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Die große Lüge mit den falschen Verkäufern

In vielen Kaufhäusern und Elektronikmärkten tummeln sich in letzter Zeit erstaunlich viele Verkäufer. Doch eine unabhängige Beratung ist von ihnen nicht zu erwarten. Denn sie sind Werber im Tarnanzug.

Ich greife zu Philips. Da kommt sie. Dunkle Bluse, die oberen drei Knöpfe geöffnet. Für meinen Bart sei ein Rasierer der Marke Braun wesentlich besser, sagt die Beraterin im Saturn-Markt und führt mich am Regal entlang. Ihre blonden Haare reichen über die Brust – und verdecken ihr Namensschild.

Die Dame wirkt wie eine Saturn-Mitarbeiterin. Sie nimmt sich Zeit, erzählt von ihrem Sohn – und erklärt, warum ich mit einem Braun-Rasierer mehr Spaß haben werde.

Ich fasse Vertrauen. Bis bei einer Armbewegung die Haare vom Namensschild rutschen und ein blaues Logo entblößen: P&G. Braun gehört dem US-amerikanischen Konzern Procter & Gamble.

Sie sehen aus wie normales Verkaufspersonal. Dabei sind sie Werber im Tarnanzug: Promoter, die für den Abverkauf bestimmter Produkte eingesetzt und vom jeweiligen Hersteller Provisionen erhalten.

Eine unabhängige Produktanalyse darf man von ihnen nicht erwarten. Immer öfter treffen Kunden in Kaufhäusern und bei Einzelhändlern wie Karstadt, Media Markt oder Saturn nicht auf eigene Berater, sondern auf Promoter.

Immer weniger eigenes Personal

Der Kunde merkt davon wenig – die meisten Werber geben sich von sich aus nicht als solche zu erkennen, wie Stichproben der „Welt“ in Elektronikmärkten zeigten.

Zwar suggeriert beispielsweise die Werbung der Metro-Tochter Saturn, jede Filiale wäre voller bärtig-gutmütiger Berater, an die sich die Kunden vertrauensvoll wenden könnten.

Doch in Wahrheit werden eigene „Tech-Nicks“ oft durch Promoter getauscht, um Kosten zu sparen. Beliebt ist der Undercover-Verkauf bei weißer Ware, Fotoapparaten und Kleinelektro-Geräten, aber auch in Modeabteilungen von Kaufhäusern tummeln sich Promoter.

Die ersten Januar-Wochen sind attraktiv für Elektronikkäufe
Die ersten Januar-Wochen sind attraktiv für Elektronikkäufe
Quelle: Infografik Die Welt

Christian Schmidt ist heute in einem Saturn-Markt aktiv. Ein Namensschild ohne Firmenlogo hängt an seinem gestreiften Hemd. Vor ihm steht ein Grauhaariger mit Cord-Sakko, der geduldig zuhört, während Schmidt einen Philips-Rasierer in der Hand wiegt.

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Schmidt erklärt: Wie schnell die Klingen drehen. Warum der Scherkopf beweglich sein sollte – auch wenn das mehr kostet. Schmidt muss fast 100 Produkte kennen. Auch Babyphones, Kaffeemaschinen oder Fritteusen. Die der „anderen“ seien da noch gar nicht mitgezählt. Damit meint er die Konkurrenz – also alle außer Philips, seinen Brötchengeber.

Ein Regal weiter berät ein anderer Promoter eine Kundin in Sachen Haartrockner. Im Gang daneben hantiert eine gedrungene Dame mit breitem Lächeln an einem Kaffeeautomaten. Auch sie ist eine Promoterin.

Verkappte Markenbotschafter

An diesem Freitagabend steht in fast jedem Gang ein verkappter Markenbotschafter. Auf sechs von ihnen kommt hier und heute im Bereich Haushaltsgeräte nur eine einzige feste Mitarbeiterin im blauen Saturn-Hemd. Die steht den Kunden wenig zugewandt an einem Computer und tippt Zahlen ein.

Eine unabhängige Beratung könne man in solchen Läden praktisch ausschließen, sagt Sebastian Deppe, Mitglied der Geschäftsleitung der BBE Handelsberatung in München.

„Diese Berater sind ausschließlich auf ihr Produkt geeicht“, sagt er. Promoter Schmidt beteuert zwar, dass ihm Neutralität wichtig sei und er auch Konkurrenzprodukte erkläre. Dennoch räumt er ein, dass er von Philips bezahlt werde, Philips-Produkte zu forcieren.

