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Deutsches Fremdwörterbuch : "Hetäre"
 
Deutsches Fremdwörterbuch
Hetäre
F. (-; -n), im frühen 18. Jh. entlehnt aus griech. τたうαあるふぁρろーαあるふぁ, eigentlich ‘Gefährtin, Freundin, Begleiterin’, movierte Form von τたうαあるふぁῖρος ‘Gefährte, Genosse, Kamerad, guter Freund’, seit Anfang 19. Jh. auch in der Schreibung Hetaire.
Zunächst auf antike Verhältnisse bezogen als Bezeichnung für eine meist (musisch und philosophisch) hochgebildete, im Gegensatz zur eigentlichen Dirne sozial anerkannte, oft politisch einflussreiche Freundin, (bezahlte) Geliebte bedeutender Männer (im klassischen Athen, bes. seit dem 5. Jh. v. Chr.), die wesentlichen Anteil am gesellschaftlichen und intellektuellen Leben ihrer Zeit nahm (s. Belege 1800, 1855 1922; → Mätresse), in Wendungen wie griechische, athenische, schöne, verbuhlte Hetäre, das für seine gebildeten Hetären berühmte Korinth und Zss. wie Hetärengespräche, -künste, -literatur, -sitte, -unwesen, von daher übertragen und bildungsspr. (euphemistisch) für ‘(schöngeistige, geistreiche, teure, bessere) Prostituierte’ (s. Belege 1798, 1888, 1952; → Kokotte, → Konkubine, → Kurtisane; vgl. Geisha, Prostituierte, → Prostitution), vereinzelt bildlich (s. Beleg 1803), in neuerer Zeit auch als aufwertende Selbstbezeichnung von Prostituierten (s. Belege 1989.1, 1989.2).
Dazu seit Mitte 19. Jh. zunächst fachspr. (Soziologie), dann bildungsspr. die veraltende subst. Ableitung Hetärismus M. (-; ohne Pl.), zunächst (nach der von J. J. Bachofen entwickelten Theorie zur Bezeichnung einer von drei Entwicklungsstufen der Menschheit) in der Bed. ‘freie Geschlechtsgemeinschaft mehrerer Frauen mit mehreren Männern, Gemeinschaftsehe’ (→ Matriarchat, → Promiskuität; vgl. Amazonentum, Gynäkokratie, → Gynäkologie), dann auch im weiteren Sinne ‘Hetärenwesen; Prostitution’, und die seit spätem 19. Jh. belegte, weitgehend gleichbed. subst. Ableitung Hetärentum N. (→ Konkubinat), seit Anfang 19. Jh. die adj. Ableitungen hetärisch, auch hetairisch, und hetärenhaft.

Belege

zu Hetäre (18)
1724–26 Patriot IV 421
Thais Name einer griechischen Hetäre;
Fessler 1793 Marc Aurel III 358
Beynahe hätte ich lust seine freygelassenen, gaukler und hetären als wohlthäter des vaterlandes zu betrachten;
1795 Journal d. Moden X 581
Aber es giebt nun auch eine andere Classe aus Aspasiens Schule, Athenische Hetären im neuen Paris, die ganz zu der sogenannten feinen Gesellschaft . . zu rechnen sind;
Berenhorst 1798 Kriegskunst II 331
die Menge der prächtigen Kutschen und Fahrzeuge aller Art, mit gepuzten [!] schönen Weibern, und noch schöneren Hetären;
1800 Journal d. Moden XV 61
Doch vielleicht war dieß [Schminken] bloß Hetairensitte, und die sittsamen Weiber und Töchter der Athener waren frey von dieser Eitelkeit;
Becker 1803 Dichtkunst 397
Ist . . die Poesie eine buhlerische Hetäre, die keinen höhern Zweck hat, als unseren geheimen Neigungen zu schmeicheln;
1855 Prutz’ Museum II 613
in der Hetärenwirthschaft, die bei der geringen Neigung, welche die spätern Griechen, besonders aber die Ionier für das Glück der Häuslichkeit hatten, immer mehr zunahm und immer offener betrieben ward;
Ersch/Gruber 1860 Allg. Enc. I 71,110
Gnathäna hat ihr Leben auf dieselbe Weise von Anfang bis zu Ende geführt, erst so lange es ging als Hetaire, dann als Hurenmutter, und ging darauf aus, die arge Kunst in ihrer Familie zu erhalten;
Bleibtreu 1888 Größenwahn III 252
