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Jahrelang getreten - DER SPIEGEL
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Artikel 23 / 94

FRAUEN Jahrelang getreten

Eine Untersuchung über das Berliner Frauenhaus offenbart erschreckende Details zum Thema »Gewalt in der Ehe«.
aus DER SPIEGEL 10/1982

Das Martyrium begann für die junge Frau, als sie sich weigerte, die Schwangerschaft abzubrechen. Damals fing ihr Mann an, sie täglich zu prügeln. »Als das Kind sechs Monate alt war, schlug er mich so, daß ich hinfiel und auf etwas Hartes stieß. Ich streckte beide Beine auf einem Hocker aus und rieb mir die Schienbeine. Mit einem Karateschlag brach er beide Beine mitten im Unterschenkel durch ... Nach dem Beinbruch mußte ich mich auf Knien durch die Wohnung schleppen, den Haushalt machen und das Kind versorgen und bekam noch Vorwürfe, wenn oben auf den Schränken noch Staub war.«

Eine von mehr als tausend Frauen, die innerhalb von achtzehn Monaten im Berliner Frauenhaus vor ihren Lebensgefährten Schutz gesucht haben. Ihre Erfahrungen hat sie für eine wissenschaftliche Untersuchung zu Protokoll gegeben.

Eineinhalb Jahre lang befragte eine Forschungsgruppe von Sozialwissenschaftlerinnen dreihundert Bewohnerinnen und Ehemalige des Berliner Frauenhauses und wertete über tausend Daten aus. Die Expertinnen interviewten außerdem Polizisten und Sozialarbeiter, die meist nur Hilflosigkeit eingestehen konnten gegenüber dem gesellschaftlichen Tabuthema »Gewalt in der Ehe«.

Neu an dieser ersten umfassenden deutschen Untersuchung über die Situation mißhandelter Frauen ist schon der Forschungsansatz: Die Wissenschaftlerinnen stellten sich auf die Seite der von ihnen befragten Geschlechtsgenossinnen.

( Carol Hagemann-White, Barbara Kavemann, ) ( Johanna Kootz, Ute Weinmann, Carola C. ) ( Wildt: »Hilfen für mißhandelte Frauen«. ) ( Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, 1981; 416 ) ( Seiten; Band 124 Schriftenreihe des ) ( Bundesministers für Jugend, Familie und ) ( Gesundheit. )

Ohne innere Anteilnahme wäre die Untersuchung wohl auch nur schwerlich machbar gewesen: Oft wurden die Frauen jahrelang geschlagen, getreten, geboxt und gewürgt, ehe sie in das Berliner Frauenhaus flüchteten. Häufig begannen die Mißhandlungen mit der Schwangerschaft S.61 oder der Geburt der Kinder. Auch äußere Ereignisse wie Umzüge oder die Rückkehr der Frau ins Berufsleben ließen die Partnerschaft in Gewalt umschlagen.

Wenn sich erst einmal »offene Gewaltstrukturen in einer Beziehung etabliert« haben, schreiben die Autorinnen, dann wird »ganz willkürlich« geschlagen.

Die Brutalität ihrer Männer begründen viele Frauen mit dem totalen »esitzanspruch des Partners: Er ist eifersüchtig auf und über » » alles, ohne Grund, der war Tag und Nacht bei mir, ständig - » » und ist er mal eine halbe Stunde ein Bier trinken gegangen, » » dann hat er gleich behauptet, ich bin mit einem Mieter » » fremdgegangen. »

Von den Folgen solch grundloser Eifersucht zeugen schlecht verheilte Narben im Gesicht, schief zusammengewachsene Nasenbeine, ausgeschlagene Zähne und fehlende Finger. Meist sind die Frauen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch kaputt. Sie leiden an Magengeschwüren, Herzbeschwerden, ständigen Kopfschmerzen und Kreislaufstörungen, sie sind anfällig für Selbstmordgedanken und »aben keinerlei Selbstbewußtsein: Ich kann zur Zeit nicht arbeite« » und nicht mit mehr als drei Menschen zusammensein, sonst » » kriege ich Platzangst ... »

Eine Leidensgenossin brach, vier Wochen nachdem sie sich ins Frauenhaus gerettet hatte, auf der Straße zusammen und mußte in psychotherapeutische Behandlung. Inzwischen geht es ihr wieder besser, »wo ich ihn nicht mehr sehe«, sagt sie.

