Keie Mentholzigaretten – und keine Verfassungsbeschwerde gegen das Tabakerzeugnisgesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat ie Verfassungsbeschwerde einer Produzentin von Tabakerzeugnissen gegen das Tabakerzeugnisgesetz (TabakerzG) und die Verordnung über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (TabakerzV) nicht zur Entscheidung angenommen:

Keie Mentholzigaretten – und keine Verfassungsbeschwerde gegen das Tabakerzeugnisgesetz

Eine Überprüfung dieser Regelungen am Maßstab der deutschen Grundrechte komme, so das Bundesverfassungsgericht, nicht in Betracht, weil sie zwingendes Unionsrecht umsetzen. Angesichts der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Vereinbarkeit des einschlägigen zwingenden unionsrechtlichen Fachrechts mit den Unionsgrundrechten erscheint es für die Karlsruher Richter auch ausgeschlossen, eine Überprüfung am Maßstab der deutschen Grundrechte durch eine Vorlage mit dem Ziel der Ungültigerklärung dieses unionsrechtlichen Fachrechts zu eröffnen. Soweit die Tabakherstellerin die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht als verspätet rügt, ist eine Prüfung am Maßstab der deutschen Grundrechte zwar eröffnet, eine Grundrechtsverletzung allerdings nicht genügend dargetan.

Das Tabakerzeugnisgesetz

§ 5 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG verbietet das Inverkehrbringen von Zigaretten und Tabaken zum Selbstdrehen, die ein charakteristisches Aroma haben oder Aromastoffe in ihren Bestandteilen enthalten oder sonstige technische Merkmale aufweisen, mit denen sich der Geruch oder Geschmack oder die Rauchintensität verändern lassen. Die Vorschrift ist gemäß § 47 Abs. 6 TabakerzG für Zigaretten und Tabake zum Selbstdrehen mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen 3 % oder mehr einer bestimmten Erzeugniskategorie ausmachen, erst ab dem 20.05.2020 anzuwenden.

§ 6 Abs. 1 TabakerzG regelt, dass Tabakerzeugnisse nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn die Packungen und Außenverpackungen mit gesundheitsbezogenen Warnhinweisen versehen sind, die in einer vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu erlassenden Rechtsverordnung vorgeschrieben sind. Entsprechende Vorgaben ergeben sich für Zigaretten und Tabake zum Selbstdrehen aus §§ 10 bis 14 TabakerzV und für Pfeifentabake aus §§ 15 und 16 TabakerzV.

Nach § 18 Abs. 2 Satz 1 TabakerzG ist es verboten, Tabakerzeugnisse unter Verwendung irreführender werblicher Informationen auf Packungen, Außenverpackungen oder auf dem Tabakerzeugnis selbst in den Verkehr zu bringen. Eine Irreführung liegt nach § 18 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 TabakerzG unter anderem schon dann vor, wenn sich die werblichen Informationen auf Geschmack, Geruch, Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder auf deren Fehlen beziehen.

Entsprechende Straf- und Bußgeldvorschriften zu diesen Ge- und Verboten sind in § 34 Abs. 1 Nr. 2 und 9, § 35 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a TabakerzG geregelt.

Mit dem Tabakerzeugnisgesetz und der Tabakerzeugnisverordnung setzt der Bundesgesetzgeber die Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 03.04.2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG1 (im Folgenden: EUTPD II) in deutsches Recht um.

