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Spitze der Nörgler - DER SPIEGEL
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Luftfahrt Spitze der Nörgler

Der neue Kolossal-Terminal des Frankfurter Flughafens wird heftig kritisiert - zu Unrecht.
aus DER SPIEGEL 44/1994

Der neue Flughafen von Denver im US-Bundesstaat Colorado gilt Insidern als einer der schönsten der Welt. Der Airport, dessen zeltartige Dachkonstruktion sich der Kulisse der nahen Rocky Mountains anpaßt, hat nur einen entscheidenden Fehler. Obwohl er seit über einem Jahr fix und fertig ist, steht er leer, weil der automatische Gepäcktransport nicht funktioniert.

Der arbeitslose Flughafenchef Jim DeLong wollte jetzt Trost und Genugtuung für die eigenen Pannen in Übersee suchen - in Frankfurt am Main. Auch dort sollte ein riesiger Flughafen-Neubau eröffnet werden. DeLong wollte dabeisein, wenn per Knopfdruck die Gepäckbänder anfahren - und, wie er insgeheim hoffte, nicht funktionieren.

Doch der Eröffnungsgast, auf Schadenfreude gepolt, blieb zu Hause. Frankfurts Flughafenchef Wilhelm Bender hatte ihm beiläufig berichtet, der neue Koffertransport sei längst in Betrieb und funktioniere reibungslos. »Dann«, so der enttäuschte Amerikaner, »muß ich ja nicht kommen.«

Hohn und Spott kamen jedoch von anderen, als vergangenen Montag um 5.20 Uhr der erste Jumbo-Jet, aus Hongkong kommend, am neuen Terminal 2 des Rhein-Main-Flughafens andockte und der Bau, 2,5 Milliarden Mark teuer, in Betrieb ging.

Von Bild bis Süddeutsche Zeitung, von Stern bis Frankfurter Rundschau kübelten Blätter Kritik über den Terminal, ganz so, als sei der 600 Meter lange und 100 Meter breite Glaspalast ein totaler Reinfall.

Das ist nicht neu. Seit Jahren schon gehört es zur guten Übung, technisch komplexe Großprojekte erst mal als Desaster zu brandmarken.

Die Leute vom Frankfurter Flughafen haben reichlich Erfahrung mit derlei Kritik. Als vor 22 Jahren der erste Großterminal eingeweiht wurde, heute Terminal 1 genannt, setzte sich sogar der erste Mann im Staat an die Spitze der Nörgler: Der Bau sei »hoffentlich nicht gigantisiert worden«, mahnte der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann.

Der Vorwurf des Größenwahns verstummte erst, als das Abfertigungsgebäude zu klein wurde. Mit allen späteren An- und Umbauten reichte es für 24 Millionen Passagiere jährlich, zum Schluß wurden gar 33 Millionen Menschen pro Jahr durchgeschleust.

Die Einweihung des überfälligen Neubaus klappte erstaunlich reibungslos. Immerhin waren neben dem Terminal-Gebäude für 1,6 Milliarden Mark weitere 900 Millionen in Technik und Elektronik investiert worden, um das Zusammenspiel von altem und neuem Terminal zu sichern.

Einzig die »Sky Line«, so der Name der vollautomatischen Hochbahn, die auf 950 Metern Länge die beiden Terminals verbindet, machte den Bauherren Kopfzerbrechen. Sie hatten nicht bedacht, daß zur Einweihung Schulferien herrschten; täglich strömten Zehntausende von Besuchern in den Neubau.

Die wollten vor allem aus den Bahnfenstern den Blick aus luftiger Höhe genießen. Nur zwei der vorgesehenen acht Züge waren jedoch im Einsatz, weil der TÜV die Software für die Weichensteuerung nicht rechtzeitig freigegeben hatte. Wüstes Gedränge war die Folge.

Daß dies die Bezeichnung »Chaos-Eröffnung« (Bild) dennoch nicht rechtfertigte, ahnten wohl auch die Kritiker. Intensiv suchten sie nach anderen Planungsfehlern.

Toiletten gebe es nur an den Enden der 600 Meter langen Halle, klagte ein Reporter, der, offenbar sehschwach, die Einrichtungen in der Hallenmitte nicht gefunden hatte. Ein anderer monierte, daß die 96 Counter nicht ausreichten. Er hatte wohl übersehen, daß noch etliche Schalter leer standen.

Vor allem der Fußboden der 60 000 Quadratmeter großen Halle beflügelte die Phantasie der Kritiker: Polierter grauer Granit, der »in Norwegen aus dem Berg geschlagen« und im italienischen Carrara bearbeitet wurde, sei, monierte die Süddeutsche Zeitung, ein europaweites und damit »teures Vergnügen«. Der spiegelnde Boden, fiel ein anderer ein, sei zudem »glatt wie eine Eisbahn«. Der Mann muß sich auf Rollschuhen bewegt haben.

