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Holocaust |
M.,
vereinzelt N. (-(s); -e(n)), im frühen 16. Jh. vereinzelt, seit Ende 18. Jh.
kontinuierlich belegte Entlehnung aus gleichbed. spätlat. holocaustum
< griech. ὁλ όκαυστον, N. von ὁλ όκ α υ [σ ]τος
(zu ὅλος ‘ganz, vollständig’, vgl. Holographie, holistisch, und
κ α ύ[σ ]τος ‘verbrannt’, zu κ α ίε ι ν
‘verbrennen’) (vgl. a), im späten 20. Jh. aus engl. holocaust in seiner
Bed. ‘völlige Verbrennung, Massenvernichtung’ neu entlehntes Holocaust M.
(-(s); -s) als historische Bezeichnung für den von den Nazis verübten Massenmord
an den Juden während des zweiten Weltkriegs (vgl. b), zunächst in der lat.
(flekt.) Form und bis heute in der (griech. beeinflussten) Schreibweise
Holokaust.
a Zunächst fachspr. (Theologie,
Altertumswissenschaften) mit Bezug auf biblische bzw. antike Verhältnisse in der
konkreten Bed. ‘Brandopfer, bei dem kein Stück des geopferten Tiers gegessen
werden darf, vollständige Verbrennung eines Opfertiers’ (→ Hekatombe),
vereinzelt bildlich (s. Belege 1798, 1855), meist im Pl. in Wendungen wie
Holokauste für die chthonischen Gottheiten, im Tempel Salomos wurden jeden
Morgen und jeden Abend Holokauste dargebracht und Zss. wie
Holokaustaltar, -opfer, mit der seit Mitte 19. Jh. vereinzelt belegten
Personenbezeichnung Holokauste M. (-en; -en) ‘Mensch, der (z. B. als
Opfer der spanischen Inquisition) öffentlich bei lebendigem Leibe verbrannt
wird’.
b Seit spätem 20. Jh., unter Einfluss der amerikanischen
Fernsehsendung „Holocaust“ aus dem Jahr 1978 (s. Beleg 1978), als historische
Bezeichnung für die Verfolgung und Massenvernichtung insbes. von europäischen
Juden in Gas- und Verbrennungsanlagen von Konzentrationslagern zur Zeit des
Nationalsozialismus (vgl. Shoah), auch mit Bezug auf Sinti und Roma (s.
Belege 1979, 1999), (meist mit bestimmtem Artikel gebraucht) in Wendungen wie
Schrecken/Grauen des Holocaust, Geschichte/Erforschung des
Holocaust, Überlebende/Opfer des Holocaust, Täter/Vollstrecker des
Holocaust, der Holocaust der Juden, Judenverfolgung und
Holocaust, Nationalsozialismus und Holocaust, dem Holocaust
entronnen, sie überlebte als einzige von ihrer ganzen Familie den
Holocaust, die Familie im Holocaust verloren, vor dem Holocaust
gerettet, sich an den Holocaust erinnern, Gedenktag für die Opfer
des Holocaust, über den Holocaust reden/sprechen, den Holocaust
leugnen/relativieren/verharmlosen, vor/nach dem Holocaust, meist als
Bestimmungswort in Zss. wie Holocaustdenkmal/-mahnmal/-gedenkstätte,
-experte, -forschung, -gedenkfeier, -gedenktag, -konferenz,
-leugner, -museum, -opfer, -thematik, -tragödie, -überlebende;
holocaustleugnend, -geprägt, -geschädigt; seltener als Grundwort in
Nazi-/NS-Holocaust; gleichzeitig auch verallgemeinert für
‘Massenvernichtung menschlichen Lebens (bes. im Zusammenhang mit
Kriegsgeschehen)’ (s. Belege 1985, 1988, 2003.1; → Genozid, → Massaker), häufig
in den Wendungen atomarer/nuklearer Holocaust (wohl nach engl. nuclear
holocaust) und in (z. T. okkasionellen) Zss. wie Abtreibungs-, Albaner-,
Atom-, Bomben-, Hexen-, Kinder-, Tutsi-,
Zigeuner-/Roma-Holocaust.
