(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Heiß wie die Sonne - DER SPIEGEL
Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 78 / 113

UMWELT Heiß wie die Sonne

Wohin mit dem Müll? Der neueste Trend: Plasmavergasung, garantiert rückstandsfrei, bei 17 000 Grad Celsius - und nebenher, so die Verfechter, wird sogar noch Energie erzeugt.
aus DER SPIEGEL 16/2007

Manchmal kommen Besucher, die wollen nicht glauben, dass Joe Longos Maschine alles, wirklich alles vertilgt. Sie haben kaputte Mobiltelefone dabei, schwere Schraubenschlüssel oder halbvolle Farbeimer. Das alles dürfen sie in den Kessel werfen.

»Ein Japaner schleppte sogar mal einen Felsblock an«, sagt Longo. »Den hatte er draußen gefunden.«

Die Maschine summte und brummte, dann war auch der Felsblock weg.

Joe Longo, Chef der US-Firma Startech, weiß, wie man Laien verblüfft. Aus vielen Ländern reisten schon Delegationen zu ihm nach Bristol, Connecticut. Es lockte sie die Verheißung vom Müllschlucker, der mit jeglicher Materie fertig wird.

Durch eine eingebaute Videokamera können die Besucher in den Kessel spähen. Sie sehen darin einen wabernden Lichtbogen, und darunter verschmurgeln Abfälle aller Art zu fast nichts. Übrig bleiben glasige Brocken äußerst harten Gesteins, schwarz und glänzend wie Obsidian. Manchmal tropft flüssiges Metall aus einem Auslassrohr. Oberhalb entschwebt, durch ein anderes Rohr, höllisch heißes Mischgas. Startech gewinnt daraus über eine schlichte Filteranlage Wasserstoff - das klimafreundlichste aller Gase, das nur Wasser hinterlässt, wenn es verbrennt.

Auf diese Maschine setzt Joe Longo, 74, die Zukunft seiner Firma, die bislang vor allem Millionenverluste aufgehäuft hat. Der famose Kessel vertilgt gleichmütig brummend Bauschutt und Pestizide, beschlagnahmte Drogen und alte Fernseher. Alle Ausschweifungen der Zivilisation macht er quasi ungeschehen, und das auch noch mit größter Diskretion: kein Rauch, keine Flamme, keine Asche.

Die Technik ist erstaunlich schlicht (siehe Grafik). Ins Innere des Kessels ragen zwei Elektroden, die unter Starkstrom stehen. Die hohe Spannung verwandelt die Luft dazwischen in elektrisch leitendes Plasma. Es entsteht ein Lichtbogen - eine Art stehender Blitz, dreimal so heiß wie die Oberfläche der Sonne. Bis zu 17 000 Grad Celsius werden erreicht, an den Wänden der Kammer sind es noch 1700 Grad.

Dieser Gluthitze hält keine Materie stand. Die Moleküle zerfallen in ihre Atome, heikle Stoffe in harmlosere Elemente. Das geschieht auf zweierlei Weise: Die anorganischen Bestandteile des Mülls - Betonbrocken, Dosenblech, Dachziegel - schmelzen und sammeln sich am Boden des Reaktors. Die organischen Stoffe dagegen - Plastikspielzeug, Ledersofas, Rasenschnitt - verpuffen zu Gas. Neben Wasserstoff ist darin vor allem Kohlenmonoxid enthalten.

Einzig die Hitze der Plasmafackel ist es, die den wundersamen Stoffwandel bewirkt. Nichts wird verbrannt, wie es üblicherweise mit dem Müll geschieht; keine giftige Asche fliegt herum, die man aufwendig filtern müsste. Und gesundheitsschädliche Schwermetalle, sofern vorhanden, sind solide eingebacken im harten Schmelzglas; das Material lässt sich zum Beispiel im Straßenbau verwenden.

Dumm ist nur, dass es den Zauber nicht umsonst gibt. Gewaltige Mengen an Energie sind fürs Entfachen des stehenden Blitzes nötig. Nach einer Weile aber, beteuert Longo, erzeuge die Maschine zumindest einen Teil ihres Stroms selbst: Der Dampf, der beim Abkühlen des heißen Gases entsteht, treibt die Turbinen eines Generators an. Das Gas wiederum kann man verbrennen. Bei günstiger Zusammensetzung der Abfälle bleibt angeblich sogar elektrische Energie übrig, die sich ins Stromnetz einspeisen lässt.