Männer, die ihre Frauen schlagen, gibt es in allen Schichten der Gesellschaft. Zwar waren nur knapp sechs Prozent der Berliner »Mißhandler« Selbständige, annähernd 30 Prozent Angestellte und fast 60 Prozent Arbeiter. Doch Frauen aus wohlhabenden Bevölkerungsgruppen, so meinen die Forscherinnen, hätten eher Hemmungen, ihren Mann bloßzustellen. Oft könnten sie sich auch leichter vorübergehend oder endgültig aus einer Bindung lösen.

Bei der dreißigjährigen Schneiderin Monika war das nicht der Fall. Für die Nachbarn galt ihr Ehemann immer als vorbildlicher Mensch, der seiner Arbeit nachgeht, nicht trinkt, immer sauber und ordentlich gekleidet ist und die Leute im Haus nett grüßt.

Doch kaum hatte der gelernte Feinmechaniker die Wohnungstür hinter »ich geschlossen, terrorisierte er seine Ehefrau: Nachdem er » » kontrolliert hatte, ob auch nichts in der Wohnung herumliegt, » » nahm er den Staubsauger, saugte die ganze Wohnung durch, » » obwohl ich das fünf Minuten vor seiner Heimkehr erst getan » » hatte ... dann wurde Staub gewischt, wo kein Staub lag, und » » die Gardine wurde Falte für Falte (knieend auf dem Fußboden) » » schön geordnet ... mit sich zufrieden war er noch lange » » nicht, denn jetzt mußte er mich ja erst noch bearbeiten, » » indem er mich quälte, wo er nur konnte. Machte ich gerade die » » Kinder, fragte er, wann das Essen fertig ist; war ich beim » » Essenkochen, sagte er mir, daß ich schließlich Mutter bin und » » mal an die Kinder denken sollte. »

»ie Folgen dieses Psychoterrors: Ich hatte kein Selbstvertrauen » » mehr ... ich resignierte und tat eine Zeitlang alles » » automatisch. Schloß ich die Wohnungstür auf, machte ich einen » » großen Schritt, um nicht auf die Schwelle zu treten, damit » » ich keinen Abdruck hinterließ. Türklinken faßte ich überhaupt » » nicht mehr an, weil da jeder Fingerabdruck zu sehen war, » » Fenster traute ich mich nicht aufzumachen, weil ich dann an » » die Gardine rankam. »

Typisch für das Verhalten vieler Männer ist auch, daß sie von ihren Frauen verlangen, Kontakte zu Freundinnen oder Nachbarinnen »bzubrechen: Ich hatte keinen eigenen Willen mehr gehabt, er hat » » mir schon morgens erzählt, was ich tagsüber alles machen » » soll, er hat mich total kontrolliert, ich mußte jede Stunde » » außer Haus belegen. »

Gerade diese Frauen haben keine Chance, sich auszusprechen oder von Freunden unterstützt zu werden, oft fehlt ihnen auch der Mut dazu.

Um Mißhandlungen, Isolation und eheliche Vergewaltigungen überhaupt zu ertragen (« ... gleich nach der Geburt rein ins Bett und so, und wenn das weh tut, das spielt keine Rolle, beiß die Zähne zusammen"), greifen viele zu Tabletten oder zur Flasche. Von 51 Frauen, mit denen die Forscherinnen intensive Gespräche führten, waren 13 suchtkrank oder -gefährdet.

Die Kinder leben oft in ständiger Furcht vor den brutalen Ausbrüchen ihrer Väter. Manche von ihnen hat die Angst sprach- und bewegungslos gemacht, um Konflikte zu vermeiden, dem Vater nur keinen Anlaß zum Schlagen zu geben. Sicherheit vor dem »Mißhandler« bietet für Mütter »nd Kinder meist nur noch das Frauenhaus: Das ist die einzige » » Vorstellung gewesen im Grunde, da einen Ort zu finden, wo du » » bleiben kannst mit deinem Kind. Und von wo aus du alles » » andere in die Wege leiten kannst. Aber nicht, daß du Gefahr » » läufst, in den nächsten fünf Minuten wieder mit deinem Mann » » konfrontiert zu werden ... »

Viele entdecken erst im Frauenhaus, daß sie ihr Schicksal mit vielen anderen teilen - eine Hilfe, um angeknackstes Selbstbewußtsein »ufzurichten: Vor dem Frauenhaus kam ich mir total minderwertig v"r » ... Im Frauenhaus hat sich das verändert. Dadurch, daß da so » » viele Frauen waren. »

Trotz der Enge und der oft hektischen Unruhe durch neue Gäste wird das Leben in der Gemeinschaft als bereichernd und sogar entspannend empfunden. Mit Erleichterung stellen die Frauen fest, daß niemand mehr da ist, der ihnen etwas vorschreibt. Wer was in diesem selbstverwalteten Hause zu tun hat, wird auf Versammlungen von den Bewohnerinnen selbst entschieden.

