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Kultur Pornfilmfestival

Als Möglichkeit muss man die Orgie im Kopf behalten

Quantität darf man nie unterschätzen: Szene aus dem Film „Sadistic Trainer“ von – sie nennt sich wirklich so – Erika Lust Quantität darf man nie unterschätzen: Szene aus dem Film „Sadistic Trainer“ von – sie nennt sich wirklich so – Erika Lust
Quantität darf man nie unterschätzen: Szene aus dem Film „Sadistic Trainer“ von – sie nennt sich wirklich so – Erika Lust
Quelle: Erika Lust
Das Internet hat die Pornografie zur Privatsache gemacht. Das hat sie nicht verdient: Sie gehört in die Öffentlichkeit. Eine Selbsterfahrung auf dem Berliner Pornfilmfestival.

An diesem trüben Freitagnachmittag ist die Kreuzberger Nagelstudio-Tristesse am Kottbusser Damm besonders schwer zu ertragen. Früher flüchteten einsame Männer an solchen Tagen gern in dunkle Pornokinos. Die gibt es kaum noch, seit Pornos im Internet überall leicht verfügbar sind. Schon die alten Pornokinos waren zwar keine Orte, an denen ein kritisches Publikum sich über Filme austauschte. Aber sie waren öffentliche Räume, auch wenn die verschrumpfte Restöffentlichkeit in diesen dunklen Höhlen als abträglich für den hemmungslosen Kunstgenuss empfunden wurde.

Im Heimkino ist Pornografie nun allgegenwärtig, aber überhaupt nicht mehr öffentlich. Als Vereinzelte sitzen die Zuschauer zwischen Bier und Chips in ihren übergroßen Polstermöbeln. Sie denken, Pornografie sei Privatsache, etwas, das man sich heimholt wie die Pizza vom Pizzaservice. Das hat die Pornografie nicht verdient.

Doch ihr wird geholfen. Zum neunten Mal fand jetzt das Pornfilmfestival Berlin statt, im Kino Movimento am Kottbusser Damm in Berlin-Kreuzberg. Und siehe, es ging ein Leuchten aus von diesem Ort, dem Menschen aller Geschlechter (und das sind mehr als zwei), aller Altersstufen und aus aller Herren Länder zuströmten, auch an trüben Nachmittagen, wenn die meisten Leute im Büro oder zu Hause am Computerbildschirm sitzen. Wenn der Eindruck nicht täuscht, waren Frauen im Publikum leicht in der Überzahl. Bei den Pornofilmautoren sind sie es deutlich. Der anspruchsvolle, ästhetisch avancierte und experimentierfreudige pornografische Film ist fest in weiblicher Hand.

Der weibliche Orgasmus, das letzte Wunder der Menschenwelt: Szene aus „Ms Naughty“
Der weibliche Orgasmus, das letzte Wunder der Menschenwelt: Szene aus „Ms Naughty“
Quelle: Ms Naughty

Der Diskurs über diese Materie ist es auch. Und diskutiert wird viel beim Pornfilmfestival, das eigentlich nur so heißt, weil „Porn“ eben neugierig macht. In Wirklichkeit, sagen die Veranstalter, gehe es um die Bedeutung der Sexualität im Leben ganz allgemein, nicht nur um ein erotisierendes Filmgenre. Das ist nun auch wieder schön gesagt. Im Mittelpunkt stehen aber doch die scharfen Sachen und im Mittelpunkt des Mittelpunkts der Höhepunkt, und zwar der weibliche. Wenn man einmal vom ausgesprochenen Gayporno absieht, dreht sich alles um den Orgasmus der Frau, eines der letzte großen Wunder der Natur und der Menschenwelt.

Im avancierten pornografischen Film, nicht nur im lesbischen, sondern auch im heterosexuellen, der in dieser Szene auf eine gnädige Weise Artenschutz genießt, ist der weibliche Körper längst vom Lustobjekt zum Lustsubjekt geworden. Im Übrigen kommt der sexistische männliche Blick gar nicht zum Zug, wenn der Blickende zwischen lauter Frauen im Kino sitzend einer Frau dabei zuschaut, wie sie sich – in echt – mit exquisiten Keramikdildos und Hightech-Vibratoren den Orgasmus ihres Lebens verschafft, was im Film wiederum die Fantasie einer biederen Ehefrau ist, welche die Koffer packt, um sich aus ihrem konventionellen Leben zu verabschieden. Nachher steht sie als Regisseurin leibhaftig vor der Leinwand, immer noch sehr muttchenhaft, und beantwortet Fragen aus dem Publikum. Wie gesagt, unter solchen Bedingungen schlägt der heterosexistische Blick sozusagen die Augen nieder.