Kunden aus allen möglichen Ländern - Panama, China, Bulgarien darunter - sind, wie es heißt, schon in Verhandlungen mit Startech eingetreten. Bloß unterschrieben ist noch nichts. »Und die Deutschen«, sagt Longo, »sind ja ganz versessen auf ihre Müllverbrennungsanlagen. Aber die Zeit dieser Dinosaurier ist um.«

Eine einzige Plasma-Anlage, Schätzpreis etwa 250 Millionen Dollar, könnte nach Angaben der Firma rund 2000 Tonnen am Tag kostengünstig vergasen - den Müll einer Millionenstadt. Das ist allerdings fast hundertmal mehr als die größte Müllmaschine, die Startech bisher gebaut hat.

Aber die Zeiten sind günstig für Abfallvisionäre. Die Müllbeseitigung wird weltweit immer schärfer reguliert. Viele Kommunen kämpfen mit steigenden Kosten fürs Verbrennen und Deponieren. Und die kleine Branche der Plasmavergaser, bislang wenig auffällig geworden, erhofft sich nun schöne Geschäfte. Auch andere Unternehmen

haben sich schon als Müllvertilger ins Spiel gebracht.

Die Firma Geoplasma aus Atlanta etwa steht kurz vor einem Kontrakt mit dem wohlhabenden Bezirk St. Lucie an der Küste Floridas. Eine riesige Mülldeponie verdirbt dort die Immobilienpreise. Geoplasma will nun gleich neben der Kippe für 425 Millionen Dollar eine Anlage errichten, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Deren Kapazität - 2700 Tonnen am Tag - reicht nicht nur für den gesamten anfallenden Müll des Bezirks. Nach und nach sollen nebenher auch die Altlasten vergast und verglast werden; in etwa 18 Jahren wäre dann die Deponie endgültig abgetragen.

Für die Bürger von St. Lucie ist die nachträgliche Absolution von allen Umweltsünden so verlockend, dass sie schon fast schwach geworden sind. Geoplasma bietet die Abfallvernichtung ja auch umsonst: Die Firma will vom Verkauf des Stroms leben, den sie dabei erzeugt.

Am vorvergangenen Dienstag sollten die Behörden von St. Lucie ihren Segen geben. Im letzten Moment wurde der Beschluss vertagt. Es überwogen die Bedenken, der Vertrag könne noch unentdeckte Risiken bergen. Dringlichste Frage: Wer ist haftbar, wenn etwas schiefgeht?

Die Plasmavergasung ist ein gewagtes Unterfangen. Die extreme Hitze setzt auch der Anlage zu, und es entsteht ein leicht entzündliches Gas. Folgekosten in beliebiger Höhe sind nicht auszuschließen. »Niemand weiß, ob das Gas aus dem Kessel so schadstoffarm ist, wie die Firmen behaupten«, sagt Markus Gleis, Abfallexperte beim Umweltbundesamt. Dioxine, Furane und andere Gifte werden in der Plasmahölle zwar tatsächlich zerlegt, aber beim Abkühlen setzen sie sich unverdrossen neu zusammen. Gleis: »Vor allem hat man bald wieder den ganzen Zoo organischer Verbindungen, krebserregende Stoffe inbegriffen.«

Startech-Chef Longo beteuert, das Gas werde binnen einer Sekunde mit Sprühwasser schockgekühlt, um der Neubildung von Giften gegenzusteuern. Hernach durchlaufe es natürlich eine Waschanlage, Rückstände müssten zur Läuterung noch einmal in den Plasmakessel. Doch legt die Firma keine unabhängigen Analysen des Abwassers vor.

Abfallexperte Gleis, der sich mit der Plasmavergasung bereits seit längerem beschäftigt, ist aus Erfahrung skeptisch, wenn es um Heilsversprechen geht. »Da wird oft die Energiebilanz schöngerechnet«, sagt er, »während Umweltkosten ausgeblendet bleiben.« Die Abfallwirtschaft hat schon immer Hasardeure und Wundertäter angezogen. Es winken Aufträge für millionenschwere Anlagen, und der Leidensdruck der zuständigen Kommunen ist oft höher als der aufzubietende Sachverstand.

Dabei zeigt die Technik der Plasmafackel, im Großen noch unerprobt, im Kleinen durchaus Talente. Zum Schneiden und Schmelzen von Metall etwa wird sie in der Industrie schon länger eingesetzt. Die Firma Geka im niedersächsischen Munster vernichtet chemische Kampfstoffe und verseuchtes Erdreich in einem Plasmareaktor. »Sicherlich kann man auch Müll vergasen«, sagt Gleis. »Aber nur, wenn es auf die Kosten nicht so ankommt.«

Das ist in Japan der Fall. Dort ist die konventionelle Müllverbrennung unbeliebt. Sie hinterlässt Schlacken, Asche und ausgefilterten Staub mit teils hohem Giftanteil. Anderswo werden diese Rückstände in stillgelegten Bergwerksstollen vergraben; in Japan ist dafür kaum Platz. Deshalb will das Land seinen Müll möglichst in verglaste Schlacke umwandeln, wie sie nur bei höchster Hitze entsteht. Das Volumen verringert sich so auf einen Bruchteil; und das Gesteinsglas ist hart genug, dass die verbleibenden Schwermetalle nicht eines Tages wieder von saurem Regenwasser ausgewaschen werden.

