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Das Geheimnis der Hana Gaddafi

Die Tochter des libyschen Diktators soll 1986 beim Angriff amerikanischer Bomber umgekommen sein. Tatsächlich wurde ihr Tod offenbar nur vorgetäuscht. Eine Spurensuche

Die Nacht des 14. April 1986. 42 amerikanische Kampfjets starten von einer britischen Militärbasis und einem US-Flugzeugträger im Mittelmeer und fliegen Richtung Süden. Ihr Ziel: Libyen. Der Angriff auf das Reich von Oberst Muammar al-Gaddafi beginnt um 2.30 Uhr nachts und dauert insgesamt etwa 18 Minuten. Auf Befehl des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan werden eine Reihe militärischer und strategischer Ziele bombardiert. Die Militäroperation "El Dorado Canyon" ist Amerikas Vergeltung für das libysche Bombenattentat in der Berliner Diskothek "La Belle" am 5. April 1986, bei dem zwei US-Soldaten getötet wurden.

In der Bombennacht von Tripolis sterben nach libyschen Angaben mindestens 60 Menschen, viele von ihnen Soldaten. Aber es gibt auch zivile Opfer. Das wichtigste Ziel der Angriffswelle ist Bab al-Azizia, die südlich der Hauptstadt Tripolis gelegene, mehrere Quadratkilometer große Kommandozentrale und private Residenz des libyschen Machthabers. Insgesamt 36 lasergesteuerte Bomben treffen das Anwesen und zerstören weite Teile des Gebäudekomplexes.

Gaddafi war offenbar gewarnt worden und hatte sich und seine Familie rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Und doch soll es nach Regime-Angaben ein Opfer in der Familie gegeben haben. Wenige Tage nach dem Angriff verbreitet das libysche Informationsministerium: Die knapp einjährige Adoptivtochter des Revolutionsführers ist Opfer des Bombardements geworden. Über Rundfunk, Zeitungen und TV wird die Nachricht vom Tod der Gaddafi-Tochter verkündet.

Weder in Libyen noch im Ausland hatte man bis dato von einer Hana Gaddafi gehört. Aischa, die 1977 geborene Tochter des Diktators und seiner Ehefrau Safia, galt zu diesem Zeitpunkt als einzige Tochter Gaddafis. Sehr schnell kamen erste Zweifel an der Identität der Toten auf. Dennoch hält sich seit mehr als 25 Jahren hartnäckig der Mythos der von den USA getöteten Gaddafi-Adoptivtochter. Hatte der libysche Despot ein fremdes Mädchen zur eigenen Tochter erklärt, um dessen Tod für seine Propagandazwecke zu nutzen? Gab es Hana wirklich? Lebt sie vielleicht sogar noch?

Die "Welt am Sonntag" hat sich auf die Spuren der Hana Gaddafi gemacht. Mit überraschendem Ausgang. Die Recherchen haben ergeben, dass im Schatten der Gaddafi-Söhne und Tochter Aischa heute noch eine Hana Gaddafi existiert. Mehrere Quellen weisen eindeutig darauf hin. Doch wer ist die junge Frau, die vor zwei Jahrzehnten offiziell für tot erklärt wurde? Ist es tatsächlich das Mädchen, das gestorben sein soll?

Die US-Journalistin Barbara Slavin ist sich sicher, dass beim Bombenangriff auf Tripolis im April 1986 tatsächlich ein kleines Mädchen ums Leben kam. Die ehemalige Reporterin der Tageszeitung "USA Today" war eine von Dutzenden westlichen Journalisten die am Folgetag die zerbombte Anlage besichten durften. "Ich werde diesen Tag niemals vergessen", erinnert sich Slavin. "Ich war damals eine junge Journalistin und hatte noch nie in meinem Leben eine Leiche gesehen." Die vom libyschen Regime beauftragten Aufpasser führten den Journalisten-Tross durch die Ruinen der nachts zuvor zerstörten Gebäude. "Sie haben uns zu diesem Wohnkomplex gebracht, und wir sind die Treppen hinaufgegangen", erzählt Slavin, "aus den Trümmern schaute ein kleiner Fuß hervor, mit einem kleinen goldenen Kettchen um das Fußgelenk." Es handelte sich augenscheinlich um die Leiche eines kleinen Mädchens. "Tage später hörten wir, dass Gaddafi behauptete, seine Adoptivtochter sei bei dem Bombenangriff getötet worden", berichtet die US-Journalistin, "schon damals fand ich das merkwürdig. Es gab nie irgendwelche Hinweise darauf, dass dieses Mädchen tatsächlich Gaddafis Tochter war." Slavin vermutete damals, der Despot habe das Kind "post mortem" adoptiert, vielleicht um dessen Tod für seine Propagandazwecke ausnutzen zu können: "Man hatte uns sehr gezielt zu dem Gebäude geführt, in dem das kleine Mädchen getötet worden war."