Nach Art. 7 Abs. 1 und Abs. 7 EUTPD II ist das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma sowie von Tabakerzeugnissen, deren Bestandteile Aromastoffe enthalten, mit denen sich Geruch, Geschmack oder Rauchintensität verändern lassen, verboten. Nach Art. 8 bis 11 EUTPD II muss jede Packung und Außenverpackung von Rauchtabakerzeugnissen gesundheitsbezogene Warnhinweise tragen, die in den Beschlüssen der Europäischen Kommission vom 24.09.2015 (Durchführungsbeschluss 2015/1735)2 und vom 09.10.2015 (Durchführungsbeschluss 2015/1842)3 konkretisiert werden. Nach Art. 13 Abs. 1 Buchstabe c EUTPD II dürfen die Packung, Außenverpackung und das Tabakerzeugnis selbst keine Elemente oder Merkmale aufweisen, die sich auf den Geschmack, Geruch, eventuelle Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder deren Fehlen beziehen. Nach Art. 23 Abs. 3 EUTPD II haben die Mitgliedstaaten für Verstöße gegen die aufgrund der Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften Sanktionen festzulegen.

Die Richtlinie sieht eine Umsetzungsfrist bis zum 20.05.2016 vor (Art. 29 Abs. 1 EUTPD II). Übergangsweise dürfen die Mitgliedstaaten unter anderem das Inverkehrbringen von vor dem 20.05.2016 hergestellten oder in den Verkehr gebrachten und gekennzeichneten Tabakerzeugnissen bis zum 20.05.2017 zulassen (Art. 30 Buchstabe a EUTPD II – Abverkauf von Altprodukten). Darüber hinaus gilt das Verbot des Inverkehrbringens für Tabakerzeugnisse mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen 3 % oder mehr einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, erst ab dem 20.05.2020 (Art. 7 Abs. 14 EUTPD II).

Die Verfassungsbeschwerde

Hiergegen hat ein Familienunternehmen Verfassungsbeschwerde erhoben, deren Produktionsschwerpunkt in der Herstellung von Pfeifentabaken und Feinschnitt-Tabak (Tabak zum Selbstdrehen) liegt, letzterer macht 61 % ihres Umsatzes aus. Eine besondere Spezialität der Tabakherstellerin ist die Produktion von mentholisiertem Feinschnitt, der 20 % des Umsatzes ihrer Feinschnitte ausmacht. Daneben produziert sie Wasserpfeifentabak mit unterschiedlichen Aromen, Zigarillos, Raucherzubehör und eine kleine Serie aromatisierter Zigaretten.

Die Tabakherstellerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Regelungen des Tabakerzeugnisgesetzes und der Tabakerzeugnisverordnung. Daneben macht sie geltend, infolge eines verzögerten Erlasses der innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der EUTPD II in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verletzt zu sein.

Den Antrag der Tabakherstellerin, eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG dahingehend zu erlassen, das Inkrafttreten der beanstandeten Regelungen einstweilen auszusetzen, hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2016 abgelehnt4.

Die Tabakherstellerin hat neben der hiesigen Verfassungsbeschwerde eine Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht Berlin erhoben, mit der sie unter Verweis auf die behauptete Unionsrechtswidrigkeit der EUTPD II die Feststellung begehrt, dass die auch im Rahmen der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Vorschriften der § 5 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG, § 6 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG in Verbindung mit §§ 12 bis 16 TabakerzV, § 18 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 TabakerzG auf ihre Tabakerzeugnisse nicht anwendbar seien. Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Europäischen Gerichtshof um eine Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Gültigkeit und Auslegung der maßgeblichen Vorschriften der EUTPD II ersucht5. Mit Urteil vom 30.01.20196 hat der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen beantwortet und insoweit keinen Verstoß gegen europäisches Recht durch die EUTPD II festgestellt. Die Tabakherstellerin hat sich daraufhin im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht mehr geäußert. 

