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DIE WELT

Vom Krieg des leidenden mit dem lachenden Dichter

Schon "Baal", sein erstes Stück, brachte Brecht dem literarischen Scheiterhaufen der Nazis nahe

Die Sorge, nicht unter den verbrannten Dichtern zu sein, war Bertolt Brecht schnell los. Er gehörte zu den ersten Autoren, deren Bücher am 10. Mai 1933 "den Flammen übergeben" wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Brecht längst hinreichend für die Bücherverbrennung qualifiziert. Doch Brechts Texte wären vermutlich auch auf dem Scheiterhaufen gelandet, wenn seine Laufbahn als Schriftsteller weniger skandalträchtig verlaufen wäre. Denn schon mit seinem allerersten Stück "Baal" hatte sich der Zwanzigjährige einen wichtigen Mann zum Feind gemacht: Hanns Johst, seines Zeichens expressionistischer Schriftsteller, Parteimitglied der NSDAP ab 1932 und Reichsleiter der "Fachgruppe Schrifttum" in dem "Kampfbund für deutsche Kultur", von 1935 bis 1945 Präsident der Reichsschrifttumskammer und zuständig für die Säuberung des deutschen Schrifttums von allen "artfremden", "volksschädlichen" Schriftstellern.

Die literarische Feindschaft zwischen Johst und Brecht beginnt mit einem Stück von Johst und einem Gegenstück von Bertolt Brecht. Und sie ist von Anfang an ein Kampf um das Bild des deutschen Dichters, ein Stellvertretergefecht der literarischen Selbststilisierungen sowie ein theatralischer Schaukampf: Grabbe versus Baal.

1917 erschien die Buchausgabe von Johsts Stück über Christian Dietrich Grabbe. Titel: "Der Einsame - ein Menschenuntergang". Es wurde am 30. März 1918 in München erstaufgeführt und Mitte April in Augsburg gezeigt. In Brechts Freundeskreis löste die Aufführung eine lebhafte Diskussion aus. Und seine Biografen notieren diesen Zeitpunkt als Beginn von "Baal" - Brechts literarischer Antithese.

"Der Einsame" ist ein expressionistisches Stationendrama mit vielen Ausrufezeichen. Es beschreibt das verzweifelte Ringen des Dichters Grabbe um Anerkennung, dessen einsamen Kampf für sein Werk und gegen seine Feinde. Schauplätze dieses Kampfes um Unsterblichkeit sind überwiegend Schenken und Stammtische. Attackiert werden darin Heinrich Heine, die literarischen Semiten, die Formalisten von Adel und die Asphaltliteraten, die nicht zum "Wesen" der Dinge vordringen. Neben diesem Reflex des Wegbeißens von Autorenkonkurrenten unternimmt das Drama den Versuch, Grabbe als tragischen Helden zum großen deutschen Nationaldichter zu erheben.

Was für Grabbes nationalsozialistische Vereinnahmung sprach, war nicht etwa sein bekanntestes Stück "Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung", sondern seine bescheidene Herkunft: Grabbe war der Sohn eines Gefängniswärters und einer Putzfrau in Detmold und kam zeitlebens nicht aus der provinziellen Enge seiner Heimatstadt heraus. Dafür sprach das Künstlerschicksal des Zukurzgekommenen im scheinbar aussichtslosen Kampf gegen das privilegierte, saturierte "Bildungsbürgertum" und den Hochmut der "jüdischen" Intelligenz. Und dafür sprachen antisemitische Ausfälle in seinen Werken sowie der grandios gescheiterte Versuch, sich in überlebensgroßen Heldenstoffen zu verewigen wie "Napoleon".

Grabbe war die ideale Projektionsfläche für jeden sich verkannt fühlenden Künstler mit hochfliegenden Ambitionen und wenig Erfolg. Er war der Blankoscheck für literarischen Sozialneid, für einsame Verbitterung und zerquälte Aggression. Sein Lebens- und Leidensweg war das Martyrium aller verkannten Genies. Er erteilte ihnen den Generalpardon des Versagens und schürte die heimliche Flamme des Hasses, den Schwelbrand des selbstgerechten, rächenden, alles vernichtenden Zorns, der endlich Feuer werden will.

Grabbe ist in aller Anmaßung und Selbstgerechtigkeit der poeta dolorosus , der leidende Dichter und Dichter des Leids. Seinem Selbstverständnis nach ist er eine Erlöserfigur, ein Märtyrer seiner Kunst, der den Schmerz der Menschheit stellvertretend auf sich nimmt. Doch seine Botschaft ist nicht Versöhnung oder Liebe, sondern Lebensverachtung und übersteigerte Sehnsucht nach heroischer Größe.

Brechts "Baal" ist der parodistische Gegenentwurf dazu. Ein heidnischer Gott des Lebens und der Freude, ein Gott des Bauches, der den sinnlichen Genuss bejaht. Baal ist schon physisch eine völlige, füllige Gegenfigur zu Johsts fiebrigem Hungerkünstler.

Der Lebensweg von Baal ist kein Martyrium oder "Menschenuntergang", sondern die "ganz gewöhnliche Geschichte eines Mannes". Baal ist kein "Genie", sondern um ein nicht "besonders modernen Dichter", der "von der Natur nicht benachteiligt" also keinen Apostel der Zukurzgekommenen abgibt. Er ist weder besonders tragisch noch komisch und damit untauglich für expressionistische Extremzustände und tausendjähriges Pathos. Ganz materialistisch ist auch die "Tendenz" des Stückes: Man kann zu seiner Portion im Leben kommen, solange man dafür bezahlt. Und wenn man nicht bezahlt, bezahlt man halt auf andere Art. Für Schicksalsglauben und tragische Weltsicht ist in Baals geräumigem Bauch kein Platz.

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Baal ist die fleischgewordene Bauchlandung aller Johst'schen Höhenflüge. Er ist dem Leben zugewandt und bejaht, wo Johst verneint. Sein Bezugssystem ist nicht Religion und Heldentum, sondern Stoffwechsel und Ökonomie. Auch wenn Brecht seinem Gespür für die materialistische Triebfeder seiner Figuren erst später ein theoretisches Fundament und eine politische Orientierung gibt, so ist doch sein schalkhafter Blick für den Bauch und die Basis menschlichen Handelns im "Baal" schon Programm.

Spekulativ bleibt, ob das Skandalon des baalschen Bauches für Johst ein hinreichender Grund gewesen wäre, Brecht zu verbrennen. Es war eine himmelschreiende Beleidigung für den poeta dolorosus , so beim Unterleib gepackt und durch den Kakao des Lebens gezogen zu werden. Allein, Brechts immer stärkere politische Tendenz und sein durchschlagender, Rachegelüste schürender Erfolg machten es Johst und seinen Gesinnungsgenossen leicht, Brecht über die politische Klinge springen zu lassen.

Wer nun heute durch die Feuilletons blättert oder Autorenlesungen lauscht, wird feststellen, dass wir von dem lachenden Dichter immer noch weiter entfernt sind als vom leidenden. Der poeta dolorosus spukt weiter in den Köpfen. Der Schaukampf zwischen Baal und Grabbe ist noch nicht entschieden.

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