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Das tröstende Licht für unsere Dunkelheit

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Ihre Musik ist der pure Schönklang: Michael Praetorius (l.) und Josquin Desprez Ihre Musik ist der pure Schönklang: Michael Praetorius (l.) und Josquin Desprez
Ihre Musik ist der pure Schönklang: Michael Praetorius (l.) und Josquin Desprez
Quelle: Getty Images/Archive Photos, Heritage Images/Getty Images
Die Musik-Jubilare des Jahres heißen Josquin Desprez und Michael Praetorius. 500 Jahre tot ist der eine, 400 der andere. Ihre Musik ist uns fern. Und gibt uns dennoch genau das, was unsere Seele gerade braucht.

Jubiläen, Gedenktage feiert man, wie sie fallen. Nicht immer begibt es sich wie in diesem Jahr, dass zwei große Musiker, die uns wie ferne Schatten erscheinen, weil sie vor 500, respektive 400 Jahren gestorben sind, auch heute noch sehr nah sind. Josquin Desprez heißt der eine, Michael Praetorius der andere.

Irgendwie ewiglich tönt ihre Musik, weiträumig, ruhig, in langen Bögen sich verschlingender Stimmen. Trägt die auf sich selbst zurückgefallenen, nach innen hörenden, nach Kontemplativem suchenden Menschen durchs Corona-Jahr 2021.

Es ist Vokalmusik, die älteste Musik überhaupt. Den menschlichen Körper leiht sie sich als Instrument: Die Stimmbänder sind die Erzeuger, der Kopf ist der Resonanzraum, die Lunge der Blasebalg. Mehrere Menschen geben singend diesen vom Wind der Geschichte verwehten Manifesten zudem mehr Größe, Fülle, Komplexität, Würde, Überzeugungskraft.

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Dann aber wird diese so dingliche, deutliche Musik sofort abstrakt, obwohl sie dient. Weil sie den Glauben beschwört, den Menschen der späten Renaissance und der frühen Barockzeit die Existenz auf Erden leichter machen möchte, indem sie eine höhere Macht anruft.

Man mag sie Gott nennen. Wir müssen das aber nicht. Wir können uns einfach nur von den klaren, wahrhaft harmonischen Proportionen dieser nach oben, in die gotischen Kathedralen schwebenden Töne, von ihrer vollkommenen Schönheit beeindrucken lassen.

Wir können chillen, werden davontragen. Es kann ein akustischer Trip werden – im Namen der Himmelskönigin, eines segnenden Vaters, eines geopferten Sohnes.

Josquin Desprez: "Musæ Jovis"

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Josquin ist der noten meister; die habens müssen machen, wie er wolt.“ So sprach schon Martin Luther voll des Lobs über den franko-flämischen, natürlich katholischen Komponisten und Sänger, der zwischen 1450 und 1455 geboren wurde und am 27. August 1521 aktenkundig gestorben ist.

Er führte ein wahrhaft europäisches Leben in Aix-en-Provence, Paris, Mailand, Rom, Ferrara, vielleicht Burgund. Sein beachtliches Werk umfasst 19 vollständige Messen, einzelne Ordinariumssätze, 90 Motetten, 70 weltliche Werke und ein paar Instrumentalstücke.

Sein Name in der Sixtinischen Kapelle

Desprez wurde jahrelang als Sänger der päpstlichen Kapelle geführt. Wer das Glück hat, auf die Sängerkanzel der Sixtina zu dürfen, kann dort seinen (von ihm?) in die Wand geritzten Namen streicheln.

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Josquin Desprez, der Abstrakte, wie später auch Expressive, der Könner der kombinatorischen und schmückenden Kontrapunktik, insbesondere im Kanon, er ist eine fremde Größe. Oft melancholisch oder elegisch. Aber trotzdem umhüllt uns seine Musik tröstlich, beruhigt, ist uns nah.

Er war einer der ersten Musiker, dessen Ruhm bereits zu Lebzeiten so groß war und auch noch über seinen Tod hinaushallte, dass seine Werke posthum weiterhin gedruckt wurden. Das Werk dieses entschwundenen und doch anwesenden Meisters ist Basis der abendländischen Musik. Auf dem Fundament dieser kunstvoll sich verzweigenden Polyfonie des Desprez konnte sie wunderbar kreativ erblühen und viele gehaltvolle Früchte tragen.

Die Gleichzeitigkeit dieser Musik, das Ferne und das Unmittelbare, der Spiegel als Brunnen der Vergangenheit, in den wir blicken und doch – verschwommen zwar, in der Renaissance eben – uns selbst, zumindest unsere Empfindungen und Empathien erblicken, das macht diese Klänge, so relevant.

Michael Praetorius, eigentlich Schulteis, am 15. Februar 1571 bei Eisenach geboren, am gleichen Tag 50 Jahre später in Wolfenbüttel gestorben, wirkte als Komponist, Organist, Hofkapellmeister und Gelehrter an verschiedenen Bistümern und Höfen in Mitteldeutschland. Er führte ein Leben, das mehr im Jetzt verankert war, mit den Belangen des täglichen Lebens zu tun hatte.

Praetorius, wie Desprez ein selbstbewusst Kreativer, der auf seine Wertigkeit pochte, auch anecken konnte, hinterließ eine große Zahl an Kirchenkompositionen vielfältiger Art, aber auch weltliche Tänze sowie musikwissenschaftliche Schriften. Im evangelischen Gesangsbuch finden sich acht seiner Stücke, am berühmtesten wurde sein vierstimmiger Satz des Weihnachtsliedes „Es ist ein Ros entsprungen“.

Während der ältere Desprez strenger, schlanker, monodischer in der Anlage anmutet, schöpft Praetorius aus der Fülle der Polyfonie. Da ranken und sprießen bis zu 20 Stimmen zu einem immer dichteren, freilich noch durchhörbaren Tonflechtwerk, durchaus beeinflusst von der damals klangangebenden italienischen Manier.

Sie wollten ihre Welt erfahrbar machen

Obwohl er Deutschland nie verlassen hat, war er doch universal gebildet, nutzte die Kommunikationswege seiner Zeit, um die tonangebenden Kollegen aus dem Süden wenigstens in ihren Noten zu studieren. Die Gesänge des älteren Desprez scheinen zu verharren, die des jüngeren Praetorius haben mehr drängende Energie und Frische, sie attackieren, springen den Hörenden auch mal an.

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„Lux in tenebris“ – „Licht im Dunkel“ – ihrer Zeit. So wollten beiden ihre Welt erfahr- und aushaltbar machen. Natürlich komponierten sie höchst unterschiedlich, aber für uns sehr spät geborene Hörer ist ihre Musik durchaus ähnlich. Schon weil beide extrem aus dem Wort schöpfen, dieses faltenfrei und ohne überflüssige Ausschmückung auch tönend Bedeutung werden lassen.

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Die Musik dient nicht dem Text, aber sie meißelt ihn kontraststärker aus, so wie die kantige Gotik gegenüber der weicheren Romanik. Genauso ließen sie komplizierte Melismen und altertümliche Kadenzen hinter sich. Ihre Musik ist selbst für uns der pure Schönklang.

Und vielleicht ist es gerade der zeitliche Abstand zu dieser Musik die uns das großartig artifizielle, trotzdem unmittelbar berührende Element ihrer Verfasstheit stärker erfahren lässt. Die uns zur Konzentration zwingt, zum mediativen Schweifen bringt. Das ist in diesen Pandemiezeiten und zu diesen Passionstagen etwas sehr Starkes und Schönes.

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