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die hierfür nach § 93a Abs. 2 BVerfGG erforderlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die Verfassungsbeschwerde hat nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der Tabakherstellerin erforderlich, da sie unzulässig ist:

Keine Überprüfung anhand der deutschen Grundrechte

Soweit sich die Tabakherstellerin gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 TabakerzG in Verbindung mit §§ 12 bis 16 TabakerzV und § 18 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 TabakerzG wendet, fehlt es zwar nicht an ihrer Betroffenheit im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG. Sie ist auch nicht auf den rechtskräftigen Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu verweisen, da sie nachvollziehbar dargetan hat, dass die angegriffenen Regelungen sie zu kostenintensiven und nicht mehr korrigierbaren Umstellungen ihrer Produktion zwingen7. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unzulässig, da es teilweise an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt und eine Überprüfung der angegriffenen Regelungen am Maßstab der deutschen Grundrechte ausgeschlossen erscheint.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist entfallen, soweit sich die Tabakherstellerin durch die zur Umsetzung von Art. 7 Abs. 14 EUTPD II ergangene Übergangsregelung des § 47 Abs. 6 TabakerzG beschwert sieht. Denn mit der – nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde – erlassenen Regelung des § 34 Abs. 3 in Verbindung mit Anlage 1 Nr. 4 Buchstabe d Doppelbuchstabe aa TabakerzV in der Fassung vom 17.05.2017 wurde klargestellt, dass diese Übergangsfrist nicht nur für Menthol-Zigaretten, sondern auch für mentholisierten Feinschnitt gilt. Davon geht auch der Europäische Gerichtshof aus, der festgestellt hat, dass mit § 34 Abs. 3 TabakerzV das 3 %-Kriterium des Art. 7 Abs. 14 EUTPD II konkretisiert worden sei8. Damit hat sich die hinsichtlich der Übergangsvorschrift geltend gemachte Beschwer erledigt. Die Tabakherstellerin hat gerade gerügt, es verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot, dass die Übergangsregelung lediglich für Menthol-Zigaretten, jedoch nicht für mentholisierten Feinschnitt gelte. Ein trotz Erledigung fortbestehendes Sachentscheidungsinteresse9 lässt das Vorbringen der Tabakherstellerin nicht erkennen.

Die Verfassungsbeschwerde ist auch insoweit unzulässig, als die Unvereinbarkeit der ansonsten noch angegriffenen Regelungen des TabakerzG mit Grundrechten gerügt wird.

Das Bundesverfassungsgericht übt grundsätzlich keine Kontrolle über unionsrechtliches Fachrecht aus und überprüft dieses Recht nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, solange die Unionsgrundrechte einen wirksamen Schutz der Grundrechte generell bieten, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgen; maßgeblich ist insoweit eine auf das jeweilige Grundrecht des Grundgesetzes bezogene generelle Betrachtung10. Diese Grundsätze gelten nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für die Überprüfung innerstaatlicher Rechtsvorschriften, die zwingende Vorgaben in deutsches Recht umsetzen11. Verfassungsbeschwerden, die sich gegen in diesem Sinne verbindliches Fachrecht der Europäischen Union richten, sind danach grundsätzlich unzulässig12.

Ausgehend davon ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die angegriffenen Regelungen des TabakerzG setzen zwingende Vorgaben der Richtlinie EUTPD II um. Angesichts der nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erscheint es auch ausgeschlossen, dass eine Überprüfung der angegriffenen Regelungen durch das Bundesverfassungsgericht am Maßstab der deutschen Grundrechte eröffnet ist, weil der Europäische Gerichtshof die maßgeblichen zwingenden Vorgaben der Richtlinie aufgrund einer Vorlage wegen der von der Tabakherstellerin dargelegten Verletzung von Unionsgrundrechten für nichtig erklären könnte.