Schämt sich dieser Leonhart denn nicht, falls er wirklich so genial ist, die Gesellschaft verbuhlter Hetären zu frequentiren? (DiBi 125);
Treitschke 1897 Politik I 242
Die einzigen Frauen, die im öffentlichen Leben eine Rolle spielten, sind die Hetären, die lockeren und schönen Weiber, die durch den Glanz ihres Geistes bezaubern;
Marholm 1903 Psychologie d. Frau II 28
Nur eine Gattung [von Frauen] liessen sie [die Griechen] gelten: die Hetären; die intellektuelle Frau als Courtisane;
Bebel 1922 Frau 38
Der Name und der Ruhm dieser Hetären, die intime Beziehungen mit den ersten Männern Griechenlands pflogen und an ihren gelehrten Unterhaltungen wie an ihren Gelagen teilnahmen, ist bis auf unsere Tage gekommen;
Kesten 1952 Casanova 152
die heitere und geistreiche Welt der italienischen Komödianten zu Paris, mit ihrem Anhang von Literaten und Hetären;
Pollmann 1966 Liebe 19
als östliche Elemente in der Hetärenliteratur des Hellenismus und vor allem in den Romanen der zweiten Sophistik die Oberhand gewinnen;
taz 3. 6. 1989
In den 80ern gab es in der BRD nicht zuletzt unter dem moralischen Einfluß von AIDS und den Sperrgebietsverordnungen eine regelrechte Gründungswelle von Selbsthilfeprojekten . . Allein in Berlin existieren mittlerweile drei Initiativen: Nutten &Nüttchen, Hetären-Gesprächskreis und Hydra;
ebd. 14. 10. 1989
Domenica, die bekannteste Prostituierte der Bundesrepublik, hat ein Buch geschrieben, eines der humansten nicht nur dieser Saison. „Domenicas Kopfkissenbuch“ ist eines der gelungensten Exempel der Hetärenliteratur;
Salzb. Nachr. 24. 7. 1999
Von dem respektlosen antiken Dichter Lukian gibt es Göttergespräche, Hetärengespräche und Totengespräche;
FAZ 7. 3. 2005
der Philosoph Aristoteles . ., der von der Hetäre Phyllis zum Gespött gemacht wird, indem sie ihn zwingt, sich als Reittier mißbrauchen zu lassen.
zu Hetärentum (9)
Pecht 1876 Glaspalast 58
Verherrlichung des Hetärenthums;
Bebel 1922 Frau 38
Es entstand das Hetärentum. Frauen, die durch Schönheit und Geist sich auszeichneten . . zogen ein freies Leben im intimsten Umgang mit der Männerwelt der Sklaverei der Ehe vor;
1891 Neue Rundschau II 428
In seinen Absichten, an lyrisch gefühlten Stimmungen deutschen Kleinlebens fehlt es in dem Stücke gewiß nicht, so wenig wie an gedachten Contrasten zwischen dem „Sumpf “ der Weltstadt und den Nestern der Provinz, zwischen Hetärentum und conventioneller Sittlichkeit: die „freie Liebe“, die „Tanzstundenliebe“;
1921–22 Jude VI 128
Hanna Cohn zeichnet die drei wesentlichsten jüdischen Frauentypen der Gegenwart: „die unsoziale Spießbürgerin, die dem Hetärentum zustrebende Weltdame und die proletarische oder bürgerliche Intellektuelle“;
1928–29 ZfMenschenkunde 4,176
Selbst die Antike hat niemals das Hetärentum als solches gepriesen (im Gegenteil), aber sie ließ sich immer wieder von der einzelnen Hetäre bezaubern;
Gebauer 1932 Kulturgesch. 307
auch der Klassizismus begeisterte sich für die nackte hellenische Schönheit und das Hetärentum;
1940 Münchnerin 159
eine merkwürdige Mischung aus fröhnender Sentimentalität einerseits und kaltem Hetärentum andererseits;
taz 13. 11. 1999
Es war nicht zuletzt auch die Übersetzung, die das Buch so unverdaulich machte – „Ehe“, „Mutterschaft“, „Dirnen- und Hetärentum“: Wer wollte so einer standardisiert altbackenen Kapitelreihe folgen;
Hartmann 2002 Heirat, Hetärentum und Konkubinat im klassischen Athen
(Titel).
