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Berlin & Brandenburg Erinnerung an Kindertransporte

Senatsverwaltung findet Denkmal nicht gut genug

Skulptur Frank Meisler Simulation Skulptur Frank Meisler Simulation
Quelle: Verein Kindertransporte
Der Künstler Frank Meisler hat bereits zwei Mahnmale zur Erinnerung an die Kinder geschaffen, die 1939 nach England geschickt wurden, um sie vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Eines steht in London, eines in Wien, das dritte soll nach Berlin. Doch die Senatsverwaltung für Kultur will das Werk nicht. Es sei didaktisch "nicht ausreichend".

Vor dem Südeingang des Bahnhofs Friedrichstraße steht ein grauhaariger Mann in der Mittagssonne. Um ihn herum pulsiert das Großstadtleben. Er blättert in einem Buch mit Fotos in Schwarz-Weiß. Eines dieser Bilder zeigt ihn – den heute 81-jährigen Heinz Kallmann – als Jungen. Mit einer Gruppe jüdischer Kinder wartet er auf den Transport nach England.

Obwohl diese Fahrt in den Tagen des Jahres 1939 Rettung bedeutet, sind die rund hundert Kinder zutiefst verstört. Die jüngsten dieser Flüchtlinge sind an diesem Tag gerade ein paar Monate alt, die ältesten 16 Jahre. Eines haben alle gemeinsam: Sie sind in Deutschland nicht erwünscht. Sie fliehen nach der Pogromnacht in das einzige Land, das sie aufnimmt, während andere Staaten der Welt die Grenzen für Kinder ohne Eltern schließen. Insgesamt waren es rund 10.000 Jungen und Mädchen, die auf diesem Weg den KZ-Vernichtungslagern in Auschwitz, Sachsenhausen oder anderswo entkommen konnten.


Zum Gedenken an den Beginn der Kindertransporte möchten Überlebende und jüdische Gesellschaften – so auch das Internationale Auschwitzkomitee – am Bahnhof Friedrichstraße ein Mahnmal errichten. Am Ort, von dem am 1. Dezember 1938 der erste Kindertransport startete. „Das sind wir allen Opfern schuldig“, sagt Heinz Kallmann.


Doch während der zuständige Bezirk Mitte gegen die Aufstellung des Mahnmals des israelischen Künstlers Frank Meisler (selbst ein Kind der Transporte) nichts einzuwenden hat, „blockiert“ nach Ansicht der Holocaust-Opfer die Berliner Senatsverwaltung für Kultur das Vorhaben. Die in der Skulptur dargestellte Kindergruppe sei „ein Motiv einer unbefangenen Klassenfahrt“ und „überhaupt sei die mit der Skulptur verbundene Didaktik nicht ausreichend“, heißt es in einer Stellungnahme des „Büros für Kunst im öffentlichen Raum“. Dieses Gremium arbeitet der Kulturverwaltung bei entsprechenden Vorhaben zu. Torsten Wöhlert, der Sprecher des zuständigen Staatssekretärs André Schmitz, wiegelt gegenüber Morgenpost Online ab: „Aktuell läuft da nichts. Mitte Juni wird der zuständige Beratungsausschuss tagen.“ Mehr sei dazu derzeit nicht zu sagen.

Prinz Charles ist Schirmherr des Londoner Pendants

Eine Bronze-Skulptur des Künstlers Frank Meisler als Erinnerung an die Kindertransporte steht bereits mitten in London. Am U-Bahnhof Liverpool Street Station wurde das Mahnmal im September 2006 enthüllt – vom Schirmherrn Prinz Charles. Es zeigt fünf Kinder hinter einem Bahngleis. Nach Vorstellung des Künstlers soll das die Rettung vor der Vernichtung bedeuten. „Die Bahngleise als Endpunkt“, so Frank Meisler. Für den Bahnhof Friedrichstraße hat er die Gleise vor der Kindergruppe geplant – sie sollen symbolisch den Beginn bedeuten. Die Kinderfiguren sind lebensgroß gehalten. Ein weiteres Mahnmal des Künstlers wurde am 14. März dieses Jahres am Westbahnhof in Wien aufgestellt. Es zeigt einen Jungen auf dem Koffer sitzend.