Zur zentralen Frage wird: Kann der Kunde erkennen, dass ihm ein provisionsgesteuerter Vertriebler gegenübersteht – und kein neutraler „Tech-Nick“? Wenn es keine Anzeichen gebe, sei eine Unterscheidung grundsätzlich auch nicht möglich, meint Christian Gollner, Rechtsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz.

Das Verhalten von Herstellern und Promotern sei seiner Meinung nach sogar wettbewerbswidrig, wenn der Kunde nicht erkennen könne, wer ihn da berät. „Sonst hätte der Verbraucher ja vielleicht anders entschieden“, so Gollner.

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Zwar beteuern Hersteller, dass ihre Kundschaft die Promoter immer als solche erkennen könne. Doch ein Gang durch Elektronikmärkte und Kaufhäuser genügt, um zu sehen, dass das nicht immer stimmt.

Namensschilder ohne Firmenlogo

So wie Christian Schmidt tragen auch die meisten seiner Kollegen nur ein Namensschild – ohne Firmenlogo. Erst auf eine konkrete Frage hin erfährt der Kunde, für wen sie werben.

Ein vorgeblicher Grund für die Camouflage: Die Agenturen, die im Auftrag der Hersteller Promoter in die Läden schicken, dürften ihren selbstständigen Mitarbeitern keine Kleidungsvorschriften machen.

„Sonst kann es sich unter Einbeziehung weiterer Umstände schnell um Scheinselbstständigkeit handeln“, so Julia Dehnhardt, Rechtsanwältin für Arbeitsrecht. Christian Schmidt nutzt diese Lücke und entscheidet sich bewusst gegen das Philips-Logo – aus taktischen Gründen.

„Die Kunden entwickeln eine Antipathie, wenn sie ein Logo-Namensschild sehen“, sagt er. Was für den Promoter Rechtfertigung ist, belegt den Verdacht der Verbraucherschützer: Der Kunde wird ganz bewusst im Unklaren gelassen.

Eine Sprecherin der Media-Saturn Holding, zu der Media Markt und Saturn gehören, weist den Vorwurf der versteckten Werbung zurück: „Unsere Mitarbeiter sind eindeutig durch ihre Mitarbeiterkleidung oder Namensschilder erkenntlich.“

Externe Fachberater setze man nur unterstützend ein. Offenbar obliegt es – dieser Logik nach – nur dem Kunden von Media-Saturn-Märkten, äußerst wachsam zu sein, wer einen da fachberatend anspricht.

Auch die Verantwortung auf die einzelnen Promoter zu schieben erscheint fragwürdig. Auch manche Händler scheinen ein Interesse an einer undurchsichtigen Kleiderordnung zu haben.

Tagessätze bis zu 240 Euro

Peter Daube ist seit 20 Jahren Vorstand der Vermarktungsagentur UGW. Pro Jahr vermittelt er fast 1000 Promoter an Markenhersteller. Zum Beispiel an den japanischen Druckerhersteller Brother. Daube sagt: „Unsere Industriekunden und wir als Dienstleister wollen, dass die Fachberater als Markenbotschafter erkannt werden, beispielsweise durch ein Namensschild. Es gibt aber Ausnahmen, dass Märkte einen neutralen Auftritt wünschen.“

Die Auftraggeber zahlen Daube pro Kopf Tagessätze zwischen 220 und 240 Euro, hinzu kommen Provisionen, die sich die Promoter verdienen können. Auch Kilometergeld und Aufwand für Schulungen müssen die Markenhersteller einplanen. Doch der Aufwand scheint sich zu lohnen – über einen verstärkten Abverkauf.

Aus Sicht der Einzelhändler sind die Promotoren auch aus Kostengründen willkommen. Schließlich entlasten sie das eigene Personal, und von steigenden Umsätzen profitieren die Händler gleichermaßen.

„Der Druck auf die Rentabilität im Einzelhandel ist durch das Internet immens“, sagt Handelsberater Deppe. Durch fremde Promoter könne man eigenes Personal einsparen.