Auch die Regelung, daß Männer keinen Zutritt zum Frauenhaus haben, »ird einhellig akzeptiert und als sinnvoll empfunden: Es ist so » » wichtig, zu erfahren, daß Frauen sehen, daß Frauen das machen » » können. Daß unter Frauen was laufen kann, daß Frauen einfach » » was anpacken können, und das läuft dann. Deswegen bloß keine » » Männer. »

Doch nur die Hälfte dieser mißhandelten Frauen schafft hinterher den Absprung in eine eigene Existenz. Vor allem jene, die nur wenige Tage bleiben, kehren in ihre alten Verhältnisse zurück, weil der Ehemann Besserung verspricht S.63 und weil sie vor dem Problem, Wohnung und Arbeit zu finden, Kindergeld und Sozialfürsorge zu beantragen, kapitulieren. Die meisten müssen erleben, daß sie daheim nach wenigen Wochen wieder in derselben Situation stecken, aus der sie geflüchtet waren.

Fazit der Untersuchung: »Frauenhausarbeit kann erst im Zusammenhang mit der Möglichkeit, nachgehende Beratung anzubieten, langfristig wirksam werden.«

S.61

Er ist eifersüchtig auf und über alles, ohne Grund, der war Tag und

Nacht bei mir, ständig - und ist er mal eine halbe Stunde ein Bier

trinken gegangen, dann hat er gleich behauptet, ich bin mit einem

Mieter fremdgegangen.

*

Ich kann zur Zeit nicht arbeiten und nicht mit mehr als drei

Menschen zusammensein, sonst kriege ich Platzangst ...

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Nachdem er kontrolliert hatte, ob auch nichts in der Wohnung

herumliegt, nahm er den Staubsauger, saugte die ganze Wohnung durch,

obwohl ich das fünf Minuten vor seiner Heimkehr erst getan hatte ...

dann wurde Staub gewischt, wo kein Staub lag, und die Gardine wurde

Falte für Falte (knieend auf dem Fußboden) schön geordnet ... mit

sich zufrieden war er noch lange nicht, denn jetzt mußte er mich ja

erst noch bearbeiten, indem er mich quälte, wo er nur konnte. Machte

ich gerade die Kinder, fragte er, wann das Essen fertig ist; war ich

beim Essenkochen, sagte er mir, daß ich schließlich Mutter bin und

mal an die Kinder denken sollte.

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Ich hatte kein Selbstvertrauen mehr ... ich resignierte und tat eine

Zeitlang alles automatisch. Schloß ich die Wohnungstür auf, machte

ich einen großen Schritt, um nicht auf die Schwelle zu treten, damit

ich keinen Abdruck hinterließ. Türklinken faßte ich überhaupt nicht

mehr an, weil da jeder Fingerabdruck zu sehen war, Fenster traute

ich mich nicht aufzumachen, weil ich dann an die Gardine rankam.

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Ich hatte keinen eigenen Willen mehr gehabt, er hat mir schon

morgens erzählt, was ich tagsüber alles machen soll, er hat mich

total kontrolliert, ich mußte jede Stunde außer Haus belegen.

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Das ist die einzige Vorstellung gewesen im Grunde, da einen Ort zu

finden, wo du bleiben kannst mit deinem Kind. Und von wo aus du

alles andere in die Wege leiten kannst. Aber nicht, daß du Gefahr

läufst, in den nächsten fünf Minuten wieder mit deinem Mann

konfrontiert zu werden ...

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Vor dem Frauenhaus kam ich mir total minderwertig vor ... Im

Frauenhaus hat sich das verändert. Dadurch, daß da so viele Frauen

waren.

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Es ist so wichtig, zu erfahren, daß Frauen sehen, daß Frauen das

machen können. Daß unter Frauen was laufen kann, daß Frauen einfach

was anpacken können, und das läuft dann. Deswegen bloß keine

Männer.

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S.59Carol Hagemann-White, Barbara Kavemann, Johanna Kootz, Ute Weinmann,Carola C. Wildt: »Hilfen für mißhandelte Frauen«. Kohlhammer-Verlag,Stuttgart, 1981; 416 Seiten; Band 124 Schriftenreihe desBundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit.*

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