Belege
Luther 1517
Bußpsalmen (WA I 194)
Diße weyße und gelassenheit ist die hochst
gerechtickeit, die wir haben mügen, und das rechte opfer, das do heyst
holocaustum, alße hernach volget. ‘Unde die holocausten und ander opffer, den
werden sie auff deynen alter kelber opfern.’ In deutscher tzungen kan man die
hebreischen worter nit außdrucken, wan wir nur das wortleyn (opfer) haben, das
bey unß allerley opfer heyst gemeynicklich. In dem hebreischen aber sind yr vill
und underscheydene namen der opfer . . Darunder waren etlich die hießen
holocausta, das ist auff deutsch die gantz vorbranten, von den die priester
adder opferer nichts behilten;
Franck 1534 Weltbuch 177a
die opfer
holocausta, welche das feur vom himmel verzört und auflecket (DWB);
1798
Athenäum I 1,41
(Poesie:) Ich will es dir nicht verschweigen, Deutscher, daß
einige von euch, die sich zu meiner Religion bekennen, manchmal in die
Abgötterey des Rhythmusdienstes verfallen. (Grieche:) Und die Opfer, die bey
diesem Dienste gebracht werden, sind Holokauste: niemand kann sie genießen;
1828 Heidelb. Jahrbücher XXI 74
Desgleichen wird ihm [Prometheus] die
Einführung eines aufgeklärteren Gottesdienstes, anstatt der Holokausten nur die
in Fett eingewickelten Schenkelknochen den Göttern zu opfern, zum Frevel
angerechnet;
Meißner 1855 Sansara II 98
Sie verbrennen, wie ein
Holokaust, die öden Bücher (SANDERS 1871);
Chwolsohn 1856 Ssabier II 91
Die Nachricht des Asclepiades in seinem Buche über Cypern und Phönizien . .,
dass ursprünglich alle Opfer Holacausta [!] waren . ., dass ferner der Genuss
des Opferfleisches sogar mit dem Tode bestraft wurde, und dass endlich der
Gebrauch, das Opferfleisch zu essen, erst zur Zeit des Pygmalion aufgekommen
sei: beweist unseres Erachtens, dass auch später Holocausta sehr häufig gewesen
sein mochten, und dass das Verbrennen der Opfer die eigentliche Grundidee der
Opferhandlung, wenigstens im Orient, gewesen ist;
Hahn-Hahn 1860 Maria Regina
II 228
Wir müssen Gott bitten um Erleuchtung für uns und für ihn. Wir müssen
uns bereit machen, nicht bloß Opfer zu bringen, sondern uns selbst durch die
stets erneuerte Hingebung unseres Willens an Gott als ein lebendiges Holocaust
ihm darzubieten (DiBi 125);
Haneberg 1869 Relig. Alterthümer 407
Bei der
Reinigung des Aussätzigen war neben einem Holokaust ein Sündopfer
vorgeschrieben;
Rohde 1898 Psyche 17
Sieht man in solchen Holokausten für
die chthonischen und manche olympische Gottheiten Opfergaben, so hat man kein
Recht, den Begehungen am Scheiterhaufen des Patroklos einen anderen Sinn
unterzuschieben;
Oldenberg 1917 Religion des Veda 333
Das griechische
Opferritual untersagte den Genuss von Opfern, die an Manen oder an chthonische
Gottheiten gerichtet waren . .; die Opfer wurden hier als Holokausten
dargebracht;
Scheeben 1948 Handb. d. kathol. Dogmatik II 254
wie die
mosaischen Priester als solche, d. h. als Geheiligte Gottes, auch am
Brandopferaltar speziell für sich nur unblutige Holokauste darbrachten;
Burkert 1977 Griech. Religion 112
Feueropfer, bei denen Tiere oder gar
Menschen ‘ganz’ verbrannt werden, Holokauste, sind bezeichnend für die Religion
der Westsemiten, der Juden und der Phöniker;
Boehringer 2001 Heroenkulte
81
Holokauste finden sich im Kalender vier Mal: zwei Ferkel für Epops, ein
Ferkel für Zeus Epopetes und ein Lamm für Basile;
Gäckle 2004 Starke u.
