit zwei Jahren sei er das erste Mal wieder im Plenarsaal, sei "erschrocken über Reden, die mich an Nazis erinnern". Es sei klar, sagte er und blickte in die Reihen der AfD, dass "alle" Verantwortung trügen, die sich beklatschen und bejubeln ließen "für diese unsäglichen, verleumderischen, geringschätzenden, hasserfüllten Reden".

Gegen Helmut Kohl, dem Kanzler der deutschen Einheit, wandte sich der Sachse an die AfD, "sind Sie ärmliche Gestalten".