zu hetärisch (7)
Wieland 1800 Aristipp (S. W. I 237 f.)
Glücklicher Weise ist die Sache bereits entschieden; mein Spiel ist gewonnen, und ich bin desto besser mit mir selbst zufrieden, weil ich es ohne hetärische Winkelzüge aufrichtig und redlich gewonnen habe;
Gerhard 1854 Griech. Mythologie I 393
Ioniens Aphroditedienst . . ist mit asiatischer Verweichlichung hauptsächlich aus Athens hetärischem Dienst derselben Göttin abzuleiten;
Bachofen 1869 Tanaquil (Ges. W. VI 28)
Der Prinzipat des Muttertums, seine hetärische Auffassung, die Investitur des Mannes durch das ihn überragende buhlerische Weib, die Konjunktion einer in Omphales Natur gedachten Herrscherin mit dem als Heraklesgeweihter aufgefaßten männlichen Genossen;
1925 Weltbühne XXI 930
Vom Hetärischen gibt sie wenig. Ihre Marguérite, und das ist das Feine an ihr, hat überhaupt keine Herkunft, kein Vorleben, kein Gewordensein, sie ist vom Himmel gefallen, une créature du hazard, wie die Kameliendame das einmal von sich sagt;
Goll 1972 Evolutionismus 81
Bachofen bestimmte für die völkerkundliche Soziologie folgende Entwicklung: Hetairische Gynaikokratie, eheliche Gynaikokratie und Patriarchat;
Hochheim 1983 Lenau 252
Hauptmanns Matriarchat ist zwischen beiden Stufen eingespannt, entwickelt sich aber von einem mehr hetärischen zum amazonischen Zustand hin, um dann am Schluß ins Dionysische zurückzusinken;
Bittrich 2005 Aphrodite u. Eros 173
Sie deuten allesamt auf eine Fruchtbarkeitsgöttin, sei es Astarte oder Aphrodite Urania, deren Darstellung im Fenster oder auch in einer Türnische die typische Stellung ihrer hetärischen Dienerinnen widerspiegelt.
zu hetärenhaft (5)
Overbeck 1853 Gallerie heroischer Bildwerke 231
ihr gegenüber links über dem auf sein Kerykeion gelehnten Hermes Aphrodite mit dem Spiegel, nicht wenig hetärenhaft bekleidet und sich geberdend;
Norden 1898 Antike Kunstprosa 568
[man] mag es vom Standpunkt der vielen Gegner, die der leidenschaftliche Mann hatte, einigermassen begreiflich finden, wenn sie diese mit allen Putzmitteln fast zu reichlich ausgestattete Diktion als eine hetärenhafte bezeichneten;
Hesse 1919–20 Klingsor (1971 Klingsors letzter Sommer u. and. Erz. 46)
Wie manchmal hatte er, auf Ausflügen und in städtischen Restaurants, die Empörung seiner Frau über solche unweibliche und hetärenhafte Wesen von Herzen geteilt!;
Fröbe-Kapteyn 1947 Geist u. Natur 45
Das Bild der hetärenhaft-gewaltsamen Tänzerin, die ihren Tänzer zum Tode ermüdet aus ihren Armen fallen läßt, ist neu, sie ist die Vorläuferin der Heldin des zweiten Tanzlieds von Zarathustra;
Görgemanns 2006 Plutarchus 24
Ein fester Topos ist, daß die Schönheit eines Knaben natürlich sei, ohne kosmetische Nachhilfe, die als weiblich-hetärenhaft gilt; der Gedanke läßt sich bis auf Zenon zurückverfolgen, von dem ein Wunschbild eines Knaben überliefert ist.
