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„Jazz an einem Sommerabend“ von Bert Stern: Filmstart und Trailer - WELT
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Film „Jazz an einem Sommerabend“

Der coolste Konzertfilm aller Zeiten

Festivalgäste in den Fünfzigern Festivalgäste in den Fünfzigern
Festivalgäste in den Fünfzigern
Quelle: Rapid Eye Movies
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Es gibt Abende, da ist ein ganzes Land mit sich Reinen. Der Fotograf und Filmemacher Bert Stern hat diesen Augenblick 1958 beim Festival in Newport festgehalten. Nun kommt sein Dokument wieder ins Kino – und zeigt die verlorene Unschuld.

Eigentlich sollte der junge Magazin-Fotograf nur ein paar Aufnahmen von der Hollywood-Berühmtheit machen. Daraus wurde eine dreitägige Session in einer Hotelsuite in Los Angeles, bei der über 2500 Bilder entstanden. Am Ende war der Star nackt und die Bilder gingen um die Welt. Als „The Last Sitting“ leben die Fotos, die Bert Stern im Juni 1962 von Marilyn Monroe wenige Wochen vor ihrem Tod machte, bis heute fort.

Und das nicht nur, weil es die letzten Bilder sind, die von der Filmlegende gemacht wurden. Sondern auch, weil die Aufnahmen so direkt, so nah, so unglaublich intim sind und auch nach fast 60 Jahren nichts von ihrer Unmittelbarkeit eingebüßt haben. Hier geschah, wovon die Generation Instagram heute nur träumen kann: Stern blickte unter die Oberfläche eines schönen Gesichts und fing eine verletzte Seele für die Ewigkeit ein.

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Nun, da er in einer restaurierten Version in 4K-Auflösung wieder in die Kinos kommt, muss man sagen: Mit seinem ersten und einzigen Film, der vier Jahre vor „The Last Sitting“ entstand, ist dem 2013 verstorbenen Menschenbeobachter Stern ein ähnlich großes Kunststück gelungen. Einer der Organisatoren hatte den seinerzeit 28-jährigen Werbefotografen dazu eingeladen, sich 1958 ein Bild von dem Newport Jazz Festival an der amerikanischen Ostküste zu machen. Stern, der es dank einer visuell revolutionären Kampagne für Smirnoff-Wodka mit einem lässig vor einer ägyptischen Pyramide im Wüstensand platzierten Drink zu einer gewissen Berühmtheit gebracht hatte, sollte, mal wieder, nur ein paar Aufnahmen machen.

Aber wie im Falle der Monroe-Session konnte sich Stern nicht sattsehen. Er blieb vier Tage und fing mit zwei Co-Kameraleuten neben dem Festival auch noch die Segelschiffe ein, die an der Küste vor Newport um die Qualifikation für den „America’s Cup“ konkurrierten.

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„Jazz an einem Sommerabend“, der 85-minütige Ertrag jenes unbeschwerten Wochenendes rund um den Unabhängigkeitstag 1958, ist weder ein Werbefilm noch eine Dokumentation – obwohl Elemente von beidem durchaus erkennbar sind. So wechseln sich Konzertmitschnitte der Jazz-Prominenz von Gerry Mulligan über Anita O‘Day bis Louis Armstrong mit inszenierten und teilweise viel später gedrehten Einstellungen ab – lässige Bilder von juvenilem Partyvolk, das auf einem Dach tanzt, oder Aufnahmen einer Dixieland-Band, die ihre Faxen auf einer Kindereisenbahn macht. „Jazz an einem Sommerabend“ will nichts erklären, nichts überhöhen, sondern einfach nur im Moment sein. Es geht um das ungefilterte Porträt eines Lebensgefühls, vielleicht auch einer Utopie.

Diese atmosphärische Dichte, die durch keinen Erzähler gestört wird, ist einer der Gründe, weshalb Sterns Werk unter Eingeweihten einen vergleichbar mythischen Ruf wie seine berühmten Monroe-Bilder genießt. Für die einen ist „Jazz an einem Sommerabend“ der vielleicht schönste Film, der je über Jazz gemacht wurde. Für andere, wie etwa „Magnolia“-Regisseur Paul Thomas Anderson, nichts Geringeres als „der Goldstandard des Musik-Films“ generell.

