(Translated by https://www.hiragana.jp/)
Mit Gottes Hand - DER SPIEGEL
Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 53 / 99

Katastrophen Mit Gottes Hand

Ein brasilianischer Pilot lenkte seine Maschine völlig verkehrt über den Urwald und landete auf Baumwipfeln - von den Überlebenden als Held gefeiert.
aus DER SPIEGEL 37/1989

Mit ruhiger Stimme, so erinnert sich Passagier Epaminondas Souza Chaves, habe der Pilot des Varig-Fluges RG 254 von Sao Paulo nach Belem in der Nähe der Amazonasmündung zu seinen Fluggästen gesprochen.

»Er bat uns, ihm zu vergeben, und forderte uns auf, zu Gott zu beten, und er wünschte uns viel Glück.«

Die Passagiere beteten. 41 von ihnen, darunter die sechsköpfige Crew, hatten das gewünschte Glück. 13 aber überlebten die Bauchlandung der Boeing 737-200 auf den Wipfeln der Dschungelriesen im Urwald-Bundesstaat Mato Grosso nicht.

Das war am vorletzten Sonntag im Finstern gegen 20.30 Uhr, und der Überlebende Epaminondas Chaves ist sich ganz sicher: »Gottes Hand hat unseren Sinkflug geleitet.«

Neben der himmlischen Intervention galt es gleichwohl, zwei irdische Helden zu feiern: den Indio Alfonso Saraiva, 19, Goldsucher und arbeitslos, dessen »Instinkt« (Saraiva) ihn, trotz einer Kopfwunde, an der Spitze dreier weiterer Überlebender 46 Kilometer sicher durch den unwegsamen Urwald zunächst zu einer menschlichen Behausung und dann zu einem Amateurfunker führte. Am Mittwoch früh endlich, nach zwei Tagen und drei höllischen Nächten, konnte die Bergung der Verschollenen beginnen.

Als Held Nummer zwei umjubelt wurde Pilot Cesar Augusto Padula Garcez, 32, laut Varig-Präsident Helio Smidt ein »ruhiger, mutiger Mann und erstklassiger Profi« mit achtjähriger Dienstzeit bei seiner Airline - und wie die meisten seiner Landsleute fanatischer Fußballanhänger.

Der Flugzeugführer, soviel steht fest, hatte sich so sehr verflogen - um weit über 100 Grad -, wie es nach Ansicht von Experten ohne einen atemraubenden Pilotenfehler gar nicht möglich sein konnte.

Nach etlichen Zwischenstopps war die Boeing um 17.25 Uhr in der Stadt Maraba gestartet, 40 Minuten später sollte sie 280 Flugmeilen weiter nordöstlich in Belem landen.

Statt dessen krachte sie knapp drei Stunden später 450 Meilen südwestlich von Maraba in den Urwald, nachdem der Treibstoff verbraucht war und Pilot Garcez noch über Funk mitgeteilt hatte, er werde eine Notlandung versuchen und sich bei diesem Flugmanöver an einem Brandrodungsfeuer am Boden orientieren.

Zwei Stunden zuvor hatte er gemeldet, sein Navigationssystem sei defekt, »ich bin auf dem falschen Kurs«.

Wie er auf den gekommen war, konnte als das eigentliche Rätsel dieser Luft-Odyssee mit dem wundersamen Ausgang gelten.

War hier das Fußballfieber im Spiel? Unter Berufung auf einen Fluglotsen wußten jedenfalls brasilianische Zeitungen zu berichten, der Pilot habe sich kurz nach dem Start in Maraba nach der Rundfunkfrequenz erkundigt, auf der das Qualifikationsspiel Brasilien-Chile für die Kicker-Weltmeisterschaft 1990 in Italien gesendet wurde, das gerade im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro tobte.

Der Pilot, vermuteten Flugexperten Mitte voriger Woche, könnte von dem Match so sehr fasziniert gewesen sein, daß er darüber dem Autopiloten nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkte.

Bei der Unglücksmaschine, einem älteren Boeing-737-Muster, wird der Autopilot über Funkfeuer gesteuert. Wo die fehlen, läuft die Steuerung nach der vom Piloten eingegebenen Kompaßrichtung.

Statt der Markierung 027, die das Flugzeug nach Nordosten hätte schweben lassen, so die ersten Spekulationen, habe der Pilot möglicherweise 270 - das führte nach Westen - programmiert. Und genau so soll es gewesen sein, das habe ihm der Pilot mitten im Tropenwald selbst erzählt, vertraute der davongekommene Epaminondas Chaves Ende voriger Woche einem brasilianischen Reporter an.

»Warten wir ab, was die Ermittlungen bringen«, kommentierte Varig-Chef Smidt alle Spekulationen, während Brasiliens Luftwaffenminister Otavio Moreira Lima noch das »fliegerische Meisterstück« des Urwald-Bruchpiloten rühmte.

Der begehrte als allererstes nach der Ankunft seiner Retter von ihnen zu wissen: »Wie ist das Fußballspiel ausgegangen?«

Abbruch beim Stand 1:0 für Brasilien in der zweiten Halbzeit, nachdem Chiles Torwart ein Feuerwerkskörper um den Kopf geflogen war. f

Zur Ausgabe
Artikel 53 / 99

Mehr lesen über