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DIE WELT

"Ich habe die Konsequenzen gezogen"

Gruner + Jahr-Chef Gerd Schulte-Hillen über den Krach beim "Stern" und die "Deutsche Financial Times"

Bis Donnerstag war Michael Maier Chefredakteur des "Stern" - dann wurde er nach halbjähriger Amtszeit entlassen. Über diese überraschende Personalie und über die Situation des Hamburger Verlages Gruner + Jahr sprach Ansgar Graw mit Gerd Schulte-Hillen, Vorstandsvorsitzender von Gruner + Jahr.

DIE WELT: Herr Schulte-Hillen, als Sie Michael Maier vor einem halben Jahr von der ebenfalls zu Ihrem Verlag gehörenden "Berliner Zeitung" holten, wurden Sie gewarnt: Maier sei kein Magazin-Macher und der "Stern" eine Nummer zu groß für ihn. Was hat der Österreicher tatsächlich falsch gemacht?

Gerd Schulte-Hillen: Wir haben beim "Stern" einen Generationswechsel angestrebt, und den Posten des Chefredakteurs besetzen wir natürlich gerne aus unserem Haus. Hinzu kommt, daß es auf dem Markt insgesamt nur wenige Journalistenpersönlichkeiten gibt, die für diesen Chefsessel in Frage kommen. Den "Stern" zu leiten, das läßt sich nicht vorher lernen, da springt jeder Kandidat ins kalte Wasser. Herr Maier hatte bei der "Berliner Zeitung" ein sehr gelungenes inhaltliches und optisches Relaunch geschafft, eine erstklassige Mannschaft rekrutiert, mit der er auch umzugehen verstand, und damit nicht nur in Deutschland, sondern auch international Anerkennung gefunden. Ich hatte ihm zugetraut, er werde sich auch in den "Stern" einarbeiten können. Es hat sich aber gezeigt, daß er mit der robusten Diskussionskultur, die es in der Redaktion gibt, nicht zurechtgekommen ist.

DIE WELT: War Maier zu liberal für den "Stern"?

Schulte-Hillen: "Liberal" ist nicht der richtige Ausdruck. Wenn 50 bis 60 Leute in der Konferenz gelegentlich die Fetzen fliegen lassen und sehr direkt argumentieren, durchaus auch mal mit Kraftausdrücken, dann darf man nicht empfindlich sein, sondern muß das souverän wegstecken können. Wer sich auf diesen Posten einläßt, der steht sehr bald nackt auf dem Tisch. Und dann sieht man, was er draufhat.

DIE WELT: Aus dem "Stern" ist außerdem zu hören, Maier habe es "journalistisch nicht gepackt", die falschen Titel plaziert, sprachlich schlechte Editorials geschrieben . . .

Schulte-Hillen:: Das ist nicht das einzig Wesentliche. Entscheidend ist auch, eine gute Mannschaft zusammenstellen und zur Zusammenarbeit motivieren zu können und Sensibilität für Themen zu haben. Wenn aber zwischen der Redaktion und dem Chef die Chemie nicht stimmt, dann muß man handeln. Und ich habe die Konsequenzen gezogen.

DIE WELT: Verschiedene Personalentscheidungen Maiers, zuletzt die Kündigung des Redakteurs Thomas Osterkorn, haben offensichtlich den letzten Ausschlag gegeben?

Schulte-Hillen:: Ja.

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DIE WELT: Nun hat Maier ja in Berlin gezeigt, daß er etwas kann. Sind alle Probleme ihm anzulasten - oder ist der "Stern", der ja schon vor Maier an Auflage verloren hat, inzwischen selbst ein Problem?

Schulte-Hillen: Der "Stern" hat Auflage verloren, aber auch unter Henri Nannen würden heute nicht mehr 1,8 Millionen Exemplare wie zu seinen Glanzzeiten verkauft werden können. Eine förmliche Explosion an Special-Interest-Magazinen und privaten TV-Kanälen ist hinzugekommen. Das reduziert den Absatz, ganz abgesehen von den Internet-Angeboten, der mobilen Telefonie und anderen neuen Freizeitangeboten. Bei einem Umsatz von rund 400 Millionen Mark bleibt der "Stern" einer unserer Trümpfe und eine der ganz starken Marken im Markt.

DIE WELT: Es gibt also keinen Anlaß für einen "Stern"-Relaunch?

Schulte-Hillen:: Der "Stern", der immer noch glänzend dasteht, während frühere Konkurrenten wie "Quick" längst eingegangen sind, muß natürlich im Laufe der Zeit ständig verändert werden. Es gibt Probleme, die wir aber lösen werden. Die grundsätzliche Linie des "Stern" als eine Art Wundertüte mit unterschiedlichsten Themen, von investigativem Journalismus bis zu bunten Stories, von Wissensvermittlung bis zur Unterhaltung bleibt erhalten, denn diese Linie ist immer faszinierend.