Bis heute stilisiert die libysche Staatspropaganda die angeblich getötete Adoptivtochter Gaddafis zur Märtyrerin der Nation. Zu ihren Ehren ließ Muammar al-Gaddafi am 20. Jahrestag des US-Luftangriffs vor den Toren Tripolis' das "Hana Festival für Freiheit und Frieden" ausrichten. Rund um die von den US-Kampfjets zerstörte, nun von Scheinwerfern beleuchtete Residenz traten bei den nächtlichen Festivitäten zahlreiche ausländische Sänger und Entertainer auf. Darunter Soul-Legende Lionel Richie und José Carreras.

Doch im Februar dieses Jahres tauchte ein Dokument auf, das die Frage nach Hana Gaddafi neu aufwirft. Es ist der wohl eindeutigste Hinweis darauf, dass die Gaddafi-Tochter gar nicht tot, sondern weiterhin am Leben sein könnte - und er kommt aus der Schweiz. Ausgelöst durch den aktuellen Konflikt zwischen dem libyschen Regime und oppositionellen Rebellen hatte die Schweizer Regierung am 21. Februar angeordnet, die in der Schweiz deponierten Gelder des Gaddafi-Clans einzufrieren. In der schriftlichen Verordnung des Schweizer Bundesrates, die der "Welt am Sonntag" vorliegt, findet sich eine Auflistung von insgesamt 23 Mitgliedern der Gaddafi-Familie, deren Vermögen blockiert wurde. An siebter Stelle steht ein Name, der aufhorchen lässt: Hana Gaddafi. Warum die Schweizer Behörden die etwaigen Konten einer eigentlich seit 25 Jahren als tot geltenden Frau einfrieren lassen, bleibt allerdings Verschlusssache. In Bern gibt man sich wortkarg. "Was Hana Gaddafi betrifft, gibt es Gründe, warum dieser Name auf der Liste figuriert", erklärt das Schweizer Außenministerium auf Nachfrage. "Diese werden wir aber in der Öffentlichkeit nicht näher erörtern."

Was an dem Hinweis aus der Schweiz besonders überrascht, ist das präzise Geburtsdatum der Gaddafi-Tochter. Bislang gab es stets widersprüchliche Altersangaben zu Hana Gaddafi. Mal soll sie zum Todeszeitpunkt knapp ein Jahr alt gewesen sein, mal hieß es, sie sei 18 Monate alt gewesen. In der Schweiz kennt man augenscheinlich das genaue Geburtsdatum - 11. November 1985. Demnach war das Mädchen zum Zeitpunkt der amerikanischen Bombardierung sechs Monate alt. Heute müsste sie also eine junge Frau im Alter von 25 Jahren sein. Hinweise darauf, dass Gaddafi mehr als eine Tochter haben könnte, gab es bereits Ende der 1990er-Jahre - sie blieben aber unbeachtet. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete 1999 über einen bevorstehenden Staatsbesuch Gaddafis in Südafrika. Südafrikas damaliger Präsident Nelson Mandela erklärte, Oberst Gaddafi werde in den kommenden Tagen erwartet, ein Teil der Familie sei aber bereits eingetroffen." Mandela verkündete dies in Kapstadt nach dem Mittagessen mit Gaddafis Ehefrau, Safia Farkasch al-Barassi, und ihren Töchtern Aischa und Hana", heißt es in der Agenturmeldung vom 6. Juni 1999.

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Fotos von dem besagten Treffen Mandelas mit der Gaddafi-Familie zeigen neben Diktatoren-Gattin Safia und Tochter Aischa ein weiteres, bislang unbekanntes junges Mädchen mit schulterlangen, braunen Haaren, dunklen Augen und einem verschmitzten Lächeln - vermutlich Hana. Dass Gaddafis Tochter Hana womöglich gar nicht durch die amerikanischen Bomben im Frühjahr 1986 starb, ergaben Informationen, die die "Welt am Sonntag" in den vergangenen Monaten erhielt. Hana Gaddafi sei am Leben, behaupten Personen, die das Mädchen in den Jahren nach ihrem offiziellen Tod getroffen haben wollen. Im Jahr 2003 beispielsweise soll Hana Gaddafi als Teenagerin in London auf Shopping-Tour gewesen sein, später folgte ein längerer Aufenthalt in der britischen Hauptstadt. Der britische Geheimdienst MI5 habe sie in dieser Zeit stets observiert, heißt es. Fröhlich und offenherzig, so wird die Tochter des libyschen Despoten beschrieben. Ihr Englisch soll schon in Teenager-Jahren ziemlich gut gewesen sein. Auf Anfrage teilte das britische Außenministerium mit, über die Familienverhältnisse der Gaddafis gebe man keine Auskünfte. Der MI5 wollte die Existenz Hana Gaddafis weder dementieren noch bestätigten.