Mit den angegriffenen Regelungen des TabakerzG setzt der Gesetzgeber – wovon auch die Tabakherstellerin ausgeht – die zwingenden unionsrechtlichen Vorgaben der Art. 7 Abs. 1 und Abs. 7, Art. 8 bis 11 und Art. 13 Abs. 1 Buchstabe c EUTPD II um13. Soweit dem nationalen Gesetzgeber Gestaltungsspielräume verbleiben, wie hinsichtlich der Gestaltung der verpflichtend umzusetzenden Warnhinweise und Informationsbotschaften (Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 4 Buchstabe a und Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e Ziff. i und ii EUTPD II), betrifft dies nicht die von der Tabakherstellerin geltend gemachte grundrechtliche Beschwer. Den in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 EUTPD II eingeräumten Gestaltungsspielraum, der es den Mitgliedsstaaten freistellt, Rauchtabakerzeugnisse mit Ausnahme von Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen und Tabak für Wasserpfeifen vom kombinierten Text-Bild-Warnhinweis auszunehmen, hat der nationale Gesetzgeber zugunsten einer umfassenden Freistellung genutzt (§§ 15 bis 16 TabakerzV), so dass die Tabakherstellerin insoweit nicht beschwert ist.

Die von der Tabakherstellerin angeregte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Frage der Vereinbarkeit der den angegriffenen Regelungen des TabakerzG zugrundeliegenden zwingenden Vorgaben der EUTPD II mit Unionsgrundrechten mit dem Ziel, den Weg für eine Überprüfung am Maßstab der deutschen Grundrechte durch eine Ungültigerklärung dieser Vorgaben zu eröffnen, kommt angesichts der Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht (mehr) in Betracht.

Unmittelbar nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde befasste sich der Gerichtshof der Europäischen Union in den Urteilen “ Philip Morris Brands u.a.“14 und „Republik Polen“15 unter anderem mit Art. 7, Art. 8 bis 11 und Art. 13 EUTPD II. Der Unionsgerichtshof stellte klar, dass Art. 114 AEUV die geeignete Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der EUTPD II sei16. Außerdem bestätigte der Europäische Gerichtshof die Verhältnismäßigkeit des in Art. 7 Abs. 1 und Abs. 7 EUTPD II enthaltenen Verbots des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma17. Zu Art. 8 Abs. 3, Art. 9 Abs. 3, Art. 10 Abs. 1 Buchstabe g EUTPD II führte der Unionsgerichtshof ferner aus, dass diese Regelungen nicht offensichtlich ungeeignet seien oder offensichtlich über das hinausgingen, was erforderlich sei, um das Ziel zu erreichen, ausgehend von einem hohen Schutz der menschlichen Gesundheit, die Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarkts für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse zu verbessern18. Schließlich stellte der Europäische Gerichtshof klar, dass das Verbot des Art. 13 Abs. 1 Buchstabe c EUTPD II, auf ein bestimmtes Aroma oder dessen Fehlen hinzuweisen, selbst wenn die Information inhaltlich zutreffend sei, mit der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 11 GRCh und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sei19.

Die Vereinbarkeit der für die angegriffenen innerstaatlichen Regelungen maßgeblichen, zwingenden Vorschriften der EUTPD II mit primärem Unionsrecht hat der Europäische Gerichtshof insbesondere in dem Urteil „Planta Tabak-Manufaktur“6 bestätigt. Das Urteil erging auf Vorlage des Verwaltungsgerichts Berlin im Rahmen der von der Tabakherstellerin parallel zur Verfassungsbeschwerde geführten Feststellungsklage, mit der sie – wie in hiesiger Verfassungsbeschwerde – die Unionsrechtswidrigkeit der den angegriffenen Vorschriften des TabakerzeugnisG zugrundeliegenden Regelungen der EUTPD II geltend machte. Der Europäische Gerichtshof bekräftigte, dass Art. 7 Abs. 1 und Abs. 7 EUTPD II verhältnismäßig sei und auch die Übergangsregelung nach Art. 7 Abs. 14 EUTPD II nicht gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit verstoße20. Außerdem befasste sich der Europäische Gerichtshof ausdrücklich mit der Frage, ob es den Mitgliedstaaten gestattet sei, ergänzende Übergangsfristen neben der Frist nach Art. 29 Abs. 1 EUTPD II für die Anwendbarkeit der Vorgaben der Richtlinie ab dem 20.05.2016 und der Frist für den Abverkauf von Altprodukten nach Art. 30 EUTPD II festzulegen. Dies wird vom Europäischen Gerichtshof verneint. Darin liege auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil der Zeitraum von zwei Jahren, über den die Mitgliedstaaten verfügten, um die Bestimmungen zur Umsetzung der am 19.05.2014 in Kraft getretenen EUTPD II zu erlassen und sicherzustellen, dass den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern ausreichend Zeit zur Anpassung an die Vorgaben der Richtlinie bleibe, angemessen sei. Überdies dürften die Mitgliedstaaten nach Art. 30 EUTPD II den Abverkauf von Altware zulassen21. Hinsichtlich des Verbots irreführender Werbung nach Art. 13 Abs. 1 Buchstabe c EUTPD II bestätigte der Europäische Gerichtshof, dass dieses auch unter dem Gesichtspunkt der Beschränkung der Verwendung von Markennamen verhältnismäßig sei und daher nicht gegen das Eigentumsrecht nach Art. 17 GRCh verstoße22.

