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»Drogen morden unsere Kinder« - DER SPIEGEL
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»Drogen morden unsere Kinder«

Mit seiner Kriegserklärung gegen Rauschgiftsucht und Drogenhandel konnte US-Präsident Bush nicht überzeugen. Zwar forderte er mehr Gefängnisse und schärferes Durchgreifen. Doch sein 7,9-Milliarden-Dollar-Plan vernachlässigt Aufklärung, Erziehung und Therapie. Hilfe für die drogenverseuchten Gettos bietet er nicht.
aus DER SPIEGEL 37/1989

Zwei Wochen lang waren getarnte Fahnder der amerikanischen Drogenbehörde DEA unterwegs, um ein wichtiges Requisit für den Präsidenten aufzutreiben: Crack-Kokain.

Direkt gegenüber dem Weißen Haus, im Lafayette Park auf der anderen Seite der Pennsylvania Avenue, wurden sie fündig. Sie kauften genug Stoff, um ein dekoratives Päckchen zusammenzustellen. Die Dealer ließen sie laufen.

Am Dienstagabend voriger Woche, kurz nach Beginn seiner großen Anti-Drogen-Rede, die George Bush live an die Fernsehnation richtete, kramte der Präsident das Crack-Paket aus der Schublade seines Schreibtisches und hielt es vor die Kamera: »Das hier sieht so harmlos aus wie Konfekt, aber es verwandelt unsere Städte in Schlachtfelder, und es mordet unsere Kinder.«

Es war das erste Mal in den knapp acht Monaten seiner Amtszeit, daß Bush sich direkt an das amerikanische Volk wandte, um sich »der größten inneren Bedrohung« zu stellen, »der unsere Nation heute ausgesetzt ist: Drogen«.

Ängstliche Berater im Weißen Haus hatten dem Präsidenten empfohlen, für seine erste Ansprache ein unverfänglicheres Thema zu wählen, Umweltschutz zum Beispiel. Sie hielten es für unklug, daß Bush persönlich einen Krieg erklären wollte, der vielleicht überhaupt nicht und schon gar nicht rasch gewonnen werden kann.

Doch der Präsident, gedrängt von seinem Drogenbeauftragten William Bennett (siehe Seite 160), blieb fest. »Der Drogenkrieg wird hart sein, wir werden ihn Viertel um Viertel, Straße um Straße, Kind um Kind führen müssen«, verkündete er und schloß pathetisch: »Sieg, Sieg über das Rauschgift ist unsere Sache, eine gerechte Sache, und mit Ihrer Hilfe werden wir gewinnen.«

Das hörte sich dramatisch und entschlossen an wie einst Winston Churchills »Blut, Schweiß und Tränen«-Rede vor dem britischen Parlament. Doch jenseits der Rhetorik wurde schnell klar, daß Bushs angeblich neue Strategie zur Drogenbekämpfung bestenfalls zentimeterweisen Fortschritt bringen kann.

Denn im wesentlichen schlug der Präsident das gleiche vor, was US-Regierungen schon in der Vergangenheit ohne sonderlichen Erfolg ausprobiert haben. Einziger Unterschied: Von allem soll es diesmal ein bißchen mehr sein - mehr Verhaftungen, mehr Gefängnisse, mehr Therapieplätze und mehr Hilfe für lateinamerikanische Staaten, die bereit sind, sich mit den Drogenkartellen anzulegen.

Dafür will Bush im kommenden Haushaltsjahr 7,9 Milliarden Dollar ausgeben, 2,2 Milliarden mehr als bisher. Die Steigerung (fast 40 Prozent) scheint eindrucksvoll. Aber von den zusätzlichen 2,2 Milliarden fließt ein großer Teil in den Ausbau der Bundesgefängnisse, die auch ohne den Drogenkrieg hätten erweitert werden müssen.

Zudem sollen die meisten Mittel nach dem Gießkannenprinzip so weit über das Land gestreut werden, daß im Einzelfall nicht mehr viel unten ankommt. »Wenn das Geld erst mal auf 50 Bundesstaaten und 10 000 Städte verteilt ist, dann bleibt für jeden ein Klacks«, klagte ein Geschäftsführer der US-Bürgermeisterkonferenz. Kathryn Whitmire, Stadtoberhaupt von Houston, hat ausgerechnet, daß sie von den Zuschüssen vielleicht 20 neue Polizisten einstellen kann - bei über 4000, die es in der Stadt derzeit gibt.

»Was wir brauchen, ist eine Kraftanstrengung wie bei der Landung in der Normandie, kein neues Vietnam, keinen begrenzten Krieg zum Billigtarif, der in einem Unentschieden enden muß«, rügte der demokratische Senator Joseph Biden denn auch Bushs Programm.

Der Präsident, der am Tag nach seiner Rede Babys rauschgiftsüchtiger Mütter herzte und für seinen Plan eine Werbetournee quer durch die USA startete, wies die Einwände zurück: »Wer unsere Strategie nur nach dem Preisschild beurteilt, versteht schlicht das Problem nicht.« In Wirklichkeit weiß Bush sehr wohl, daß die Zahl auf dem Preisschild letztlich alles entscheidet.

