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Volksfeind Nr. 1 - DER SPIEGEL
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Volksfeind Nr. 1

Der Berliner Rias will ein Fernsehprogramm ausstrahlen. Die DDR warnt vor einer »Belastung der beiderseitigen Beziehungen«. *
aus DER SPIEGEL 50/1985

Jeden Sonntagmittag um zwölf hören die Deutschen östlich der Elbe, sofern sie wollen, die Berliner Freiheitsglocke. Von 1987 an können sie das symbolische Spektakel vielleicht auch sehen. Der Sender Rias Berlin, der seit den Frühzeiten des Kalten Krieges das Geläut vom Schöneberger Rathausturm überträgt, strebt auf den Bildschirm.

In Bonn, Washington und Berlin sind die Vorbereitungen schon weit vorangetrieben. Den TV-Plänen des überwiegend vom Bund bezahlten und ausschließlich von der US-Regierung kontrollierten Senders will Kanzler Kohl 60 Millionen Mark zur Finanzierung der jährlichen Betriebskosten reservieren; über den US-Anteil von schätzungsweise zwölf Millionen Dollar für das erste Jahr berät derzeit die US-Finanzbehörde.

Auch ein angemessenes Sendezentrum ist schon angepeilt - die einst von den Amerikanern den Berlinern geschenkte Kongreßhalle, die seit dem baumängelbedingten Dachschaden von 1980 leersteht. Rias-Intendant Peter Schiwy (CDU) zuversichtlich über das Projekt: »Das liegt doch im Zug der Zeit.«

Den will auch die West-Berliner CDU/ FDP-Regierung nicht verschlafen, zumal zwei der neuen Berliner Privat-Kabelsender schon drei Monate nach dem Start wieder aufgegeben haben. Da kommt der Rias ("Rundfunk im amerikanischen Sektor") den konservativen Medienpolitikern doppelt zupaß: Die Führungsspitze des Senders wird im Einvernehmen zwischen Senat und US-Schutzmacht ernannt, ein gesetzliches Kontrollorgan wie bei den öffentlich-rechtlichen Sendern existiert nicht, Oberaufseher ist ein amerikanischer Chairman, Director William W. Marsh.

Und zu sehen wäre das TV-Programm auch im Westen. Sobald Rias die Sendegenehmigung hat, kann das Programm über Satellit in die Kabelinseln des Bundesgebietes eingespeist werden - was rechtlich fragwürdig wäre. Rias-TV käme, weil von einer amerikanischen Regierungsagentur beaufsichtigt, einem Staatsfernsehen ziemlich nahe. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seinem Fernsehurteil von 1961 dem Staat verboten, »unmittelbar oder mittelbar« eine Anstalt zu »beherrschen«, die im Bundesgebiet sendet. Berlins Opposition wettert bereits gegen ein »staatlich finanziertes Propagandainstrument der gegenwärtigen Regierungen in Berlin und Bonn« (SPD-Fraktionschef Walter Momper).

In Berlin ist die Ausstrahlung auf einer drahtlosen Welle vorgesehen, die jüngst bei einer bundesweiten Suchaktion des Bundespostministeriums nach freien TV-Frequenzen für lokales Fernsehen entdeckt wurde. Vom Berliner Sendemast aus soll in einem Radius von rund 50 Kilometern das Umland bedient werden, inklusive Ost-Berlin und Potsdam.

Das rief die SED auf den Plan. Zu Ulbrichts Zeiten galt der Rias als »Volksfeind Nr. 1« (so einst der DDR-Propagandachef Gerhart Eisler). Die Namen hauseigener Funktalente - von Hans Rosenthal bis Gerhard Löwenthal - waren im Volk der DDR sprichwörtlich bekannt, bis zum Mauerbau bekam der Rias pro Jahr an die 30000 Briefe aus dem Osten. Daß der Sender mit den Hunderttausenden von DDR-Stammhörern nun auch noch Bildqualität bekommen soll, hat die Ost-Berliner Amtsverwalter aufgeschreckt.

Im Oktober schickten sie einen Emissär mit einer »Stellungnahme der DDR-Seite gegenüber dem Bundeskanzleramt der BRD« nach Bonn - für Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble »kein dramatischer Vorgang«, obgleich es doch eine unverkennbare Drohung gegen das Rias-Projekt ist: _____« Die DDR sieht sich veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß » _____« eine solche Zielstellung, für die die Bundesregierung » _____« Mitverantwortung übernähme, legitimen Interessen der DDR » _____« zuwiderliefe und eine Belastung der beiderseitigen » _____« Beziehungen darstellen würde. »

Ost-Berlin erinnerte die Bundesregierung an den im Viermächteabkommen von 1971 verankerten Grundsatz, wonach Bonn in Berlin nicht mitregieren darf - in diesem Fall dürfe also das Bonner Postministerium dem Rias keine Welle zuschanzen.

Doch auch der Berliner Senat kann dem Rias die lokale TV-Frequenz nicht einfach freischalten. Nach internationalem Fernmelderecht, 1961 in Stockholm vereinbart, müssen Nachbarländer bei Frequenzänderungen konsultiert werden - in diesem Fall müßte die DDR zustimmen.

Legt sich die DDR quer, indem sie die freie Welle etwa für sich selbst beansprucht, hat der Chairman Marsh schon ein Rezept dagegen: »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.«

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