Als Cindy Sherman am Mittwoch morgen die 10-Uhr-Konferenz im „Welt“-Newsroom eröffnete, waren natürlich alle Augen auf sie gerichtet. Nicht nur weil sie die Gestaltung der fünften Künstlerausgabe der „Welt“ übernommen hat, sondern weil man wissen wollte: Wie sieht Cindy Sherman eigentlich in Wirklichkeit aus? Man kennt sie doch fast nur in Verkleidung, hinter den grellsten Maskeraden und verrutschtesten Make-ups verborgen.
Cindy Sherman ist eine der berühmtesten zeitgenössischen Künstlerinnen. Die 1954 in Glen Ridge (New Jersey) geborene Amerikanerin hat die alte Gattung des Selbstporträts in ein völlig neues Medium überführt und dafür die Fotografie als ihr performatives Ausdrucksmittel entdeckt.
Seitdem schlüpfte sie vor der Kamera in immer neue Rollen, posierte in wechselnden Charakteren, stellte Szenen von Filmen nach, die nie ins Kino gekommen sind. Sie inszenierte sich als Altmeistergemälde, als Sexobjekt, als Verstümmelungsopfer. Und Sherman schneidet die schönsten Grimassen der Kunstgeschichte.
Nun aber macht sie Zeitung. „Nicht so richtig“, sagt die zierliche Sherman im N24-Interview: „Für mich ist es vor allem eine interessante soziale Erfahrung hier einen Tag lang dabei zu sein.“
Für die Leser der „Welt“ wird der Gang zum Kiosk oder zum Briefkasten am Donnerstag auch eine interessante Erfahrung. Denn vom Titel schauen Shermans fragende Augen aus einem faltigen, maskenartig überschminkten Gesicht in extremer Nahaufnahme.
„Ich will die Menschen mit meiner Arbeit verstören. Manchmal ganz offensichtlich, dann wieder auf subtilere Weise“, erklärt Sherman. „Sie sollen sich fragen, ob etwas falsch ist mit diesen Bildern.“ Solche Störungen zeichnen alle ihre Arbeiten aus, ob sie überzeichnete Selfies macht, verstörende Körperbilder oder Spielzeugpuppen fürs Foto misshandelt. Die Betrachter müssen unwillkürlich Stellung beziehen zu Shermans Inszenierungen. Eine Erwartung, die auch Blattmacher von ihren Zeitungslesern haben.
Die Diskrepanz, dass ihre Bilder nicht zu den Geschichten und aktuellen Artikeln in der Zeitung passen, findet Sherman gerade spannend. Sie hat ihre Bilder extra nicht betitelt, damit es zu einer Interaktion kommen kann.
Und auch „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters betonte, dass es den Reiz einer jeden Künstlerausgabe – bisher mit Georg Baselitz, Ellsworth Kelly, Gerhard Richter und Neo Rauch – ausmacht, mit den Überschriften kongenial auf die Bilder zu reagieren. Cindy Shermans ambivalente künstlerische Arbeit ist da eine besondere Herausforderung.