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Auf dem Absatz kehrt - DER SPIEGEL
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Niedersachsen Auf dem Absatz kehrt

Am Mittwoch schwor er der SPD noch Treue, tags darauf ließ er seine Partei im Stich: Ein niedersächsischer Hinterbänkler macht Landesgeschichte.
aus DER SPIEGEL 37/1989

Unter den Parlamentariern im hannoverschen Landtag fiel Oswald Hoch, SPD-Abgeordneter von 1971 bis 1986, vor allem durch eines auf: schicke Schuhe mit überhohen Absätzen.

Ansonsten unterschied sich der 1,65-Meter-Mann, Versicherungsmakler, Immobilienhändler und Schützenbruder aus dem ostniedersächsischen Landkreis Gifhorn, kaum von anderen Hinterbänklern - allenfalls dadurch, daß er, mehr noch als die Kollegen, immer »eine Bühne brauchte, um sich darzustellen«, wie sich der Gifhorner SPD-Kreistagsfraktionschef Hermann Tonne erinnert.

Letzte Woche machte Hinterbänkler Hoch, 53, jäh Landesgeschichte. Kaum war er nach 38monatiger Politik-Pause über die Ersatzliste erneut in den Landtag eingezogen, machte er auf dem Absatz kehrt, erklärte seinen Austritt aus der SPD und erlöste damit den Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, 59, aus einer Zwangslage.

Albrechts christliberale Koalition hatte, durch den CDU-Austritt des rechtskräftig verurteilten Wahlfälschers und Republikaner-Freundes Kurt Vajen, 53, gerade ihre Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag verloren, da beendete der SPD-Abtrünnige Hoch das parlamentarische Patt - zur unverhohlenen Freude der Regierungsparteien, die nun wieder in der Überzahl waren.

In der SPD-Fraktion dagegen flossen Tränen, von »Verrat« war die Rede; viele Genossen zeigten sich »menschlich enttäuscht«. Denn Hoch, Nachrücker für einen ins Europa-Parlament gewählten Kollegen, hatte noch tags zuvor, am Mittwoch letzter Woche, dem SPD-Oppositionsführer Gerhard Schröder Treue geschworen: »Für Schröder stehe ich, für Schröder kämpfe ich.«

Am Donnerstag war alles nicht mehr wahr. Per Handschreiben teilte Hoch dem Landtagspräsidenten mit, er wolle künftig als Fraktionsloser agieren. Mit der »Scheiß-SPD«, erklärte er öffentlich, möge er »nichts mehr zu tun haben«, als »unabhängiger Abgeordneter« wolle er das Patt beenden.

Während Bild die hannoverschen Turbulenzen eher als Lachnummer wertete ("Da wiehert das Niedersachsen-Roß"), fragte die liberale Frankfurter Rundschau, unter Anspielung auf die zahlreichen Affären des Albrecht-Kabinetts, ob die Niedersachsen von einer »Bande von Schmuddelkindern und Dunkelmännern« regiert werden, die allesamt »in Wahlbetrug oder undurchsichtige Finanzmanipulationen verstrickt sind«.

Daß eine Regierung mit Überläufer-Hilfe die Macht erobert oder sichert, hat in Niedersachsen Tradition. Albrecht selber wurde 1976 mit geheimen Stimmen aus dem Hinterhalt zum Minderheits-Ministerpräsidenten gewählt. Der langjährige CDU-Fraktionschef Bruno Brandes verdiente sich mit sieben erfolgreichen Abwerbeoperationen den Kriegsnamen »Greifvogel«. Und noch Ende letzten Jahres konnte Albrecht einen SPD-Mißtrauensantrag mit Hilfe eines Maulwurfs aus dem Oppositionslager abschmettern.

Gerüchte, auch Hoch könne eines Tages ins Regierungslager überlaufen, waberten schon seit Wochen. »Es gibt Indizien«, schrieben am 19. Juni SPD-Kommunalpolitiker an die Landtagsfraktion, »die den Parteiaustritt von Hoch nach dessen Einzug in den niedersächsischen Landtag als sicher erscheinen lassen.«

Mit seinen Genossen daheim in Gifhorn war Hoch seit Jahren zerstritten. Im November 1986 hatte der SPD-Ortsverein Hankensbüttel sogar seinen Parteiausschluß beantragt; Stadtrats- und Kreistagsmitglied Hoch habe Gespräche über einen Wechsel zur CDU geführt. Doch die Bundesschiedskommission fand, die Hoch-Widersacher hätten »außer dem Hinweis auf Gerüchte keinerlei beweiskräftige Tatsachen vorbringen« können.

So blieb es bei einer Rüge für den gelernten Elektroingenieur. Begründung: Mit einem Text für das Wochenblatt Gifhorner Kurier über innerparteiliche Querelen habe Hoch »in grober Weise« gegen den Grundsatz der Parteisolidarität verstoßen.

Als Hoch 1986 nicht wieder ins Parlament kam, argwöhnten auch SPD-Landtagsabgeordnete, ihr ehrgeiziger Ex-Kollege könne nun Unterstützung bei der CDU suchen. Kurz nachdem er sein Mandat verloren hatte, soll Hoch, Vater dreier Kinder, seinem ehemaligen Fraktionskollegen Jochen Patzschke eröffnet haben: »Ich habe eine berufliche Perspektive, ich bin in einer Stunde mit Hasselmann verabredet«, mit dem niedersächsischen CDU-Landesvorsitzenden.

Einige Zeit später, erinnert sich Patzschke, habe Hoch ihm gesagt, der Besuch bei Hasselmann sei nicht umsonst gewesen. Der CDU-Landeschef bestätigte, er habe sich damals bei VW-Chef Carl Hahn in Wolfsburg für den abgehalfterten SPD-Mann eingesetzt.

Bei den Sozialdemokraten machte aufgrund solcher Erinnerungen nach Hochs Abgang schnell das Wort von der »gekauften Mehrheit« die Runde, ohne daß irgend jemand Beweise präsentieren konnte. Auch SPD-Landesvorsitzender Johann Bruns gab sich sicher: »Das war ein wohlvorbereitetes und abgekartetes Spiel.« Durch seine »falschen Treueschwüre« habe sich Hoch sein Mandat »erschlichen« und »ergaunert«.

Dennoch hält SPD-Spitzenkandidat Schröder auch im nachhinein die Entscheidung der Parteispitze für richtig, trotz der Warnungen von der Basis nicht zu versuchen, Hoch aus dem Landtag herauszuhalten: »Auf Gerüchte«, so Schröder, »konnten wir keine Entscheidungen stützen.«

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