In Anbetracht dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist das Vorbringen der Tabakherstellerin zur Unionsrechtswidrigkeit der hier maßgeblichen zwingenden Vorgaben der EUTPD II überholt. Davon geht anscheinend auch die Tabakherstellerin aus. Sie hat selbst nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 30.01.20196, das auf Vorlage des Verwaltungsgerichts Berlin im Rahmen der von ihr geführten Feststellungsklage ergangen ist und die von ihr auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren aufgeworfenen Fragen zur Vereinbarkeit der Richtlinie mit Unionsgrundrechten maßgeblich klärt, nicht versucht darzulegen, weshalb ihrer Anregung einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gleichwohl noch gefolgt werden sollte. Damit kommt eine Vorlage mit dem Ziel, den Weg zu einer Überprüfung der angegriffenen Regelungen des TabakerzG am Maßstab der deutschen Grundrechte durch eine Ungültigerklärung der zugrundeliegenden zwingenden Vorgaben der Richtlinie zu eröffnen, nicht (mehr) in Betracht.

Die Tabakherstellerin macht nicht geltend, dass die Unionsgrundrechte mit Blick auf die dargestellte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs den vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Schutz zumal des Wesensgehalts der hier in Rede stehenden Grundrechte generell verfehlt. Dafür gibt es auch keine Anhaltspunkte.

Grundrechtsverletzung durch eine verspätete Richtlinien-Umsetzung?

Die Verfassungsbeschwerde ist auch insoweit unzulässig, als die Tabakherstellerin den Erlass der Vorschriften zur Umsetzung der EUTPD II durch den nationalen Gesetzgeber als verspätet rügt.

Allerdings ist insoweit die Prüfung am Maßstab der Grundrechte eröffnet, weil die Rüge einen Bereich betrifft, in dem das Unionsrecht den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielraum lässt23. Die gemäß Art. 32 EUTPD II am 19.05.2014 in Kraft getretene Richtlinie schreibt zwar vor, dass sie ab dem 20.05.2016 anzuwenden ist (Art. 29 Abs. 1 EUTPD II). Die Mitgliedstaaten waren jedoch unionsrechtlich nicht gehindert, die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie schon vor diesem Zeitpunkt zu erlassen. Daher steht der Rüge, der Gesetzgeber sei grundrechtlich verpflichtet gewesen, die Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie so rechtzeitig zu erlassen, dass die Normadressaten die notwendigen Maßnahmen zur Umstellung der Produktionsabläufe vor Anwendung der Neuregelung ab dem 20.05.2016 hätten durchführen können, nicht bereits der Anwendungsvorrang des Unionsrechts entgegen24.

Es kann dahinstehen, ob Gründe vorliegen, nach denen das Rechtsschutzbedürfnis trotz Erledigung des verfolgten Begehrens – hier mit Erlass der innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie – ausnahmsweise fortbesteht25. Jedenfalls ist eine Verletzung von Grundrechten nicht in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise dargetan.

