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Weg zur Freiheit - DER SPIEGEL
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Prozesse Weg zur Freiheit

Der ehemalige DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel steht wegen Erpressung vor Gericht. Doch die Anklage wackelt.
aus DER SPIEGEL 44/1994

Genau 205 Tage lang saß der frühere Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel, 69, in Untersuchungshaft. Allzu einsam war er jedoch nicht in diesen »schmerzlichen, aber auch lehrreichen Monaten«.

Ex-Kanzler Helmut Schmidt kam zu Besuch, Ex-Justizminister Jürgen Schmude, Ex-SPD-Chef Hans-Jochen Vogel sowie zahlreiche Ex-Klienten fanden den Weg in die Zelle. Einige Gäste, erzählt der einstige deutschdeutsche Unterhändler, seien »sogar aus den USA« angereist.

Etliche andere Mandanten, die ihn spätestens seit der Wende ins Gefängnis gewünscht hatten, wird Vogel auch bald wiedersehen - als Zeugen, wenn er, der Ex-Anwalt, auf der Anklagebank sitzt.

Am Mittwoch dieser Woche beginnt vor der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin ein Mammutprozeß gegen Vogel wegen Untreue, Falschaussage und Erpressung ausreisewilliger DDR-Bürger; bis ins nächste Frühjahr hinein reihen sich bereits die Termine.

Bevor aber Vogel den Sitzungssaal 500 im Moabiter Kriminalgericht betritt, hat er bereits einen Sieg über die Staatsanwaltschaft errungen. Denn die Richter akzeptierten die Anklagepunkte nur teilweise. Mehr als die Hälfte der Vorwürfe wurden abgeschmettert - die Ermittler, kritisierte das Gericht, gingen von »unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen« aus.

Jahrelang hatten Staatsanwälte der Berliner Arbeitsgruppe Regierungskriminalität Stasi-Akten gewälzt und frühere DDR-Bürger vernommen, immer ging es um dasselbe Thema: Wer zu Honecker-Zeiten das Land verlassen wollte, mußte Häuser und Grundstücke abtreten - meist weit unter dem tatsächlichen Wert. Auch um Bargeld, harte West-Mark, erleichterten DDR-Behörden die Abtrünnigen.

Nach der Wende behaupteten viele Alt-Besitzer, Anwalt Vogel habe sie zum Verzicht genötigt; anschließend seien die Immobilien Stasi-Mitarbeitern und anderen Regimetreuen zugeschanzt worden.

Vogel, so sehen es auch die Staatsanwälte, habe die »menschenrechtswidrige Beschränkung der Freizügigkeit« der DDR-Bürger »gezielt zur Erlangung wirtschaftlicher Vorteile für sich oder Dritte ausgenutzt«. Schlichter nennt sich das Erpressung - mindestens in 53 Fällen, so die Ankläger.

Das Konstrukt der Ermittler, Vogel sei aufgrund seiner »Position im Machtapparat der DDR für das Eingesperrtsein der Bürger« und damit für »diese Gewaltsituation« mitverantwortlich gewesen, ging dem Gericht aber zu weit. Wer dies so sehe, tadelt die Kammer, verkenne »die historischen Gegebenheiten«.

Vogel, so die Richter, sei möglicherweise »hochrangiges Werkzeug« der Staatssicherheit gewesen, »nicht jedoch ein Entscheidungsträger«.

Die »Macht«, das Gefängnis DDR zu öffnen, habe der Jurist nicht besessen. »Dafür, daß Personen von Dritten eingesperrt« worden seien und Vogel einen Weg »zur Freiheit« gekannt habe, könne er »nicht strafrechtlich« zur Verantwortung gezogen werden.

Auch aus der Tatsache, daß manche Käufer dem »Umkreis des Angeklagten Vogel« angehörten, habe die Staatsanwaltschaft den falschen Schluß gezogen. Allein die »Person des Erwerbers«, so das Gericht, beweise »nicht automatisch . . . eine Unfreiwilligkeit der Veräußerung«. Manchmal sei es den Verkäufern »völlig gleichgültig« gewesen, wer ihr Haus bekam - Hauptsache sie selbst durften raus.

Gegen das Eindampfen ihrer voluminösen Anklageschrift (738 Seiten) von 53 auf 21 Fälle hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde beim Kammergericht eingelegt; doch möglicherweise bricht ihr noch ein weiterer Anklagepunkt weg - Meineid.

Letztes Jahr verloren der Stukkateur Peter Neitzke und seine Frau Karin einen Prozeß, den sie angestrengt hatten, um ihr Haus in Berlin-Hellersdorf wiederzubekommen. Wenige Monate vor der Wende hatten sie es für 107 100 DDR-Mark verkauft, um in den Westen ausreisen zu dürfen.

Der Kaufvertrag wurde am 31. Mai 1989 in Vogels Kanzlei besiegelt. »Träfe die Behauptung des Klägers zu«, so das Gericht in seinem Urteil, »daß der beurkundende Notar bei der Verlesung . . . nicht anwesend gewesen sei«, hätten die Neitzkes ihr Haus zurückbekommen. Der Vertrag wäre durch diesen Formfehler nach DDR-Recht ungültig gewesen.

Vogel hatte aber als Zeuge geschworen, dabeigewesen zu sein. Laut Flugticket traf er jedoch erst einen Tag später, am 1. Juni, nach Geheimverhandlungen in Israel, via Wien in Ost-Berlin ein. Für die Staatsanwaltschaft der schlagende Beweis, daß Vogel unter Eid falsch ausgesagt hat.

Nach Recherchen seiner Anwälte scheint nun aber möglich, daß wegen seines Trips der Termin auf den Nachmittag des 1. Juni verlegt worden ist, mithin nur das Siegeldatum nicht stimmt. »Wir sind«, sagt Vogels Verteidigerin Friederike Schulenburg, »ganz optimistisch.« Y

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