zu Hetärismus (12)
Bachofen 1859 Gräbersymbolik d. Alten 318
Die Sumpfzeugung selbst erschien uns als Vorbild des menschlichen Hetärismus, der unehelich Gezeugte vielfältig nach Analogie der Sumpfpflanzen gedacht;
1862 Götting. gelehrte Anzeigen I 392
Finden wir demgemäß auf der ersten und untersten Stufe den auch noch in spätern Zeiten in verschiedenartigen Spuren erkennbaren allgemeinen Hetärismus;
Bachofen 1870 Mythus 549
Zwar kann nach allem, was die frühere Forschung zutage fördert, der Zusammenhang einer der verbreitetsten Sagen der römischen Königszeit mit der assyrischen Religion, dem Kulte einer in zügellosem Hetärismus sich kundgebenden Naturmutter, nicht mehr überraschen;
Bebel 1879 Die Frau und der Hetärismus
(Titel);
ebd. o. S.
Im Grunde genommen war jener Minnedienst die Vergötterung der Liebsten auf Kosten – der legitimen Frau, ein ins Mittelalterlich-Christliche übertragener Hetärismus, wie er zur Zeit des Perikles in Griechenland bestand;
Engels 1884 Ursprung d. Familie (MEW XXI 68 f.)
Unter Hetärismus versteht Morgan den neben der Einzelehe bestehenden außerehelichen geschlechtlichen Verkehr der Männer mit unverheirateten Weibern, der bekanntlich während der ganzen Periode der Zivilisation in den verschiedensten Formen blüht und mehr und mehr zur offenen Prostitution wird;
Schäffle 1885 Aussichtslosigkeit 40
Die älteste . . Form des Familienverhältnisses, in welchem Stamm und Paarungsehe ineinander verfliessen, ist die Mutterverwandtschaft, der von Bachofen entdeckte Hetärismus;
Meisel-Hess 1909 Sexuelle Krise 248
Antike, historische und mythologische „Frauenbewegungen“ finden wir immer in einem gewissen Zusammenhang mit dem Hetärismus – freilich dem hochentwickelten Hetärismus, der die ihm Dienende nicht als mißbrauchte Buhlerin, sondern als gefeierte Freundin der Männer erscheinen läßt (DiBi 125);
Reventlow 1913 Herrn Dames Aufzeichnungen 158
Dem Hetärismus entspricht die Anbetung der blind gebärenden Erde (DiBi 125);
1920 Dtsch. Koloniallex. I 491
Bezeichnend für die Schwierigkeiten der Beurteilung ist der Streit um die sog. Geschlechtsgemeinschaft (Promiskuität, Hetärismus);
Broch 1954 Schuldlosen 58
Es war ihm dies ein Hiatus, dessen Entweder-Oder (ein Urquell allen Sexualmoralismus) überall auftritt, wo erotische Unsicherheit herrscht und demgemäß auch als der Anlaß zur künstlerischen Libertinage der Epoche genommen werden darf, nicht zuletzt als der zu dem spezifischen Hetärismus, in dem ein großer Teil ihrer Literatur exzellierte;
Haase 1980 Volksglaube u. Brauchtum 110
Die Sitte der kumovstvo (Gevatterschaft) enthält alte religiös magische Gebräuche des Hetärismus und der allgemeinen Prostitution, welche die Fruchtbarkeit der Natur symbolisieren.