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Politik Russland

Es droht kein Kalter Krieg, aber ein eisiger Friede

Vladimir Putin Vladimir Putin
Russlands starker Mann: Wladimir Putin
Quelle: AP
Wladimir Putin fordert die USA heraus – doch es geht ihm in erster Linie darum, einen Keil zwischen Europa und Amerika zu treiben. Sein agressives Gehabe könnte jedoch eher zu einer Vertiefung der Spaltung zwischen West- und Osteuropa führen.

Ob wir jetzt am Beginn eines neuen Kalten Krieges stehen, fragten viele Kommentatoren, nachdem Wladimir Putin am Samstag auf der Münchener Sicherheitskonferenz heftig gegen die Vereinigten Staaten vom Leder gezogen hatte.

Die allgemeine Aufregung verblüfft ein wenig, denn erstaunlich war ja nur die Unverblümtheit und Aggressivität, mit der Russlands Präsident die vermeintlichen Weltherrschaftspläne der USA geißelte. Putin sprach aber nur unverblümt aus, was schon seit geraumer Zeit Leitlinie seiner außenpolitischen Orientierung ist. Putins Russland ist schon längst alles andere als ein „strategischer Partner“ des Westens, sondern praktiziert eine Strategie, die in der Tat an die Logik des Kalten Kriegs erinnert. Putin, der die Auflösung der Sowjetunion als „Katastrophe“ bezeichnet hat, setzt alles daran, Russland wieder in den Rang einer Weltmacht einzusetzen, an der vorbei kein größerer Konflikt in der Weltpolitik gelöst werden kann.

Daran ist zunächst einmal nichts auszusetzen. Es ist nur folgerichtig, das sich ein so großes und bedeutendes Land wie Russland nach einer Periode der Schwäche im globalen Kräftespiel wieder unüberhörbar zu Wort meldet. Dies ist sogar ausdrücklich wünschenswert, denn nur ein stabiles und selbstbewusstes Russland kann die Verantwortung für das weltpolitische Gleichgewicht wahrnehmen, die ihm aufgrund seiner Größe und seinem Gewicht zukommt.

Niemand kann Russland auch dafür verurteilen, dass es in erster Linie seine eigenen nationalen Interessen verfolgt, und niemand sollte sich darüber wundern, dass sich diese seine ökonomischen und geostrategischen Interessen häufig nicht mit denen Amerikas und Europas decken. Zu einem nüchternen, illusionsfreien Umgang mit Russland gehört die Einsicht in die Existenz solcher Interessensgegensätze, die jedoch durchaus so rational ausgetragen werden können, dass sie nicht zu ernsthaften Konflikten führen müssen. Dazu sind wiederum die Gemeinsamkeiten zwischen Russland und der westlichen Welt viel zu groß.

Profilierungssucht auf Kosten der USA

Beunruhigend ist aber, dass Putin sein Konzept russischer Größe und Stärke gezielt auf Kosten und in wachsender Feindseligkeit gegenüber Amerika und dem gesamten Westen zu profilieren versucht und mit imperialem Gehabe ausstattet. Irritierend ist seine Doppelstrategie, sich in zentralen weltpolitischen Krisen, von Iran bis Nordkorea, vom Nahostkonflikt bis zum Irak, einerseits als unverzichtbarer Kooperationspartner des Westens zu präsentieren, andererseits aber gemeinsame Zielsetzungen zu hintertreiben. Putins Russland tritt dem Westen gleichzeitig als Teil der Lösung und als Teil des Problems gegenüber.

Es ist dreist, wenn der russische Präsident die amerikanischen Pläne zur Installierung neuer Raketenabwehrsysteme in Osteuropa wegen ihres vermeintlich aggressiven Charakters anprangert, selbst jedoch längst über neuartige Mittelstreckenraketen verfügt, die er an den Iran liefert – und damit zur Schaffung jener Bedrohungen beiträgt, denen die Aufstellung genannter Abwehrsysteme entgegenwirken sollen. Die zwielichtige russische Hilfe für das iranische Atomprogramm muss man in diesem Zusammenhang erst gar nicht erwähnen. Gar nicht geheuer kann es dem Westen auch sein, dass Russland Syrien mit panzerbrechenden Rankten versorgt, die von der Hisbollah im Libanonkrieg gegen Israel eingesetzt wurde. Und nicht zuletzt darf man sich fragen, warum Russland seit geraumer Zeit eine neue Interkontinentalrakete entwickelt, Putin aber die USA beschuldigt, einen neuen Rüstungswettlauf zu provozieren.