Die Tabakherstellerin zeigt nicht substantiiert auf, wann konkret in dem zweijährigen Zeitraum zwischen dem Erlass der Richtlinie am 19.05.2014 (Art. 32 EUTPD II) und deren Anwendbarkeit am 20.05.2016 der Gesetzgeber welche Vorschriften zur Umsetzung hätte erlassen sollen, um unzumutbare Belastungen infolge eines nicht ausreichenden Zeitraums für die Umstellung der Produktionsabläufe zu vermeiden. Es wird schon nicht hinreichend berücksichtigt, dass insoweit nur die spezifischen Folgen des als verspätet gerügten Erlasses von Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie relevant sein können und die aus den Vorgaben der Richtlinie selbst resultierenden Nachteile von vorneherein außer Betracht bleiben müssen. Daher geht der Verweis der Tabakherstellerin auf die infolge der notwendigen Produktionsumstellung anfallenden Investitionskosten sowie die wegen der Produktionsstillegung während des Umstellungsprozesses und der Marken- und Produktverbote anfallenden Ertragseinbußen ins Leere. Im Übrigen führt die Tabakherstellerin lediglich aus, dass ein früherer Erlass von Vorschriften zur Umsetzung der EUTPD II es ihr ermöglicht hätte, die erforderlichen Umstellungen der Produktion nahezu vollständig bis zum Inkrafttreten des TabakerzG am 20.05.2016 vorzunehmen. Dadurch hätten monatelange Produktionsausfälle vermieden werden können; die Gesamtbelastung wegen „fehlender Übergangsfrist“ belaufe sich auf 1, 9 Millionen Euro. Konkrete Darlegungen zu Produktionsausfällen, die gerade bei Erlass des innerstaatlichen Rechts zu einem bestimmten, nach Ansicht der Tabakherstellerin grundrechtlich gebotenen Zeitpunkt vor dem 20.05.2016 vermeidbar gewesen wären, fehlen jedoch.

Es kommt hinzu, dass auch nach Auffassung der Tabakherstellerin erst die im Oktober 2015 vorliegenden Durchführungsbeschlüsse der Europäischen Kommission die Richtlinie hinsichtlich eines für die Produktionsumstellung wesentlichen Bereichs, nämlich der technischen Spezifikationen für das Layout, die Gestaltung und die Form der kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweise für Rauchtabakerzeugnisse und zur genauen Anordnung des allgemeinen Warnhinweises sowie der Informationsbotschaft auf in Beuteln verkauftem Tabak zum Selbstdrehen vollständig und vollziehbar gemacht haben; letzte Korrekturen seien noch im Februar 2016 auf Unionsebene erfolgt. Es wird jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ein insoweit ohnehin nur kurze Zeit vor dem Inkrafttreten des Tabakerzeugnisgesetzes am 20.05.2016 möglicher Erlass innerstaatlichen Rechts unzumutbare Belastungen verhindert hätte.

Abgesehen davon kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass eine isolierte frühzeitige Teilumsetzung bereits hinreichend konkretisierter Vorgaben der Richtlinie in nationales Recht sinnvoll möglich gewesen wäre. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme nachvollziehbar darauf verwiesen, dass das TabakerzG einheitlich habe erlassen werden müssen, weil alle Regelungen aufeinander bezogen seien und eine Zersplitterung des Gesetzgebungsverfahrens die politische Willensbildung und den gesetzgeberischen Entscheidungsprozess erheblich kompliziert hätte. Hierzu verhält sich die Verfassungsbeschwerde nicht.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. September 2020 – 1 BvR 895/16

