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Auf die richtige Oma kommt es an

Die Kindersterblichkeit der Enkel ist deutlich geringer, wenn die Großmutter ihrer eigenen Tochter zur Seite steht

Wohl dem, der eine Oma fürs Gröbste hat. Doch mit der Großmutter, die das junge Paar bei der Erziehung der Kinder unterstützt, erscheint zwangläufig auch die Schwiegermutter auf der Bühne. Und deren Einfluss auf die Enkel kann verheerend sein. Eckart Voland und Jan Beise von der Universität Gießen haben Bevölkerungsdaten aus dem 18. und 19. Jahrhundert analysiert, und danach ist eine Großmutter für die Enkel durchaus ein Segen, solange sie die Mutter der Mutter ist. Ist sie aber die Mutter des Vaters, dann haben die Enkel in ihrem ersten Lebensjahr außergewöhnlich schlechte Überlebenschancen („Spektrum der Wissenschaft", Januar 2003). Für diese überraschende Erkenntnis gibt es noch keine schlüssige Erklärung. Mögliche Gründe könnten tief verwurzelt in der Biologie des Menschen stecken.

Biologen rätseln seit langem, warum Frauen zwischen 40 und 50 in die Wechseljahre kommen und anschließend noch etliche Jahrzehnte vor sich haben, obwohl sie zur eigenen Fortpflanzung nichts mehr beitragen können. Männer hingegen haben eine deutlich kürzere Lebenserwartung, obwohl sie viel länger zeugungsfähig sind. In den vergangenen Jahren hat die Vorstellung immer mehr Anhänger gefunden, dass Großeltern im Allgemeinen und ganz speziell Großmütter die Kinderzahl ihrer Töchter beziehungsweise Schwiegertöchter durch aktive Hilfe erhöhen sollten. Dadurch vermehrt sich zwar nicht mehr die Anzahl der eigenen Kinder, aber das, was Wissenschaftler verallgemeinernd als Fortpflanzungserfolg bezeichnen, müsste sich deutlich verbessern. In den frühen Epochen der Menschwerdung sollte schon eine geringfügige Unterstützung der jungen Mutter durch Großmütter entscheidende Vorteile gehabt haben, so die Überlegungen. Und noch heute sollte eine derartige Hilfe nur von Vorteil sein. Doch so einfach liegen die Dinge nicht.

Voland und Beise haben die Geschichten von 23.000 Familien aus den Kirchenbüchern der ostfriesischen Region Krummhörn zusammengetragen. Eine erste Auswertung ergab jedoch keine Hinweise auf die Korrektheit der gängigen Theorie. Junge Familien mit Großmüttern hatten nicht mehr Kinder als solche, deren Großmütter bereits verstorben waren. Erst die weiter gehende Bearbeitung der Daten brachte ein Ergebnis - und eine große Überraschung. Nicht auf die Kinderzahl hatten die Großmütter einen Einfluss, sondern auf das Überleben der geborenen Kinder. Aufgeschlüsselt ergibt sich folgendes Bild: Bis zum Alter von fünf Jahren hatten jene Kinder die besten Überlebenschancen, deren Großmutter mütterlicherseits noch lebte; auf Platz zwei lagen die Kinder, die noch beide Großmütter hatten; danach folgten die Kinder ohne eine lebende Großmutter, und die schlechtesten Überlebenschancen hatten Kinder, wenn nur ihre Großmutter väterlicherseits noch am Leben war.

Ein ähnliches Ergebnis fand Cheryl Jamison von der Indiana University in Bloomington. Die Anthropologin nahm das Einwohnerverzeichnis eines japanisches Dorfes zwischen 1671 und 1871 unter die Lupe. Verglichen mit der durchschnittlichen Todesrate unter Kindern stieg die Sterbewahrscheinlichkeit männlicher Nachkommen bei Anwesenheit der Großmutter väterlicherseits um 62 Prozent. Sie sank dagegen um mehr als die Hälfte, wenn die Mutter der Mutter noch lebte. Bei weiblichen Enkelkindern zeigte sich dagegen weder ein positiver noch ein negativer Effekt der einen oder anderen Großmutter. Dieselbe Tendenz weist eine Untersuchung zweier in Indien lebender Bevölkerungsgruppen auf. Beide Gruppen leben unter vergleichbaren sozioökonomischen Verhältnissen. Mit einem entscheidenden Unterschied: Bei den Bengali zieht nach der Heirat die Frau in die Familie des Mannes ein; bei den Khasi zieht umgekehrt der Mann zur Familie seiner Frau. Und wieder bleiben bis zum Alter von sechs Jahren 86 Prozent der Kinder am Leben, wenn die junge Frau bei ihrer Schwiegermutter wohnt, während 96 Prozent ihrer Kinder überleben, wenn sie bei ihrer eigenen Mutter wohnt.

Warum haben Schwiegermütter aus unterschiedlichen Kulturkreisen und verschiedenen Zeitabschnitten in den statistischen Erhebungen eine so gleich bleibend verheerende Wirkung auf die Kinder ihrer Söhne? Zur Erklärung bemühen einige Forscher ein uraltes biologisches Problem: Es lässt sich sehr leicht feststellen, wer die Mutter eines Kindes ist; die Vaterschaft ist dagegen wesentlich weniger abgesichert. Für eine Großmutter bedeutet das: Sie weiß sehr wohl, dass ein Kind ihrer Tochter auch ihr eigener Nachkomme ist. Ein Kind ihrer Schwiegertochter aber muss nicht notwendigerweise auch das Kind ihres Sohnes sein. Warum also Arbeit und Mühe in ein Kind investieren, das möglicherweise völlig fremd ist? Dieser Konflikt gilt allgemein in der Biologie und könnte so alte Wurzeln haben, dass er den meisten Menschen gar nicht bewusst wird.

Es ist aber auch eine weitere Deutung möglich, die die Schwiegermütter deutlich entlastet. Für jedes Kind, sei es in Schwierigkeiten oder nicht, ist die Mutter im Normalfall der erste Ansprechpartner. Von daher ist es nur natürlich, wenn eine junge Mutter mit Problemen sich in erster Linie an ihre eigene Mutter und nicht an ihre Schwiegermutter wendet. Schwiegereltern, so ergab eine französische Untersuchung, würden oftmals gern mehr für ihre Enkel tun. Doch als Eltern des Vaters fühlen sie sich häufig weniger willkommen als die Eltern der Mutter. Der Keim für den latenten Konflikt, so scheint es, könnte in Eltern- und Großelterngenerationen gleichermaßen angelegt sein. Doch Schwiegereltern können sich damit trösten, dass das alles nur Statistik ist. Im Einzelfall sieht das Verhältnis oft viel friedlicher aus.

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