Man kann es zudem nur haarsträubend nennen, dass ausgerechnet Putin den Amerikanern die Missachtung des Völkerrechts vorwirft – er, dessen Armee in Tschetschenien mit rücksichtsloser Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen ist und noch immer vorgeht, der Länder wie Georgien, Moldawien und die Ukraine durch wirtschaftlichem Boykott oder die Sperrung von Gaslieferungen unter Druck setzt. Und seine Polemik gegen die „westlichen Werte“, die Russland angeblich aufgezwungen werden sollen, muss vor dem Hintergrund der zunehmend autokratischen Herrschaft in Russland wie ein zynischer Hohn klingen. Putin ist im Begriff, die letzten kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen, die sich in seinem Land überhaupt noch auf die angeblich so aggressiv auf dem Vormarsch befindlichen „westlichen Werte“, als da sind: die Rede- Presse- und Organisationsfreiheit, zu berufen wagen.

Entschuldigungen für Putin

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Nach Putins Ausfällen in München waren schnell deutsche Politiker zur Stelle, die ihre Bedeutung herunterzuspielen und Putins scharfe Tonart als bloße innenpolitisch motivierte Rhetorik abzutun versuchten. Politiker wie Guido Westerwelle von der FDP wollten Putins Offenheit sogar als gutes Zeichen für seine ungeschminkte Dialogbereitschaft gewertet wissen. Leider versäumten sie aber die Gelegenheit, Putin ihrerseits mit ähnlicher Offenheit ihre Meinung zu sagen und seine Anklagen gegen Amerika auf ihre sachliche Richtigkeit abzuklopfen.

Dennoch kann man sich durchaus fragen, ob wirklich die Amerikaner die Hauptadressaten seiner Rede waren. Es ist kaum vorstellbar, das der Kremlherr tatsächlich eine direkte politische Konfrontation mit der einzig verbliebenen Supermacht sucht, deren Überlegenheit er ja selbst so wortgewaltig anprangerte. Über die tatsächlichen Kräfteverhältnisse in der Weltpolitik und seine Erfolgsaussichten bei einem realen neuen Rüstungswettlauf dürfte sich der gewieften Machtpolitiker Putin keinerlei Illusionen machen.

Der Ausfall gegen Amerika war vielmehr ganz wesentlich auch in zwei andere Richtungen gesprochen. Zum einen wachsen in Russland die nationalistischen Kräfte, die eine Abwendung vom Westen fordern und ihre rhetorische Energie aus der Angstvorstellung beziehen, vom bösen Westen „eingekreist“ zu werden. Putin will sich deshalb, auch schon im Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2008, innenpolitisch als starker Mann und ganzer Kerl darstellen, der den Feinden auf deren eigenem Territorium unerschrocken die Stirn bietet.

Zum anderen dürften seine Donnerworte vor allem auch für europäische Ohren bestimmt gewesen sein. Putin weiß, dass es in Europa eine weit verbreitete Antistimmung gegen das vermeintlich arrogante oder gar gefährliche Amerika gibt. Er kann davon ausgehen, dass es eine beträchtliche Zahl von Europäern gibt – bei Franzosen und Deutschen ist das jedenfalls sicher –, die begeistert oder zumindest klammheimlich zustimmen, wann immer die amerikanische Hypermacht an den Pranger gestellt wird, und die dabei großzügig zu übersehen bereit sind, aus welcher fragwürdigen Ecke solche Kritik kommt. Es ist offensichtlich, dass Putins verbale Offensive darauf abzielt, die Gegensätze zwischen Amerika und Europa zu vertiefen und sich als starken potenziellen Verbündeten der Europäer bei der Zurückdrängung amerikanischer Dominanz zu empfehlen. Auch diese Taktik, Amerika und Europa zu spalten, ist aus dem Arsenal des Kalten Kriegs nur allzu vertraut.