Gerade im Weihnachtsgeschäft und bevorzugt in stark frequentierten Innenstadtläden setzt Peter Daube von UGW seine Promoter ein. Kein Wunder: Fast 75 Prozent der Konsumenten in Deutschland wollten laut einer Umfrage des Beratungsunternehmens Ernst&Young die Weihnachtseinkäufe dieses Jahr immer noch im Geschäft erledigen. Und tappten dort immer öfter in die Promoterfalle.

Der Elektronikriese Philips rechtfertigt das Vorgehen. Das Unternehmen setzt seine Werber vor allem bei Saturn und Media Markt ein, daneben bei Karstadt, ProMarkt oder Metro.

Hauptsache, der Umsatz steigt

„Der Fokus der Beratung liegt zwar auf unseren Produkten, dafür hat unser Fachberater Zeit und umfassendes Wissen über unsere Ware“, sagt Silke Hecht-Nölle, bei Philips zuständig für das Handelsmarketing. „Als Wirtschaftsunternehmen haben wir verständlicherweise das Ziel, unsere Produkte zu verkaufen.“

Zwölf Vollzeittrainer kümmern sich bei Philips um Produktschulungen für die eigenen Promoter sowie Angestellten der Elektronikmärkte. Die hauseigenen Promoter verdienen einen fixen Tagessatz, oben drauf kommt eine Prämie, die sich an definierten Tageszielen bemisst.

In jedem deutschen Elektronikmarkt steht nach Angaben von Philips im Schnitt 50 Tage im Jahr ein Promoter des Unternehmens, der die eigenen Produkte anpreist.

Hauptsache, der Umsatz steigt: Selbst der einst unabhängige Berater wird immer öfter zum Promoter für eine Marke – etwa durch entsprechende Schulungen, die Markenhersteller großzügig arrangieren.

Hoher Konkurrenzdruck

„Markenhersteller fragen externe Trainer immer stärker nach, die fest angestelltes Handelspersonal in den Märkten zu ihren Produkten schulen. Vor allem in diesem Jahr hatten wir ein dickes Plus“, sagt Ronald Bankowsky, Geschäftsführer der Bremer Verkaufsförderungsagentur Baron.

Es ist der Kampf um die Hoheit am Regal: Gerade bei elektrischen Rasierern – einem klassischen Weihnachtsgeschenk – ist der Konkurrenzdruck immens. Auch Braun setzt auf die Promotertaktik, um dem holländischen Rivalen Marktanteile abzugraben.

Mit eigenem Verkaufspersonal wolle man „die hohe Qualität der Kundenberatung absichern“, so Gabriele Hässig, Sprecherin von Procter&Gamble Deutschland. Wie viele Promoter das Unternehmen einsetzt, verrät sie nicht.

Verbraucherschützer Georg Tryba hält das Argument der höheren Beratungsqualität für falsch. „Man sollte im Geschäft generell nicht erwarten, unabhängig beraten zu werden, egal, ob vom externen Promoter oder fest angestellten Mitarbeiter“, sagt Tryba, der Sprecher bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ist.

Beratung im Geschäft oft mangelhaft

Es gebe zu viele Interessen und Verkaufsstrategien im Hintergrund, die dem Konsumenten verborgen blieben. So könnte auch ein hauseigener Verkäufer von seinem Chef den Auftrag erhalten, ein bestimmtes Produkt zu forcieren, da davon noch besonders viel im Lager steht.

Tryba empfiehlt Kunden, sich vorher durch unabhängige Tests zu informieren. Allzu häufig sei die Beratung in Geschäften mangelhaft, sagt er mit Blick auf regelmäßige Stichproben der Verbraucherzentrale.

Verbrauchern hilft das wenig: Wer von einem Promoter zu einer bestimmten Marke gedrängt wurde, kann deswegen die Ware nicht unbedingt zurückgeben. Im Gegensatz zu Online-Einkäufen gibt es im stationären Handel kein gesetzliches Rückgaberecht.

Verbraucherschützer Christian Gollner fordert deswegen stärkere gesetzliche Regelungen, damit Kunden erkennen, von wem sie beraten werden. Bis dahin bleibt Verbrauchern nur der Rat: lieber beim Verkäufer nachfragen, von wem er bezahlt wird.

Dieser Verkaufsroboter erkennt Ihre Gefühlslage

Was für einen guten Verkäufer selbstverständlich ist, müssen in Japan künftig auch Roboter beherrschen. Nestlé will in Japan nämlich bald elektronisches Verkaufspersonal einsetzen.

Quelle: Reuters

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