Schwache 145
Holokauste, d. h. die vollständige Verbrennung des Opfers (wie
es z. B. beim Tamidopfer im Jerusalemer Kult die Regel war), waren in
Griechenland eher selten.
Cuendias 1847 Spanien
101
Die Geschichte hat die Namen der Holokausten, die bei diesem
Menschenopfer lebendig dargebracht wurden, aufbewahrt: Augustin Cazalla,
Canonicus aus Salamanca; – Francisco Cazalla, sein Bruder, Pfarrer im Dorfe
Hormigo; . . Catharina von Reinoso, eine Nonne des Ordens von Citeaux – und vier
getaufte Juden, die wieder zum Glauben ihrer Väter zurückgekehrt waren; ihnen
wurde, ehe sie lebendig verbrannt wurden, die Hand an den Galgen genagelt;
Hausmann 1997 Umbruch 7
Nur so kann er aufschreiben, was er in sich hat.
Der Holokauste horcht in seine Tiefen, die jenseits aller Archepompen und ihrer
Verfremdungen ihn hindern wollen, sein Blut sich verströmen [zu] lassen.
Süddtsch. Ztg. 20./21. 5. 1978
Die von der ARD
angekaufte amerikanische Fernsehserie „Holocaust“ ist, lange vor der
Ausstrahlung in Deutschland, zum eifrig diskutierten Konfliktstoff geworden. . .
Das englische Wort Holocaust ist ein Sammelbegriff für Feuersbrunst,
Brandopfer, Vernichtung, Massenmord. In Amerika wurde es seit der Hitler-Zeit
zum Kennwort für die vom Dritten Reich angestrebte „Endlösung“, die Ausrottung
der jüdischen Rasse (AWB);
Zeitmagazin 3. 8. 1979
Daß es auch einen
Holocaust der Zigeuner gegeben hat, ist viel zu wenig bekannt (AWB);
Zeit
11. 1. 1985
[der Film] „Threads“ macht sich die Prognosen über die
drastischen Klimaveränderungen zu eigen. Er zeigt schonungslos das
Unvorstellbare: den atomaren Holocaust, gespiegelt im Untergang Sheffields, und
den folgenden, anhaltenden nuklearen Winter. Es gibt kein Entrinnen, keinen
Schutz in einer atomwaffenfreien Zone, keine Überlebensoase in einem fernen
exotischen Land;
taz 7. 2. 1987
„Shoah“ heißt auf Hebräisch
„Katastrophe“. Bei den Recherchen zu seinem Film „Shoah“ über den immer noch und
immer wieder verdrängten Abschnitt der deutschen Geschichte, der von den Opfern
„Holocaust“ genannt wird und bei uns im Grunde verharmlosend
„Nationalsozialismus“ heißt, stieß Claude Lanzmann auf ein entsetzliches
Dokument über den Einsatz des Automobils bei der Massenvernichtung menschlichen
Lebens;
taz 16. 9. 1988
Wenn sogar in einer Studie des
US-Außenministeriums zu lesen ist, in Mosambik werde einer „der brutalsten
Holocausts seit dem Zweiten Weltkrieg“ veranstaltet, und zwar von der
Rebellenorganisation RENAMO, die von den weißen Herrenmenschen Südafrikas
unterstützt und gelenkt wird, dann muß allerdings die Dimension der Geschehnisse
sehr blutig und kaum zu überspielen sein;
Spiegel 30. 11. 1992
Die
einfache Ungeheuerlichkeit des Holocausts – dieses einzigmalige, in der
Weltgeschichte beispiellose Massenverbrechen, diese moderne, industrialisierte,
zentral geplante Völkervernichtung – schreckt von einer ehrlichen
Selbstbetrachtung ab. Es war leichter, es zu verdrängen;
Mannh. Morgen
11. 12. 1995
Heute, ein halbes Jahrhundert nach dem Holocaust, können Juden
in dieser Stadt wieder feiern: Mit einem eindrucksvollen Festakt in ihrem
Gemeindezentrum, bei der alle Redner auch der Opfer der Schoa (Holocaust)
gedachten, erinnerte die Gemeinde an die Zeit des Wiederanfangs nach dem Krieg;
Frankf. Rundsch. 25. 1. 1997
Die Täter des Holocaust waren keine