Die Stars auf den Stühlen vor der Bühne

So oder so ist es ein großes unverhofftes Geschenk, dass diese Montage aus Klängen, Farben und Gesichtern, die 1999 von der Library of Congress in ihre Liste der kulturell, historisch oder ästhetisch relevanten Kinowerke der USA aufgenommen wurde, just jetzt wieder in die Kinos kommt. Den Genuss eines Festivals mit vielen Menschen, die einem derart nahekommen, hat man coronabedingt schließlich schon lange nicht mehr verspürt. Ganz zu schweigen von dem Gefühl der Gleichgestimmtheit in der Unterschiedlichkeit, wie es „Jazz an einem Sommerabend“ so prächtig vermittelt.

Für Stern waren die Menschen vor der Bühne nämlich genauso wichtig wie die Stars auf dem Podium. So gibt es einen beständigen Schuss-Gegenschuss-Dialog zwischen den höchst intensiv agierenden Musikern auf der einen Seite und den nicht minder lebensprall reagierenden Frauen, Männern und Kindern auf der anderen Seite. Da ist etwa die energisch kaugummikauende Dame in Rot, die ein herzhaftes Gähnen nicht unterdrücken kann, wenn der Festivalansager im Hintergrund etwas von Thelonious Monks Suche nach der Reproduktion von Vierteltönen auf dem Klavier raunt. Die dann aber begeistert applaudiert, nachdem sie den Pianisten hat spielen hören.

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Man sieht auch energisch schnipsende Männer mit Zigarrenstumpen im Mund, glücklich lächelnde Kinder auf den Knien ihrer Mütter sowie in Ekstase geratende Teenager. Sie küssen sich, diese Menschen aus dem Jahr 1958, sie lachen miteinander und sie schieben sich ungezwungen Snacks in den Mund. Sie wirken wie Zeitgenossen von uns Heutigen, die sich für eine 50er-Jahre-Mottofete verkleidet haben. Es ist ein bisschen wie Woodstock, nur mit mehr und schöneren Klamotten.

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Selbst, wenn man mit der Musik nichts anfangen kann, wird man unweigerlich von den Bildern in den Bann geschlagen: Die tanzenden Reflexionen auf der Wasseroberfläche, die sich untermalt von den kontrapunktischen Riffs des Jimmy Guiffre Trios in abstrakte Gemälde verwandeln. Oder der Cellist Nathan Gershman, der nach einer Probe mit dem Chico Hamilton Quintet alleine in einem Hotelzimmer sitzt und mit nacktem Oberkörper Bach spielt wie der desillusionierte Held eines existenzialistischen Krimis. Schließlich der allmähliche Wandel des Lichts von morgendlicher Unbekümmertheit zu geheimnisvoller Nachtschwärze und den darin schwimmenden Farbtupfern der Kleider und Instrumente.

Louis Armstrong beim Newport-Festival
Louis Armstrong beim Newport-Festival
Quelle: Rapid Eye Movies

„Wir haben viel gewagt, es hätte auch schiefgehen können“, bemerkte Stern später, „wir nutzten keinen Belichtungsmesser, der Ton wurde live und ungefiltert aufgenommen – er kam direkt von den Sängern, den Instrumentalisten. Wir wollten einen ,glücklichen’ Jazzfilm machen. Zu viele Filme von und über Jazz sind düster.“

Was Sterns Film neben seinen ästhetischen Qualitäten so bemerkenswert macht, ist der Umstand, dass hier musikalische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in einer Schwebe gehalten werden. Traditioneller Jazz à la Satchmo steht hier neben dem Bebop eines Sonny Stitt und den klassischen Standardinterpretationen einer Anita O‘Day.

Gleichzeitig ist bereits die kommende Disruption zu vernehmen: die Freejazz-Avantgarde, die sich in den Flötentönen eines Eric Dolphy 1958 in Newport noch zivilisiert gab, sowie die Rock’n’Roll-Revolution. Die taucht in Person eines jungen Chuck Berry auf, der die Leute trotz seines gitarristisch ziemlich ungelenken Vortrags von den Sitzen riss. Sehr zum ungläubigen Amüsement der ihn begleitenden Jazzmusiker, die nicht ahnten, dass Burschen wie Berry dem Jazz schon bald in der Publikumsgunst den Garaus machen sollten.

In „Jazz an einem Sommerabend“ ist es aber noch nicht so weit. Da beschließt die Gospelsängerin Mahalia Jackson die rauschhaften 85 Minuten mit einem inbrünstigen Vaterunser. Gemeinsam lauschen Frau und Mann, Jung und Alt, Schwarz und Weiß andächtig. Ein „Last Sitting“ vor den gewaltigen Stürmen der 1960er-Jahre. So cool, so unschuldig und so sehr im Reinen mit sich selbst wie in Sterns Film waren die USA danach nie wieder.

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