Dieses Mal freilich verspricht sie sogar mehr Erfolg als damals, steht doch jetzt kein unüberbrückbarer politischer Systemunterschied mehr zwischen einer stärkeren Anlehnung Europas an den großen russischen Nachbarn. Gibt es also eine veritable Versuchung für Europa, einen „Dritten Weg“ zu beschreiten, um im Gleichschritt mit Russland die „multipolaren Weltordnung“ unter Führung der USA zu verhindern?

Nein – jedenfalls nicht für ganz Europa. Im östlichen Teil des Kontinents werden Putins Weckrufe gegen die angeblichen Weltherrschaftspläne Amerikas nämlich anders aufgenommen, als dies bei weiten Teilen der westeuropäischen Öffentlichkeit der Fall ist – womit sich einmal mehr bestätigt, dass der unselige Gegensatz zwischen „altem“ und „neuen“ Europa noch längst nicht der Vergangenheit angehört.

Er sei über den rüden Tonfall Putins in München überhaupt nicht überrascht gewesen, sagte Toomas Hendrik Ilves, Präsident der Republik Estland, bei einem von der „Deutschen Welle“ am Montag in Berlin veranstalteten Pressegespräch. An solche aggressiven Kraftsprüche aus Moskau seien die Ost- und Nordosteuropäer nur allzu sehr gewöhnt. Er könne auch keine neue Qualität daran finden, dass Putin Energielieferungen als politisches Druckmittel einsetzt. Litauen sei von Moskau schließlich schon 1990 die Energieversorgung abgekappt worden, um es einzuschüchtern, sagte Ilves. Seitdem hätten sich osteuropäische Staaten immer wieder der Moskauer Drohung mit der Energiekeule gegenübergesehen. Neu sei allenfalls, dass die Westeuropäer jetzt auf die Idee kommen, Russland könnte das eines Tages auch mit ihnen machen.

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Ilves sieht keinerlei rationalen Grund dafür, dass sich Russland von einem Radarsystem zur Raketenabwehr angegriffen fühlen könnte. Wenn man russische Raketen abwehren wollte, müsse man die Abwehrsysteme in Nordeuropa stationieren, nicht in Polen, Tschechien und Bulgarien, wie es die Nato plane. Für den estnischen Präsidenten sind Putins starke Worte reine Ablenkungsmanöver. Sie sollten nicht zuletzt die restaurativen Tendenzen verschleiern, die in Russland in der Ära Putins immer mehr Platz gegriffen hätten. Was ihn an der Entwicklung in Russland am stärksten beunruhige, sei „das völlige Fehlen einer Vergangenheitsbewältigung“ So lasse Putin offiziell die Jahrestage der Gründung der Tscheka feiern, der Vorläuferorganisation des Geheimdiensts KGB, die „einer der blutigsten Mörderorganisationen der Geschichte“ gewesen sei.

Wie sehr diese geschichtspolitischen Aspekte den ehemaligen Opfern sowjetischer Besatzung und Okkupation in Osteuropa zu schaffen machen, wird in Westeuropa viel zu wenig zu Kenntnis genommen. Dazu muss man sagen, dass der estnische Präsident ein Sozialdemokrat ist und keineswegs ein Nationalpopulist, wie es die polnischen Brüder Kaczynski sind. Sein tiefes Misstrauen gegen die russischen Absichten können nicht als Ausfluss eines paranoiden und demagogischen Weltbildes abgetan werden, wie es bei uns in Bezug auf die Haltung der polnischen Führung gegenüber Russland neuerdings immer öfter der Fall ist.

Die unterschiedlichen Reaktionen auf Putins Vorstoß zeigen, dass dessen Versuch, Europa und Amerika zu spalten, eher zu einer neuen innereuropäischen Entfremdung führen könnte als zu einem transatlantischen Zerwürfnis. Eine akute Bedrohung der baltischen Staaten durch Russland sieht freilich auch der estnische Präsident Ilves nicht. Ein neue Kalter Krieg, der dem in der Zeit des Kommunismus vergleichbar wäre, ist nicht in Sicht. Worauf wir uns jedoch einstellen müssen, ist ein zunehmend eisiger Friede mit Russland.

Richard Herzinger

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