Außenseiter und kamen nicht aus Randgruppen, sondern „entstammten aus der Mitte
und den Führungsschichten der deutschen Gesellschaft“. Darauf weist der
Historiker Ulrich Herbert . . zum Gedenktag für die Opfer des Holocaust hin;
taz 28. 7. 1999
Die Internationale Liga für Menschenrechte hat vom Land
Berlin die Errichtung eines Holocaust-Mahnmals für die von den Nazis ermordeten
Sinti und Roma gefordert;
Nürnb. Nachr. 16. 9. 2000
Eine sechsteilige
ZDF-Dokumentation über den Völkermord an den Juden wird ab 17. Oktober dienstags
um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Die Reihe heißt „Holokaust“; die Schreibweise
begründet Guido Knopp, der gemeinsam mit dem Stuttgarter Historiker Eberhard
Jäckel für den Inhalt verantwortlich ist, mit der Distanz, die die englische
Schreibweise mit c schafft. „Die k-Schreibung soll verdeutlichen, dass die
Deutschen sich der eigenen Geschichte stellen.“;
Berl. Ztg. 30. 5. 2003
Vor fünf Jahren hatte sich der Nachfolgekonflikt des Völkermordes von Ruanda in
den Kongo verlagert. Alle Mächte zwischen Sudan und Namibia und die halbe
industrialisierte Welt waren direkt oder indirekt verwickelt. Fünf Jahre und
einen halben Holocaust später – dreieinhalb Millionen Menschen haben in der Zeit
ihr Leben gewaltsam verloren – hat der Uno-Sicherheitsrat beschlossen, eine
Friedenstruppe in die nordostkongolesische Provinz Ituri zu entsenden;
Zeit
10. 7. 2003
dass der Genozid ein deutsches Verbrechen war. Es ist das Stigma
unserer Nation. Jährlich heftet unsere Botschaft in Washington Hunderte von
Holocaust-Artikeln der New York Times und anderer Zeitungen ab. In Schweden
erhält jedes Schulkind eine ausführliche Holocaust-Broschüre. Nicht der einzelne
Deutsche, wohl aber das Deutschlandbild in seiner braunen Variante steht
allenthalben abrufbereit zur Verfügung;
Berl. Ztg. 24. 1. 2004
wir leben
in einem Zeitalter des Leugnens. Auf der einen Seite gibt es die, die leugnen,
dass es den Holocaust gab. Auf der anderen Seite gibt es die, die in allem den
Holocaust sehen. Jede Katastrophe ist ihnen ein Holocaust. Die Leute, die so
denken, schätzen die Erinnerung ebenso gering wie die Leugner;
taz
10. 2. 2005
hier [wird] wie bei dem latent revisionistischen „Deutsche als
Opfer“-Diskurs versucht, den Holocaust zu relativieren, nach der Pseudologik:
Wenn andere Völker auch einen Genozid in ihrem Sündenregister haben, erscheint
der deutsche Völkermord nicht mehr singulär und ganz so schlimm;
Mannh.
Morgen 29. 1. 2007
Seit dem vergangenen Jahr wird zu diesem Datum [27.
Januar] auch weltweit der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“
begangen. Grundlage dafür ist ein Beschluss der Vereinten Nationen, der im
Oktober 2005 . . gebilligt wurde. Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan
nannte den Gedenktag „eine wichtige Mahnung an die universelle Lektion des
Holocaust“. Noch immer sei die demokratische Gemeinschaft von Völkermord,
Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz bedroht, hieß es in der
Resolution;
St. Galler Tagbl. 24. 7. 2008
Bei einem Besuch der
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem bezeichnete Obama die Judenverfolgung in
Deutschland als Mahnung an die Fähigkeit des Menschen, Böses zu tun, aber auch
sich zu dessen Bekämpfung zusammenzuschliessen.