Aber der Präsident steckt in einer Falle, die er sich im Wahlkampf selbst gestellt hat. Noch wichtiger als der Drogenkrieg ist ihm sein damals gegebenes Versprechen, unter keinen Umständen die Steuern zu erhöhen. Deshalb mag er gewillt sein, Straße um Straße und Kind um Kind zu kämpfen, aber nicht Dollar um Dollar.

Schwerer noch als die zu karge finanzielle Ausstattung wiegt ein Strukturfehler in Bushs Anti-Drogen-Strategie: Nach wie vor plant die Regierung, über zwei Drittel ihrer Mittel für die gesetzliche Bekämpfung des Rauschgiftkonsums auszugeben, aber nur 30 Prozent für Aufklärung, Erziehung und Therapie.

Experten schätzen, daß 6,5 Millionen Amerikaner sich wegen Drogenmißbrauchs behandeln lassen müßten. Diesem Bedarf stehen derzeit nur 250 000 Therapieplätze gegenüber. Die 237 zusätzlichen Millionen, die Bush in diesem Bereich bewilligen will, können die enorme Lücke nicht schließen.

Dabei sind sich alle Fachleute einig, daß der Versuch, die Zufuhr an Rauschgift zu stoppen, nahezu aussichtslos ist, solange die Nachfrage unvermindert anhält. Selbst wenn es Bush und den Regierungen in Peru, Kolumbien und Bolivien gelänge, die Kokainfelder einzuebnen, die Labors zu zerstören und die Kartellbosse einzusperren, würden die kleinen Dealer und ihre Kunden in Washington, New York und Los Angeles nicht einfach aufgeben; sie würden auf anderen Stoff, etwa hausgemachte synthetische Drogen, umsteigen.

Ein schwarzer Jugendlicher aus den Elendsvierteln von Boston, der mit dem Verkauf von Crack leicht 2000 Dollar pro Woche verdient, ist auch durch hohe Gefängnisstrafen nicht zu schrecken, weil er in Wahrheit gar keine beruflichen Alternativen sieht.

Und der Drogensumpf läßt sich nicht dadurch austrocknen, daß die Gelegenheitsbenutzer von Kokain hart angepackt werden, wie Bushs Drogenzar Bennett empfiehlt. Um einen dauerhaften Erfolg zu erzielen und die Bandenkriege um Verkaufsreviere zu beenden, müßten zuallererst die schwarzen Elendsgettos in den Großstädten saniert werden.

Das aber bedeutet: mehr Geld für den Wohnungsbau, für Schulen und Berufsausbildung, höhere Familienbeihilfen - rund zwei Drittel aller schwarzen Haushalte in den Armutsvierteln werden heute von alleinstehenden Müttern geführt. Von alledem steht in Bushs Rede kein Wort.

Drogenfachleute, die mit den Problemen an der Basis vertraut sind, fürchten deshalb, daß die Kriegserklärung des Präsidenten genauso verpuffen wird wie frühere vollmundig verkündete Anti-Drogen-Feldzüge.

Jack Blum, ein ehemaliger Drogenberater des Senats, fühlte sich angesichts des Bush-Vortrags, »als wäre die Zeit stehengeblieben«. Schon Richard Nixon hatte 1972 »einen totalen Krieg gegen gefährliche Drogen« erklärt und Rauschgifthändlern damit gedroht, sie bis in ihre ausländischen Schlupfwinkel zu verfolgen.

Zehn Jahre später hißte Ronald Reagan »die Kriegsflagge« und schuf die South Florida Task Force, um den Kokainschmuggel aus Südamerika zu unterbinden. Zum obersten Kriegsbeobachter ernannte er seinen Vizepräsidenten George Bush.

Auch in den Folgejahren ging der Kampf unvermindert weiter, Reagan verglich ihn gar mit dem Zweiten Weltkrieg: »Jetzt kämpft Amerika wieder in einem Krieg für die Freiheit.«

Und Bush, durch die Erfahrungen der Vergangenheit offenbar nicht entmutigt, versprach in seiner Antrittsrede als Präsident am 20. Januar dieses Jahres: »Ich gebe euch mein Wort: Diese Geißel wird verschwinden.«

Glänzende Siege konnte die US-Regierung indes nicht feiern. Zwar vergrößerte die amerikanische Drogenbehörde DEA in den vergangenen acht Jahren die Zahl ihrer Ermittler um 60 Prozent, der Wert der abgefangenen Rauschgiftsendungen kletterte von 10 Millionen auf über 600 Millionen Dollar, und die Bundesgerichte verurteilten voriges Jahr 200 Prozent mehr Drogenkriminelle als 1980.

Trotzdem setzt das illegale Rauschgiftgeschäft in den USA heute weit über 100 Milliarden Dollar pro Jahr um - erheblich mehr als die Bruttosozialprodukte von Peru, Bolivien und Kolumbien zusammengenommen. Und 55 Prozent aller US-Oberschüler sagen laut Umfragen, daß sie »sehr leicht« an Kokain herankommen könnten.

Während Bush im Fernsehen den Sieg über das Rauschgift versprach, hat sein Feldherr Bennett das Kriegsziel bescheidener definiert. Ihm reicht es, wenn der Drogenverbrauch jährlich um rund fünf Prozent abnimmt, bis zu einer Halbierung in zehn Jahren - wenn es eine Regierung Bush mit Sicherheit nicht mehr geben wird.

Was Wunder, daß der New York Times da Bushs Aufruf zu den Waffen nur »wie ein Flüstern« vorkam.

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