  1. ABl Nr. L 127 vom 29.04.2014[]
  2. ABl Nr. L 252 vom 29.09.2015[]
  3. ABl Nr. L 267 vom 14.10.2015[]
  4. BVerfG, Beschluss vom 18.05.2016 – 1 BvR 895/16[]
  5. VG Berlin, Beschluss vom 21.04.2017 – 14 K 172.16[]
  6. EuGH, Urteil Planta Tabak-Manufaktur vom 30.01.2019 – C-220/17, EU:C:2019:76[][][]
  7. vgl. BVerfGE 43, 291 <387> 60, 360 <372>[]
  8. vgl. EuGH, Urteil vom 30.01.2019, Planta Tabak-Manufaktur, – C-220/17, EU:C:2019:76, Rn. 69[]
  9. vgl. BVerfGE 33, 247 <257 f.> 50, 244 <248> 81, 138 <140> 91, 125 <133> 99, 129 <138>[]
  10. vgl. BVerfGE 73, 339 <387> 102, 147 <162 f.> 125, 260 <306> BVerfG, Beschluss vom 06.11.2019 – 1 BvR 276/17, Rn. 47 a.E. – Recht auf Vergessen II; BVerfG, Beschluss vom 27.05.2020 – 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13, Rn. 84 – Bestandsdatenauskunft II[]
  11. vgl. BVerfGE 118, 79 <95 ff.> BVerfG, Beschluss vom 11.03.2020, – 2 BvL 5/17, Rn. 65[]
  12. vgl. BVerfGE 118, 79 <95> 121, 1 <15> 125, 260 <306>; siehe hingegen zur bundesverfassungsgerichtlichen Kontrolle am Maßstab der Unionsgrundrechte im Fall der Überprüfung der Anwendung von zwingendem Recht der Europäischen Union und der Anwendung innerstaatlicher Vorschriften, die zwingendes Unionsrecht umsetzen, BVerfG, Beschluss vom 06.11.2019 – 1 BvR 276/17, Rn. 52; die Möglichkeit bundesverfassungsgerichtlicher Kontrolle am Maßstab der Unionsgrundrechte im Fall der Normprüfung offenlassend jetzt BVerfG, Beschluss vom 06.11.2019 – 1 BvR 276/17, Rn. 51 a.E.; BVerfG, Beschluss vom 13.02.2020 – 2 BvR 739/17, Rn. 116 – Einheitliches Patentgericht[]
  13. vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 18.05.2016 – 1 BvR 895/16, Rn. 31[]
  14. EuGH, Urteil Philip Morris Brands u.a. vom 04.05.2016 – C-547/14, EU:C:2016:325[]
  15. EuGH, Urteil Republik Polen vom 04.05.2016 – C-358/14, EU:C:2016:323[]
  16. vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2016, Philip Morris Brands u.a., – C-547/14, Rn. 54 ff.[]
  17. vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2016, Philip Morris Brands u.a., – C-547/14, EU:C:2016:325, Rn. 168 ff.; und Republik Polen, – C-358/14, EU:C:2016:323, Rn. 78 ff.[]
  18. vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2016, Philip Morris Brands u.a., – C-547/14, EU:C:2016:325, Rn.192 ff.[]
  19. vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2016, Philip Morris Brands u.a., – C-547/14, EU:C:2016:325, Rn. 146 ff.[]
  20. vgl. EuGH, Urteil vom 30.01.2019, Planta Tabak-Manufaktur, – C-220/17, EU:C:2019:76, Rn. 29 ff.[]
  21. vgl. EuGH, Urteil vom 30.01.2019, Planta Tabak-Manufaktur, – C-220/17, EU:C:2019:76, Rn. 71 ff.[]
  22. vgl. EuGH, Urteil vom 30.01.2019, Planta Tabak-Manufaktur, – C-220/17, EU:C:2019:76, Rn. 91 ff.[]
  23. vgl. BVerfGE 121, 1 <15> BVerfG, Beschluss vom 06.11.2019 – 1 BvR 16/13, Rn. 42[]
  24. vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 18.05.2016 – 1 BvR 895/16, Rn. 30[]
  25. vgl. BVerfGE 91, 125 <133> 81, 138 <140 f.>[]

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