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Politik Michael Wolffsohn

"Die Bundeswehr muss Offenheit lernen"

"Es herrscht Krieg, und wir sind mitten drin": Michael Wolffsohn fordert von den deutschen Truppen mehr Offenheit. Der Professor für Neue Geschichte an der Bundeswehruniversität spricht im Interview mit WELT ONLINE über Geheimniskrämerei beim Luftangriff in Afghanistan und den schlechten Ruf der Bundeswehr.

WELT ONLINE: Beinahe drei Monate wurden die jetzt bekannt gewordenen Informationen über den 4. September in Kundus zurückgehalten. Wie ist das möglich?

Michael Wolffsohn: Kein Mensch oder Ministerium, Militär oder Zivilist räumt gerne Fehler ein: Lieber verdecken als Fehlbarkeit zeigen.

WELT ONLINE: In der Bundeswehr scheint ein derartiges Versteckspiel recht ausgeprägt zu sein

Wolffsohn: Im Prinzip nicht. Aber man ist sehr ängstlich, weil die Öffentlichkeit besonders wenig von den Fragen versteht und Gewaltanwendung in Deutschland – Gott sei Dank – abgelehnt wird.

WELT ONLINE: Wie schätzen Sie den Vorfall ein?

Wolffsohn: Es war von Anfang an klar, dass es zivile Opfer bei jenem Angriff auf die Taliban-Partisanen gegeben haben muss. Jeder, der auch nur ein bisschen den Partisanenkrieg kennt, weiß: Partisanen gebrauchen immer und überall das eigene Zivil als Versteck und Rückzugsbasis. Sie missbrauchen das eigene Zivil als Schutzschild. Das bedeutet: Neben jedem Partisan steht mindestens ein Zivilist. Der Partisan ist nicht als Soldat, der er faktisch ist, erkennbar. Der Partisan trägt keine Uniform.

WELT ONLINE: Aber der Angreifer ist automatisch im Unrecht…

Wolffsohn: In der Tat. Die eigenen zivilen Opfer sind die beste Propaganda der Partisanen, um die gegnerischen Soldaten und deren Zivilbevölkerung zu verunsichern und letztlich zum Abzug zu bewegen. Die Taliban können den Abzug der Bundeswehr und ihrer Partner nur politisch erzwingen. Dafür müssen sie die deutsche Gesellschaft und Politik verunsichern. Zivile Opfer durch eigene Soldaten verunsichern jede Heimatfront. Das setzt den politischen Prozess in Gang. An dessen Abschluss steht der Abzug. Die Taliban-Strategie geht auf, heftiger denn je wird über den Abzug aus Afghanistan diskutiert.

WELT ONLINE: Was ist zu tun?

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Wolffsohn: Minister Guttenberg ist zu beglückwünschen, dass er die Karten auf den Tisch legt – und so Vertrauen schafft. Wenn Terror und Taliban künftig abgeschreckt werden sollen, muss zunächst der militärische Einsatz gegen die Taliban dramatisch verstärkt werden, um die Taliban entscheidend zu schwächen. Militärisch geschwächt, bliebe ihnen nur die politische Option – die wir ihnen ermöglichen müssen.

WELT ONLINE: Wie sollte die politische Option dann aussehen?

Wolffsohn: Notfalls Regierungsbeteiligung der Taliban, aber ohne Terrorbasis.

WELT ONLINE: Was muss die Bundeswehr tun, um ihr Image zu retten?

Wolffsohn: Am Anfang des Afghanistaneinsatzes wollten uns Schröder, Struck und Joschka Fischer einreden, dass die Bundeswehr so etwas wie die Heilsarmee für den Hindukusch wäre und deutsche Soldaten fleißig Brunnen graben und Schulen aufbauen würden, dass Krieg nur die bösen Amerikaner und Briten führten, wir also Friedensengel am Himalaja wären. Nun sehen wir: Es herrscht dort Krieg, und wir sind mitten drin. Das schlechte Image der Bundeswehr hängt damit zusammen, dass weder die deutsche Politik noch die Bundeswehrführung der deutschen Öffentlichkeit das Wesen des Partisanenkriegs erklärt hat – also den zynischen Missbrauch des eigenen Zivils durch Partisanen, hier also der Taliban. Minister Guttenberg scheint hier ein neues Kapitel aufschlagen zu wollen. Bravo. Denn Kennzeichen der offenen Gesellschaft ist und muss bleiben: Offenheit und Öffentlichkeit. Die Bundeswehr muss das noch lernen.

WELT ONLINE: Franz Josef Jung steht massiv unter Druck. Sollte er gehen?

Wolffsohn: Jung genießt die Gnade des Ressortwechsels. Ob das reicht, bleibt abzuwarten. Als Verteidigungsminister hätte er, mit dem Generalinspekteur, der Öffentlichkeit offen das Wesen des Partisanenkriegs erklären sollen und müssen. Das hat er versäumt. In der Politik werden erkennbare und erkannte Versäumnisse oder Fehler gnadenlos geahndet, nicht zuletzt von den eigenen Parteifreunden.

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