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Das gedruckte Berlin-Gefühl

Nach dem Internet-Hype ist unter den Kreativen die Verlagsgründerzeit ausgebrochen - immer mehr Berlin-Magazine drängen auf den Markt

Prenzlauer Berg. Eine typische Altbauwohnung im Seitenflügel. Dritter Stock. Nicht unbedingt das, was man eine repräsentative Redaktionsadresse nennen würde.

Doch wer braucht schon eine Redaktion, um ein international beachtetes Magazin herauszugeben. Boris Moshkovits hat dies an seinem Schreibtisch auch (fast) im Alleingang geschafft.

"Berliner" heißt sein ambitioniertes Kulturmagazin. Vor wenigen Tagen ist bereits die vierte Ausgabe ausgeliefert worden. In einer Druckauflage von 30 000 Exemplaren. Immerhin ein gutes Drittel davon wird bereits im Ausland abgesetzt. In New York genauso wie in Paris, wo Moshkovits sein neues Heft an diesem Montag anlässlich der Modewoche präsentieren will.

"Das Heft ist kein Stadtmagazin mit Rezensionen oder Rubriken", sagt Moshkovits. "It's an attitude! Wir vermitteln eine Haltung. Das Lebensgefühl von Berlin." Und Moshkovits ist beileibe nicht der Einzige, der den immer noch latenten Berlin-Hype in Worte zu fassen versucht.

Nach dem Internet-Boom und dem Dotcom-Sterben Ende der 90er-Jahre scheint die Szene der Kreativen inzwischen eine neue Spielwiese entdeckt zu haben: das Zeitschriftenwesen. Während die etablierten Verlage noch immer über die wirtschaftliche Rezession jammern, ist in Mitte und Prenzlauer Berg eine regelrechte Verlags-Gründerzeit ausgebrochen. Ein halbes Dutzend neuer Berlin-Magazine kämpft um Leserschaft und eine Nische am Zeitschriftenmarkt. Sie heißen "Qvest", "Achtung", "Ex-Berliner" oder schlicht und ergreifend "Deutsch". Weitere Titel sind sogar "noch in der Pipeline". Darunter ein Magazin für Kunst und Leben mit dem Arbeitstitel "Monopol". Als Herausgeber fungiert Florian Illies, der seit seinem Buch "Generation Golf" so etwas wie das Sprachrohr der Berlin-Community ist. Auch Oliver Gehrs, der einst die Berlin-Seite der "Süddeutschen Zeitung" betreute, arbeitet an einem "Dummy" für ein neuartiges Reportage-Magazin. Nur hinter einem einzigen Projekt namens "Parzival" steht mit dem Schweizer Zeitungshaus Ringier ein Großverlag. Alle anderen Titel sind Start-ups. Wie im Falle von Boris Moshkovits gewissermaßen publizistische Ich-AGs. Sie folgen ihrem Gespür für neue Trends, wissen die brachliegenden Kapazitäten und die Eitelkeit der Szene zu nutzen und müssen keine Rücksicht nehmen auf die Bedenkenträger im Management. Das Prädikat hochprofessionell verdienen sie gleichwohl: Der "Berliner" etwa ist ein zweisprachiges, in Englisch und Deutsch verfasstes Hochglanzheft, das vierteljährlich erscheint und stolze 9,50 Euro am Kiosk kostet. "Wir suchen nicht die breite Masse, sondern haben eine ganz spitze Zielgruppe", erläutert Moshkovits sein Konzept. Kein Lifestyle-Magazin für den schnellen Verzehr. Eher ein Sammlerstück, für dessen Lektüre man sich gern Zeit nimmt. Zukunftsforscher und Kunstexperten aus aller Welt zählen zu den Autoren. Die Fotos und Illustrationen steuern international erfolgreiche Künstler bei. Und das zumeist sogar unentgeltlich. "Ich biete meinen Autoren und Fotografen ein außergewöhnliches, anspruchsvolles Umfeld für ihre Ideen - das reizt sie viel mehr als Geld." Sein Netzwerk hat Moshkovits in New York geknüpft, wo er drei Jahre für das "Flash Art-Magazine" als Kritiker und Manager gearbeitet hat.

