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Eine Bombe - DER SPIEGEL
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SCHWEDEN Eine Bombe

Die sozialdemokratische Regierung will den Tarifpartnern offizielle Lohnleitlinien verordnen. *
aus DER SPIEGEL 18/1984

Zum Frühstück noch durfte sich Schwedens sozialdemokratischer Finanzminister Kjell-Olof Feldt als Gralshüter der reinen Marktwirtschaft fühlen.

Im Widerspruch zu deren Lehrsätzen, tadelte in einer großen Stockholmer Zeitung Nils Lundgren, sozialdemokratischer Wirtschaftsexperte und ökonomischer Chefberater der staatlichen Post- und Kreditbank, hätten die bürgerlichen Koalitionsregierungen von 1976 bis 1982 »alle Preise zwischen Himmel und Erde reguliert, vom Brathuhn bis zur Damenbinde«. Dabei hätten unzählige Studien in aller Welt längst eindeutig bewiesen, daß Preisregulierungen »Inflation nicht verhindern« und daher »ausschließlich dazu dienen, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen«.

Es gehöre, pries der Genosse dann, zu den »bedeutendsten Leistungen des Finanzministers, das Land aus dem Sumpf solch unseriöser Wahnsinnsregulierungen herausgezogen zu haben«.

Wenige Stunden später führte Feldt die Schweden in den Morast zurück. Zusammen mit Ministerpräsident Olof Palme verhängte er über den skandinavischen Wohlstands- und Wohlfahrtsstaat, was ein hoher Regierungsbeamter als »wirtschaftlichen Ausnahmezustand« beschrieb.

Für dessen Dauer, zunächst bis Jahresende, wurden in Schweden die Preise und, unter Aufhebung bereits getroffener Abkommen zwischen Hauseigentümervereinigung und sozialdemokratisch dominiertem Mieterschutzverband, auch die Mieten eingefroren.

Unternehmen und öffentliche Hände wurden zum Zwangssparen vergattert. Die Gemeinden und Provinziallandtage müssen drei Prozent, die Unternehmen sechs Prozent ihrer 20 Millionen Kronen (6,4 Millionen Mark) übersteigenden jährlichen Lohnkosten auf zwei Jahre bei der Reichsbank deponieren; die Holz- und Papierbranche muß drei Prozent ihrer Exporterlöse hinterlegen.

Das eigentliche Ziel des Kraftaktes stand am Ende des Maßnahmenkatalogs: Die Tarifpartner wurden zu Überlegungen »über die Ergebnisse der Lohn- und Preisabschlüsse sowie über die Formen der Tarifverhandlungen« eingeladen.

Die ersten großen Tarifabschlüsse dieses Jahres nämlich hatten die Regierung entsetzt. Erstmals verhandelten nicht die Zentralverbände, sondern die Branchenverbände. Dadurch sollten öffentliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr wie in den vergangenen Jahren die Lohnleitlinien bestimmen.

Das unerwünschte Ergebnis: Anstelle des einst weltweit bewunderten schwedischen Modells zentraler Tarifverhandlungen trat, so die Diagnose des Nachrichtenmagazins »7 dagar«, »ein Prototyp namens Chaos«.

Musterbeispiel: Als Volvo-Chef Per Gyllenhammar brieflich Ministerpräsident Palme darauf hinwies, die Gewerkschaft der Kommunalarbeiter habe mit 6,5 Prozent einen allzu hohen Lohnzuwachs herausgehandelt, versuchte Palme persönlich, in die laufenden Verhandlungen in der Metallbranche einzugreifen.

Doch die Partner ließen den Premier abblitzen. Sie schlossen ein Abkommen, das mit Lohngleitzuschlägen den Metallern gute neun Prozent Zuwachs verschafft.

Finanzminister Feldt war entsetzt: »Eine Gruppe von Narren hat eine Bombe gebastelt. Alles droht in die Luft zu fliegen. Die Narren auch.«

Der Finanzminister fürchtete vor allem um seine eigene Wirtschaftspolitik. Mit dem Kraftakt einer Kronenabwertung von 16 Prozent hatte Feldt nach der Regierungsübernahme im Herbst 1982 Schwedens lahme Wirtschaft wieder in Schwung gebracht. Vor allem die schwedische Exportindustrie läuft seither wieder auf vollen Touren.

Ihre Erfolge verwandelten das Handelsbilanzdefizit von 1982 (5,8 Milliarden Kronen) in einen Überschuß von 10,9 Milliarden im vergangenen Jahr und erwarteten 12,3 Milliarden im laufenden Jahr.

Nun fürchtete Feldt, daß die diesjährigen Tarifabschlüsse sein Ziel, die Inflation auf vier Prozent zu beschränken (Inflationsrate 1983: 9,3 Prozent), und damit die Konkurrenzkraft der schwedischen Industrie wieder gefährden. Die verbesserten Konkurrenzchancen der Exportwirtschaft sind der bislang einzige Erfolg sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik.

Würde die Regierung mit ihrer Anti-Inflationspolitik versagen, stände sie im Wahljahr 1985 ebenso kraftlos da wie 1982 die bürgerliche Koalition. Feldt scheute sich denn auch nicht, von eventuell nötigen Neuverhandlungen der Tarifabkommen zu sprechen. Am Ende, so glauben die Tarifpartner, sei die Regierung gar geneigt, die Tarifautonomie zu beschneiden und durch eine »staatliche Einkommenspolitik« zu ersetzen.

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