Die Informationen über das Leben der zweiten Gaddafi-Tochter sind spärlich und teilweise gespeist aus Hörensagen und Gerüchten. In Libyen gilt es als offenes Geheimnis, dass eine Hana Gaddafi in Tripolis Medizin studierte. Kommilitonen berichten, wie Anfang der 2000er-Jahre auf dem Campus der Medizinischen Fakultät der Universität von Tripolis plötzlich eine neue Studentin auftauchte. Die junge Frau soll umringt gewesen sein von Leibwächtern. "Als ich nachfragte, wer sie sei, sagte man mir, sie sei Hana Gaddafi, die Adoptivtochter von Gaddafi, die 1986 getötet worden sein soll", berichtet ein anonymer Internet-Kommentator, der angibt, zur gleichen Zeit in Tripolis Medizin studiert zu haben. Hana Gaddafi sei Ärztin geworden, behaupten Quellen aus Libyen, sie soll weiterhin in dem nordafrikanischen Land leben und eine wichtige Position im libyschen Gesundheitsministerium innehaben. Mehrere Krankenhäuser stünden unter ihrer Leitung, so die Gerüchte. Niemand könne innerhalb des Gesundheitsministeriums Karriere machen, ohne ihre Zustimmung.

Die Augenzeugenberichte werfen die Frage auf: Warum hält Gaddafi einerseits die Existenz seiner Tochter geheim, hat sie aber andererseits nicht besser verschleiert? In Diplomatenkreisen ist die Existenz Hana Gaddafis wohl schon seit einigen Jahren bekannt. Gaddafi wolle das Kind aus Angst vor Mordanschlägen schützen, ist eine Theorie. Zudem sei es der Habitus Gaddafis, Mitglieder seiner Familie erst dann zu Personen des öffentlichen Lebens zu machen, wenn sie politische Positionen übernehmen. So wird Tochter Aischa immer dann als eine Art "Mutter der Nation" in Szene gesetzt, wenn dem Regime ein weibliches Gesicht verliehen werden soll. Gaddafis Söhne präsentieren sich als loyal und unbeugsam an der Seite des Vaters stehend. Um Hana hingegen gibt es viele Theorien. Eine populäre These ist, dass Libyens Machthaber Jahre nach dem tatsächlichen Tod seiner Adoptivtochter ein weiteres fremdes Mädchen adoptierte und das Kind ebenfalls Hana taufte. Das zumindest glaubt der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND).

"Gaddafis Adoptivtochter Hana wurde bei den US-Luftangriffen auf Libyen am 15.April 1986 getötet", so der BND auf Anfrage der "Welt am Sonntag". Einige Jahre später habe der libysche Revolutionsführer jedoch ein weiteres Mädchen namens Hana adoptiert: "Gaddafi hat unseren Erkenntnissen zufolge eine leibliche Tochter - Aischa." Der Aufenthaltsort von Hana Gaddafi sei unbekannt.

Wer Hana Gaddafi in den letzten Jahren sah oder traf, hält die These der "zweiten Hana", wie sie der BND vertritt, für wenig glaubhaft. Hana sehe ihrem Vater dermaßen ähnlich, dass die direkte Blutsverwandtschaft kaum geleugnet werden könne. Außerdem stellt sich die Frage, warum Gaddafi die erneute Adoption eines Mädchens nie offiziell bekannt gab und das noch lebende Mädchen von der Öffentlichkeit abschottete. Die aktuellen Entwicklungen in Libyen sprechen dafür, dass Muammar al-Gaddafi weiterhin nicht davor zurückschreckt, den Tod eigener Familienmitglieder propagandistisch auszuschlachten. Sie werden gezielt zu Opfern westlicher Aggression erklärt, auch um die Sympathie in der Bevölkerung für das Regime anzufeuern. Anfang Mai meldete das libysche Informationsministerium, ein Luftangriff der Nato auf ein Haus in Tripolis am 30. April habe den jüngsten Gaddafi-Sohn Saif al-Arab, 29, und mehrere Enkelkinder des Diktators getötet.

"Das Resultat des Angriffs war der Märtyrertod von Bruder Saif al-Arab und dreier Enkelkinder des Führers", verkündete Gaddafis Pressesprecher Mussa Ibrahim vor versammelten Journalisten. Umringt von Tausenden regimetreuen Libyern wurde der Sarg von Saif al-Arab Tage nach dem Bombenangriff zu Grabe getragen. Das Regime ließ verlauten, ein unabhängiger französischer Arzt habe die Leiche Saif al-Arabs untersucht und dessen Identität bestätigt. Aus Sicht jener, die Gaddafis Tochter Hana fast zwei Jahrzehnte nach ihrem vermeintlichen Tod trafen, ist die Behauptung vom Tod Saif al-Arab al-Gaddafis nur eine weitere Farce. Sie vermuten, der libysche Staatschef habe erneut eines seiner Kinder für eine Propagandalüge benutzt. Italiens Premier Silvio Berlusconi hegte große Zweifel am Tod von Gaddafis Angehörigen. Dem TV-Sender RAI sagte Berlusconi wenige Tage nach dem angeblich tödlichen Bombenangriff auf Saif al-Arab, er sei von dessen Tod nicht überzeugt. Aus Geheimdienstinformationen gehe hervor, dass sich der Diktatorensohn zum Zeitpunkt des Angriffs nicht in Libyen befunden, sondern sich in einem anderen Land aufgehalten habe. "Sogar der Fall der drei Enkelkinder scheint haltlos!", so Berlusconi. Die Frage ist dann nur, unter welcher Identität sie weiterleben.

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