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Wie die Büffel - DER SPIEGEL
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Wie die Büffel

Harte Spiele bei der Handball-Weltmeisterschaft brachten dem bundesdeutschen Ausrichter Gewinn.
aus DER SPIEGEL 10/1982

Wo Fans und Fachleute, Stars und Statisten bei der Handball-Weltmeisterschaft hinkamen, der Hase war, anders als der Igel im Märchen, immer schon da, auf Bierdeckeln, T-Shirts oder als Plüschtier. Schlappohr Handy hatten die deutschen WM-Veranstalter als Maskottchen aufgestellt.

Realistischer hätte ein Büffel symbolisiert, was bei der bedeutendsten Sportveranstaltung nach dem Olympia 1972 und der Fußball-WM 1974 in der Bundesrepublik gespielt wurde.

Wenn sich der bundesdeutsche Handball-Liebling Erhard Wunderlich seiner vollen Körperlänge (2,04 Meter) bediente, plumpsten Gegenspieler einfach um. Wenn der sowjetische Zweimeter-Hüne Sergej Kuschnirjuk seine 107 Kilo einsetzte, brachen Breschen in der gegnerischen Abwehrkette auf.

Wie vor 250 Jahren der Preußenkönig, suchten alle Handball-Nationaltrainer nach langen Kerls. Die Sowjet-Union hatte schon 1979 allen Staatsliga-Klubs zwei Gardisten von mehr als 1,95 Meter Länge und einen über zwei Meter verordnet. Im WM-Aufgebot 1982 traten neun Spieler von mehr als 1,90 Meter Körpergröße auf. Alle erfolgreichen Mannschaften wie Rumänien und Polen, Jugoslawien oder Deutschland boten mindestens acht bis zehn Recken auf, die nicht unter 1,90 Meter Körpergröße maßen.

Nur einige Spezialisten mit Minimaß wie der erfolgreichste rumänische Torschütze Vasile Stinga (1,88 Meter) oder der bundesdeutsche Kreisläufer Claus Hormel behaupteten sich noch unter den Riesen. In der Regel prallten sie auf springende Rübezahls in den zwei Meter hohen Abwehrwällen aus zwölf Zentnern Masse. Unter derlei Bedingungen walten rohe Kräfte mannschaftsdienlich.

»Kampf um jeden Preis« hatte folgerichtig auch der jugoslawische Verbandsfunktionär Ivan Snoj für die WM in der Bundesrepublik vorausgesehen. Er behielt recht, obwohl vom Internationalen Handball-Verband (IHF), auch unter dem Eindruck des ruppigen Olympia-Finales von 1980 (DDR gegen UdSSR), die Regeln 1981 vereinfacht und die Strafen verschärft worden waren.

»Jeder Trainer muß damit rechnen«, mutmaßte der Jugoslawe Vlado Stenzel als Bundestrainer, »daß ihm pro Spiel zwei oder drei Stammspieler durch Disqualifikation ausfallen.« So erging es bei der WM auch dem ruppigen DDR Star Günter Dreibrodt und dem Dänen Nils Henning Möller. In etlichen Spielen verhängten die Schiedsrichter mehr als zehn Siebenmeter-Strafwürfe und mehr als 20 Minuten Strafzeit.

»Viele haben den Sinn der neuen Regeln noch nicht begriffen«, kritisierte der schwedische Handball-Experte Kurt Wadmark. »Manche pfeifen genauso wie früher.«

Stürmer-Fouls ahndeten sie nur selten. Bei den meisten Schiedsrichtern dürfen sich Angreifer gröbste Stöße erlauben. Allerdings können auch zwei Schiedsrichter die blitzschnellen Aktionen von zwölf durcheinander wirbelnden Körpern auf engstem Raum unmöglich fehlerlos verfolgen. Sogar in der TV-Zeitlupe waren Verstöße nicht immer klar zu erkennen.

So fiel jedes dritte Tor irregulär, weil der Stürmer den Boden mit dem Fuß im Torraum längst berührt hatte, bevor er abwarf.

Schon längst haben sich die Spieler umgestellt: Zum Sieg verhelfen nicht mehr wie früher brutale Boxhiebe, sondern raffiniertere Regelwidrigkeiten. Vollen Körpereinsatz üben die Athleten jedoch wie eh und je aus. Das Publikum freut sich, weil nun noch mehr Tore fallen, und sei es durch Siebenmeter.

Auch die bundesdeutschen Handballer blieben im üblichen Strafmaß. Sie mußten mit einer völlig neu gebildeten Equipe antreten. Einige Weltmeister von 1978 hatten wegen des Olympia-Boykotts 1980 aufgegeben, andere rebellische Stars hatte der autoritäre Bundestrainer Stenzel gefeuert. Dafür trieb das Heimpublikum die Bundesmannschaft zu wichtigen Siegen gegen die CSSR und Polen. Nur gegen die DDR nutzte der Heimvorteil nichts.

Sogar die sowjetischen Topfavoriten strauchelten verschreckt, als sie gegen Polen und zusätzlich gegen das Publikum ankämpfen mußten. Es war, als hätte sich die Gewerkschaft Solidarität auf den Tribünen versammelt. In der ausverkauften Dortmunder Westfalen-Halle leuchteten »Solidarnosc«-Transparente. Erst in der Schlußphase, als Konzentration und Kräfte der Polen erlahmten, siegten die Sowjet-Giganten.

Als heimlicher Sieger ging aber der Deutsche Handball-Bund (DHB), der Organisator, aus der WM hervor. Die Veranstaltung in 29 Städten einschließlich Berlin kostete zwar drei Millionen S.176 Mark, mehr als je eine Handball-Weltmeisterschaft zuvor.

Aber im Voranschlag schaute Gewinn heraus. Der DHB verzichtete sogar auf eine Bonner Ausfallbürgschaft. Das Fernsehen schoß eine halbe Million Mark zu und sendete dafür mehr als 13 Stunden.

Durch Sponsoren vom Video-Ausrüster Sony, der die WM-Spiele anschließend zu Lehrfilmen verarbeiten will, bis zum Ausstatter Puma, von Kienzle bis Mercedes, verbesserten fällige Lizenzgebühren die WM-Bilanz des Handball-Bundes.

Bei 80 000 einkalkulierten Zuschauern (Durchschnittspreis: 15 Mark) hätten die Veranstalter schon Kostendeckung erreicht. Doch bereits am vergangenen Mittwoch überschritt die Zuschauerzahl die 100 000-Traumgrenze. So mögen unter dem Strich gut 1,5 Millionen Mark ungeachtet des bundesdeutschen Titelverlusts den WM-Erfolg sicherstellen.

S.175Länderspiel Jugoslawien gegen CSSR vor der Regeländerung 1981.*

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