Einen ganz anderen Ansatz hat der Pankower Jung-Verleger Andreas Bock mit seiner Zeitschrift "Voss" gewählt: "Ich habe bewusst nicht die Generation Mitte im Visier, sondern eher den Bildungsbürger im Alter von 30 aufwärts." Der 39-Jährige war zuletzt in München beim Telekom-Unternehmen Quam angestellt. Nachdem das Unternehmen nach nur eineinhalb Jahren abgewickelt wurde, steckte er jetzt als typischer Existenzgründer die Abfindung und seine Ersparnisse in den Aufbau des eigenen Verlags. Als große Vorbilder für sein ebenfalls vierteljährlich erscheinendes Heft dienten mit "Uhu" und "Querschnitt" zwei erfolgreiche Magazine des Ullstein-Verlags aus den 20er-Jahren. Der Name "Voss" wiederum ist eine Anspielung auf die einstmals renommierteste Tagesszeitung Berlins: Ullsteins "Vossische", die im Volksmund stets "Tante Voss" hieß.

Tatsächlich setzt Bock inhaltlich vor allem auf bodenständigen Journalismus und Berlin-Themen. Im neuesten Heft werden etwa der Mythos Tempelhof und der von Oberbürgermeister Ernst Reuter beschworen. Das erste Heft beschäftigte sich mit John F. Kennedy und bot den Lesern einen neuen Krimi von Horst Bosetzky.

"Ich bin mit einer Auflage von 10 000 Exemplaren gestartet, von denen gut 60 Prozent allein in West-Berlin verkauft wurden", sagt Bock. Vor allem die Resonanz der Buchhändler habe ihn ermutigt. Als Zwitterprodukt aus Buch und Zeitschrift liege die "Voss" oft prominent an der Kasse. Gleichwohl will Bock "kein reines Nischenprodukt" etablieren. "Das Spannende für mich ist die Marke. Das ist Ur-Berlin." Nach der Einführungsstrategie, bei dem sein Heft von der Presse bereits leichtfertig mit dem berühmten "New Yorker" verglichen wurde, sucht Bock nun Kooperationspartner für weitere "Voss"-Ableger und langfristig sogar ein TV-Format. "Wenn schon der Griff nach den Sternen, denn schon. Ich habe nicht vor, Hobbyverleger zu werden", sagt Bock.

Auch Ulrike Miebach, Chefredakteurin des Lifestyle-Magazins mit dem programmatischen Namen "Deutsch", will den großen Wurf landen. Ihr Anspruch ist es, "ein kosmopolitisches Magazin aus Berlin" zu machen, das mit internationalen Trend-Magazinen wie "Neon" konkurriert und selbst etablierten Modezeitschriften wie "Vogue" oder "Elle" Marktanteile abnehmen soll.

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"Das Selbstbewusstsein hat sich sehr verändert, gerade was das Deutschsein betrifft", betont Miebach. Statt der alten Tugenden wie Pünktlichkeit und Gründlichkeit sei Deutsch heute "ein Synonym für Weltoffenheit, Pluralismus und Toleranz". Ein Phänomen, das nach neuen Ausdrucksformen gesucht und dies nun in "Deutsch" gefunden habe, glaubt Miebach. Die Startauflage lag bereits bei 20 000. "Die waren alle sofort weg." Deshalb sollen vom neuen Heft nun gleich zwei Ausgaben vertrieben werden: 40 000 Hefte in Deutsch und 20 000 in Englisch. Herausgeber ist der Art Berlin Verlag, der in einer Galerie an der Torstraße 140 bereits ein halbes Dutzend fester Mitarbeiter beschäftigt. Ohne Startkapital geht das natürlich nicht. Miebach will jedoch nur so viel verraten: "Ja, wir haben einen Geldgeber."

Womöglich ist es ein reicher Kunstsammler. Vielleicht aber auch ein Popstar. Den glaubt jedenfalls Sandor Lubbe für sein geplantes "D-Mag" gefunden zu haben. Bryan Adams, der kanadische Softrocker, so heißt es, stehe als ein Finanzier hinter dem Projekt, das allerdings seit nunmehr zwei Jahren ergebnislos angekündigt ist. Gerade im Lifestyle- und Modebereich herrscht schließlich mit zwei weiteren Titeln der größte Wettbewerb. Zum einen durch "Qvest", das wegen seines innovativen Designs und der experimentellen Fotografie auf Anhieb vom Verein "Lead Academy für Mediendesign" zum Magazin des Jahres gekürt wurde. Zum anderen gibt es auch noch das Modemagazin "Achtung", dessen Launch angesichts der verschärften Konkurrenz fast untergegangen wäre. Ob es überhaupt noch mal erscheint, ist aber eher fraglich. "In diesem Jahr" wohl nicht mehr, ließ die Redaktion auf Anfrage durchblicken. Trotz aller Kreativität kommen nämlich auch die Newcomer um ein Problem nicht herum. "Irgendwann muss es sich rechnen", sagt Boris Moshkovits. "Die Selbstausbeutung hat Grenzen."

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