DIE WELT: Ist das Blatt denn tatsächlich noch so investigativ wie früher? Oder steht nicht mitunter Meinung zu sehr im Vordergrund?

Schulte-Hillen: Der "Stern" soll aggressiv sein, bissig sein - aber dies eben immer auf Grundlage von Fakten und Argumenten, nie auf der Grundlage von Ideologie. Wenn bestimmte Strömungen ein Übergewicht in der Redaktion haben sollten, wäre es die Aufgabe des Chefredakteurs, auf eine objektive Linie zu achten. Investigativer Journalismus ist eine Kernkompetenz des "Stern".

DIE WELT: Vom "Stern" zu Ihren Tageszeitungen. Ob "Berliner Zeitung" oder "Kurier", ob "Hamburger" oder "Dresdner Morgenpost", die Auflagen sinken. In dieser Situation darf man Ihnen zwar zu dem unternehmerischen Mut gratulieren, eine "Deutsche Financial Times" als Wirtschaftstageszeitung für dieses Jahr zu planen - aber hält hier die Vernunft Schritt mit dem Mut?

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Schulte-Hillen: Vorab: Daß es in Berlin Auflagenrückgänge geben würde, war nach der früheren Monopolstellung der "Berliner Zeitung" im Ostteil der Stadt klar. Und Boulevardzeitungen sind fast überall vom Auflagenrückgang erfaßt. Da ist viel Kreativität erforderlich. Beispielsweise kooperieren die "Hamburger Morgenpost", "Berliner Kurier" und der Kölner "Express" aus dem Verlag DuMont-Schauburg, um Synergieeffekte zu erzeugen. Aber nun zur "Deutschen Financial Times": Die Welt, Europa, unsere Märkte wachsen immer stärker zusammen. Das Interesse an Wirtschaftsthemen steigt im privaten und im geschäftlichen Bereich. Ich bin darum überzeugt, daß sich dieses Blatt trotz der Wirtschaftsteile der großen Zeitungen und neben dem "Handelsblatt" durchsetzen wird. Die Mitbewerber glauben das offensichtlich auch - darum sind dort im Moment hektische Bemühungen erkennbar, sowohl die Finanz- und Wirtschaftsberichterstattung auszubauen - bei Ihnen, bei der "Süddeutschen", bei der "Frankfurter Allgemeinen" - als auch Abos zu akquirieren, wie es die "FAZ" im Moment tut - was ich aus deren Perspektive gut verstehe.

DIE WELT: Wenn diese Einschätzung richtig ist, wäre die Entscheidung der FAZ, zum Ende des vergangenen Jahres den täglichen "Blick durch die Wirtschaft" einzustellen, falsch gewesen.

Schulte-Hillen: Ja, der Überzeugung bin ich. Ich hätte das an deren Stelle nicht aufgegeben, allerdings hätte ich es unterhaltsamer gemacht.

DIE WELT: Ihr britischer Partner Pearson Plc. und Ihr Verlag wollen rund 190 Millionen Mark in das Projekt stecken . . .

Schulte-Hillen: Das ist keine Zahl, die wir je genannt hätten, aber die Größenordnung dürfte ungefähr stimmen.

DIE WELT: Muß denn der Break Even erreicht sein, wenn dieses Geld verbraucht ist?

Schulte-Hillen: Eine Planung ist die lange Stange im Nebel, mit der die Zukunft ertastet werden soll. Je weiter Sie vorankommen, desto häufiger werden Sie Ihre Planung und Ihre Zahlen konkretisieren. Die Frage ist, welche Perspektive wir zu welchem Zeitpunkt sehen.

DIE WELT: Seit zwei Tagen ist das Geschäftsjahr 1998/99 abgeschlossen, für das Sie vorab ein Ergebnis unter dem des Jahres 1997/98 - dem besten in der Geschichte von Gruner + Jahr mit einem Jahresüberschuß von 779 Millionen Mark - prognostiziert hatten. Bleibt es dabei?

Schulte-Hillen: Wir werden wieder ein sehr gutes Ergebnis haben, das zweitbeste in unserer Geschichte. Die Differenz ist leicht erklärbar: Veränderte Papierpreise, unsere Offensive für "TV Today", das Projekt "Allo!" in Frankreich und andere Faktoren, die ich auf der Bilanzpressekonferenz vorstelle. Ohne diese speziellen Effekte lägen wir sogar noch über dem Ergebnis des Vorjahres.

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