Der japanische Konzern Hitachi betreibt seit 2003 auf der Insel Hokkaido die einzige Großanlage zur Plasmavergasung weltweit. Ausgelegt ist sie für 200 Tonnen am Tag. Doch im Alltag erzwingen technische Probleme immer wieder Pausen. Oft ist nur einer der beiden Reaktoren beschäftigt. Überschüssiger Strom, wie anfangs geplant, gelangte bislang nicht ins Netz.

Gleichwohl strebt Japan weiterhin nach der perfekten Müllschmelze. Sogar die umstrittene Technik der Schweizer Firma Thermoselect wird in japanischen Labors unverdrossen weiterentwickelt.

Auch Thermoselect hatte ein Verfahren versprochen, das den Müll viel effizienter beseitigt als der herkömmliche Heizofen. Plasmafackeln kamen allerdings nicht zum Einsatz: Der Müll wurde bei vergleichsweise milden 2000 Grad in einer Reaktorkammer mit Sauerstoff vergast.

1999 nahm der Energiekonzern EnBW in Karlsruhe eine Thermoselect-Anlage in Betrieb. Doch der versprochene Durchsatz von mehr als 200 000 Tonnen im Jahr wurde bestenfalls zur Hälfte erreicht. Häufige Wartungsarbeiten und Nachbesserungen verdarben die Bilanz. Die Kosten stiegen weit über den Plan.

2004 gab EnBW auf und legte die Anlage still. Seither prozessieren die Firmen gegeneinander um dreistellige Millionenbeträge. Vor kurzem verkündete EnBW, anscheinend nachhaltig zermürbt, den endgültigen Ausstieg aus dem Geschäft mit der Entsorgung.

Dabei hielten am Ende auch Skeptiker die Technik von Thermoselect im Prinzip durchaus für tauglich. Die vielen Kleinprobleme des Alltags waren es, an

denen die große Verheißung scheiterte. Seit dem Desaster aber haben es Visionäre besonders schwer. »Wer einem Betreiber nicht 8000 Betriebsstunden im Jahr garantieren kann«, sagt Gleis, »hat bei uns keine Chance mehr.«

Abfallstrategen setzen deshalb lieber aufs gute alte Verheizen. Da steigen die Temperaturen kaum über vergleichsweise gemütliche 1000 Grad, und der Abfall brennt, unter Verzicht auf teuren Strom, von selbst. Die Technik der gut 70 Müllöfen in Deutschland ist inzwischen so ausgereift, dass es nur höchst selten noch nötig ist nachzufeuern.

Auch die Effizienz wird ständig verbessert, in denkbar unspektakulären Schrittchen. Forscher tüfteln sogar schon am Stromverbrauch der Ventilatoren, die das Feuer anblasen. Andere versuchen, die Abgase, die schließlich noch heißen Restsauerstoff enthalten, in den Ofen zurückzuleiten - auch dieses bisschen Energie soll nicht missachtet und verloren sein.

Am besten ist die Energiebilanz, wenn die Abwärme der Anlage direkt genutzt werden kann. Denn bei der Umwandlung in Elektrizität über Dampfturbinen gehen im Schnitt rund 70 Prozent der Energie verloren. Die effizientesten Müllverbrennungsanlagen, etwa in Schweinfurt oder Hamburg, sind an Fernwärmenetze angeschlossen. Das heiße Wasser, das sie in die Rohre pumpen, heizt im Winter benachbarte Wohngebiete.

Nur im Sommer gab es bislang ein Absatzproblem. Wer will Fernwärme haben, wenn die Sonne brennt?

Die neueste Lösung: Fernkälte.

In Wien entsteht gerade der Neubaukomplex »TownTown«, der ohne stromfressende Klimaanlagen auskommt. Kaltes Wasser kommt stattdessen über isolierte Leitungen von einer Kühlungszentrale, wo große Verdunster die Abwärme einer Müllverbrennungsanlage in Kälte umwandeln - womöglich ein Gut mit Zukunft in Zeiten des Klimawandels. MANFRED DWORSCHAK

Zur Ausgabe
Artikel 78 / 113

Mehr lesen über