Denn es stimmt allein, daß der Granit in Carrara zugeschnitten wurde, weil nur dort die passenden Maschinen arbeiten. Gewonnen wurden die Platten indes im nahen Südfrankreich, wo der Stein poröser ist als anderswo. Deshalb bescheinigt ihm die deutsche Berufsgenossenschaft, auch im polierten Zustand, einen hohen »Reibungskoeffizienten« und mithin Rutschfestigkeit - zu Recht, wie jeder Passagier ausprobieren kann.

Daß nur acht Fluggastbrücken ins Gebäude führen und die restlichen Maschinen auf dem Vorfeld entladen werden müssen, erhitzte die Kritiker besonders. »Fehleinschätzung«, tönten sie; die Super-Jumbos mit 77 Metern Spannweite für 800 Passagiere, für die der Terminal ausgelegt ist, »werden nie gebaut«.

Aber die Mega-Maschinen, an deren Zukunft während der Rezession des Weltluftverkehrs zu Beginn der neunziger Jahre gezweifelt worden war, kommen nun doch. Die Flughafen-Vereinigung Airport Council International schwört ihre Mitglieder neuerdings darauf ein.

Die Gebäudeöffnungen für die Fluggastbrücken der Super-Jumbos liegen aber immerhin gut zwei Meter höher als bisher. Bis der erste Riese in Frankfurt andockt, behilft sich der Airport mit längeren Rampen für die kleineren Maschinen, um den Passagieren beim Aussteigen nicht allzu große Steigungen zuzumuten.

Wie der Kritikermarkt funktioniert, zeigte vor allem eine Zahl: 600 Millionen Mark, so der Stern, seien beim neuen Terminal für die Behebung der »gravierendsten Mängel« eingeplant - und fast alle anderen Blätter übernahmen die gewaltige Ziffer.

Als Planungszahl existieren die 600 Millionen Mark tatsächlich. Aber der Betrag ist nicht für den neuen Prachtbau, sondern für den alten Terminal vorgesehen. Lufthansa und Flughafen wollen das alte Gebäude damit gemeinsam zum Knotenpunkt der deutschen Fluglinie ausbauen.

Berechtigt ist allerdings der Vorwurf, der neue Glaskasten sei zu teuer geraten. Geplant war der Terminal einst halb so groß in den Abmessungen, als reiner Zweckbau mit Garagen auf dem Dach. Mit zwölf Millionen Passagieren jährlich sollte die nüchterne Version aber dieselbe Kapazität haben wie der jetzige Prunkbau.

Die Schuld daran, daß aus geplanten 600 Millionen Mark Baukosten gleich eine Milliarde mehr wurde, tragen hessische Landespolitiker. Die hatten 1989 dem neuen Flughafenchef Horstmar Stauber, einem Spezi des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Walter Wallmann, gestattet, nach Baubeginn eine Änderung der fertigen Pläne zu verfügen - für alle Baukundigen der sicherste Weg zur Kostenexplosion.

Das »Bauwerk von nachdrücklicher Beiläufigkeit«, das Schöngeist Stauber wollte, entpuppte sich prompt als Geldvernichtungsmaschine und kostete ihn am Ende den Job.

Einer hätte die Verschwendung rechtzeitig verhindern können: der damalige Flughafen-Aufsichtsratsvorsitzende und heutige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU). Doch der, immer wieder auf das Milliardengrab angesprochen, mochte sich »nicht auch noch mit dem Gemoser befassen«.

Die Mieter im Prachtbau aus Stahl, Granit und Glas sind dennoch zufrieden: »Wunderschön«, tönt es unisono von Delta Airlines über Cathay Pacific bis British Airways. Nur einer hält dagegen: Bernd Struck, Deutschland-Direktor der amerikanischen Gesellschaft United Airlines.

Die Linie ist zwar nicht einmal Mieter im neuen Terminal. Gleichwohl tönte Struck, er sei »heilfroh, daß wir da nicht reingegangen sind«. Damit wurde er vergangene Woche zum Lieblingszeugen der Kritiker. Was die wohl nicht wußten: Struck hat gute Gründe, einem anderen Airport Pleiten und Pannen anzuhängen.

Denn daß der längst fertige Traumflughafen von Denver, geplanter United-Heimatflughafen, nicht in Betrieb gehen kann, liegt an Strucks Unternehmen, dem Hauptnutzer des neuen Airport: Uniteds firmeneigener Gepäcktransport produziert nur Chaos, läßt Koffer spurlos verschwinden oder zerlegt sie in Einzelteile.

An Uniteds »Koffershredder«, wie Insider über den Chaos-Gepäcktransporter in Colorado spotten, versuchen jetzt deutsche Experten zu retten, was zu retten ist. Die Fachleute gehören zur Hausfirma des Frankfurter Flughafens. Y

Neuer Glaspalast doppelt so teuer wie geplant

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__36_ Frankfurter Flughafen: Der neue Terminal 2

_____ Frankfuter Flughafen: Neuer Terminal 2

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