Am traurigsten waren die Schwulenfilme, doch das mag im Auge des Betrachters liegen

Am Freitagnachmittag liefen die Filme des Kurzfilmwettbewerbs. Am lustigsten war „Put the Needle on the Record“. Vier junge lesbische Frauen bekiffen sich, was das Zeug hält. Eine der Frauen, ein Pummelchen mit dicker Brille, erzählt, wie sie Samanta verführte, die Unerreichbare, mit der alle ins Bett wollten. Die Erzählung verfehlt ihre erotisierende Wirkung nicht. Während das Pummelchen mit seinen amourösen Heldentaten prahlt, kommt es zwischen zwei anderen Frauen zu einer etwas slapstickhaften sexuellen Begegnung auf dem Fußboden, bei der die Kleider am Leib bleiben, der Orgasmus aber echt ist, wie die Regisseurin versichert.

Am traurigsten waren die Schwulenfilme, doch das mag im Auge des Betrachters liegen. Alle anderen Spielarten zeigen normale Menschen beim Sex, dicke, dünne, schöne, hässliche. Schwulenporno aber geht offenbar nicht ohne stramme Kerle. Und die wälzen sich gern in öligen Flüssigkeiten und verspritzen Fluten neonbunten Spermas. Vielleicht ist das aber auch nur bei dem einen oder anderen Kurzfilm so.

Heterosexuell ging es in zwei von zwölf Filmen zu, allerdings mit der begehrenden Frau als Hauptfigur. Im konventionellen Porno ist die Nachbarin das Objekt der männlichen Begierde, im postkonventionellen dreht sich das um. Der weibliche Single schmachtet den Nachbarn an. Die Frau ist ein Nomadenmädchen, das auf Umzugskisten sitzt und nirgendwo zu Hause ist. Autoerotische Fantasie erzeugt die Bilder. In einem chilenischen kleinen Frauenfilm wird mit fast befremdlicher Unschuld ein konventionelles Klischee bedient, wenn die einsame junge Frau in ihrem mit Kisten verrammelten Appartement sich in ihrer Masturbationsfantasie vom Nachbarn im Grünen in klassischer Manier flachlegen lässt.

Die lesbischen Ladies in Courtney Troubles „Girlpile“ wissen offenbar, was sie tun und wollen
Die lesbischen Ladies in Courtney Troubles „Girlpile“ wissen offenbar, was sie tun und wollen
Quelle: Courtney Trouble

Einen wirklich verstörenden Kurzfilm hat die Schwedin Joanna Rytel gedreht. In einen schwarzen Lackbody gekleidet, erzählt sie ihrer dreijährigen Tochter, wie sie sich mit einem Mann, der nicht Daddy war, in einem Hotel traf. Sie liegt beim Erzählen meist auf einem Bett, das in einem kahlen weißen Raum steht. Das nackte Kind benutzt das Bett hüpfend als Trampolin, kuschelt sich auch an die Mutter und begleitet die Seitensprungerzählung mit kindlichen Fragen und Kommentaren.

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Nach diesem Elf-Minuten-Film gab es eine heftige Kontroverse im Publikum. Männer kritisierten, dass ein nacktes Kind im Kontext eines Pornofilmfestivals unweigerlich sexualisiert werde. Frauen widersprachen. Man dürfe sich von der Kindersex- und Missbrauchshysterie nicht einschüchtern lassen. Die Regisseurin beharrte darauf, dass ihr Film eine feministische Botschaft vermittle. „Once Upon a Time There Was an Unfaithful Mummy“, so der Titel, richte sich gegen das unterdrückerische Bild der perfekten Mutter. Was wird in einigen Jahren, wenn sie mehr versteht, die kleine Tochter dazu sagen? Wie wird sie ihre öffentliche Nacktheit empfinden und wie die erotische Beichte ihrer Mutter, deren Zeugin sie nicht aus freiem Willen wurde?

Die vier lesbischen Ladies, die in Courtney Troubles Film „Girlpile“ 50 Minuten lang vor der Kamera einfach nur das tun, was ihnen in den Sinn kommt, wissen offenbar, was sie tun und wollen. Sie veranstalten eine echte Superorgie und bleiben sich dabei gewogen, weil sie Vertrauen zueinander haben. Und das hat, man mag es nicht glauben, etwas wahrhaft Herzerwärmendes. Courtney Trouble ist eine der Starregisseurinnen des Festivals. Dieses Jahr hatte in Berlin „Fucking Mystic“ Weltpremiere, ein „narrativer Porno“, der in einer Schlussorgie mit 19 Beteiligten zum Höhepunkt kommt. Das sei, sagt die Regisseurin, „die Erfüllung all meiner queeren Sexträume“.

Es ist doch schön, dass in einer Zeit, in der allenthalben über Nachhaltigkeit, den sparsamen Gebrauch von Ressourcen, Arbeitseffizienz und allerlei Vorsichtsmaßnahmen beim Sex geredet wird, die Orgie noch zu ihrem Recht kommt. Mindestens als Möglichkeit muss man die Orgie immer im Kopf behalten.

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