Initiatorin für das Berliner Mahnmal ist die ehemalige Lehrerin Lisa Schäfer. Sie kämpft stellvertretend für alle damaligen Flüchtlinge dafür. „Bis auf die Kulturverwaltung des Senats gibt es nur positive Reaktionen“, sagt sie. Auch die neue Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind, gehört zu den Unterstützern. Lisa Schäfer: „Die Liste ist lang und daher ist es um so unverständlicher, dass das Vorhaben blockiert wird.“ So haben bereits Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und die stellvertretende Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Karin Seidel-Kalmutzki (SPD), Unterstützung zugesagt.


Für Heinz Kallmann ist die Blockade „schlimm“: „Für jeden muss die Zeit von damals in Erinnerung bleiben. Ein Vergessen darf es nicht geben.“ Er selbst hat in den vergangenen Jahren seine Erlebnisse immer wieder in Schulen und Kirchengemeinden, vor Polizeischülern in Ruhleben oder auch vor Lehrlingen vorgetragen. Als Zeitzeuge konnte er so jungen Menschen deutsche Geschichte der Nazizeit vermitteln. Als Anerkennung seines Einsatzes bei der Aufarbeitung der Vergangenheit wurde ihm im Jahr 2000 vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Weil der Vater in London war, durfte der Sohn nachreisen

Wer dem 81-Jährigen zuhört, bekommt eine Vorstellung davon, wie es in Deutschland für Juden in den Jahren nach 1933 zuging. Nach seiner Geburt im Jahr 1926 in Breslau und einer Zwischenstation in Königsberg, zog Heinz Kallmann als Siebenjähriger mit seinen Eltern nach Berlin. Der Vater Walter war Schuhwarenvertreter, die Mutter Käte eine Sängerin. Die jüdische Familie zog an die Barbarossastraße nach Schöneberg und Heinz wurde in die damalige Prinzregentenstraße zur Schule geschickt. „Schon bald merkte ich, dass sich das Leben für uns Juden veränderte“, erinnert er sich. Alle, die in die Synagoge an der Barbarossastraße gingen, wurden zu Außenseitern. 1938 wurde sein Vater verhaftet und nach Sachsenhausen deportiert. „Damals war es noch möglich, dass Juden wieder rauskamen. Aber nur dann, wenn sie binnen zwei Tagen aus Deutschland verschwanden.“ Der Vater von Heinz Kallmann gehörte dazu und flüchtete nach London; wenig später gelang seiner Mutter die Flucht nach Chile.

Der Weg des Vaters wurde zum Glücksfall für den inzwischen Zwölfjährigen. Mit Hilfe der Großmutter, die die nötigen Kontakte knüpfte, kam Heinz Kallmann auf die Liste der Kinder, die nach England transportiert wurden: „Weil mein Vater schon in London war.“

An der Friedrichstraße begann die Reise

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So kam es dann, dass Heinz mit einem kleinen Köfferchen zusammen mit rund hundert anderen Kindern am Bahnhof Friedrichstraße stand. Von Holland setzte die Gruppe der jüdischen Jungen und Mädchen nach Dover über. „Von dort ging es in ein Heim nach Ipswich, später auf einen Bauernhof nach Claydon, einem kleinen Dorf in der Nähe“, erinnert sich der Berliner. Während andere Kinder in englischen Familien unterkamen, blieb Heinz mit zehn anderen Jungen in Claydon.


Doch bald ging es für den jüdischen Jungen aus Berlin nach Oxford. In einem Heim, das von der Glaubensgemeinschaft der Quäker unterhalten wurde, blieb er bis zu seinem 16. Lebensjahr. „Der Pfarrer hatte die Erziehung für sieben Kinder aus Deutschland übernommen. Mich wollte keine Familie haben“, sagt er. Und kann in der Rückschau darüber schmunzeln. „Aber wir hatten es in England gut. Während in der Schule die Klassenkameraden immer wieder mit einem Stock Schläge auf die Hand bekamen, hielten sich die strengen Lehrer bei uns jüdischen Kindern zurück.“

Während dieser Jahre hatte Heinz Kallmann nur wenig Kontakt zu seinem Vater, der später nach Kanada auswanderte. „Er konnte mich nach meiner Ankunft nicht zu sich nach London holen, da er nur eine kleine Einzimmerwohnung hatte, die mit Stroh vollgestopft war.“ Mit diesem Stroh füllte Vater Kallmann kleine Puppen – damit verdiente er sich seinen Lebensunterhalt. „Irgendwie wurden wir uns in dieser Zeit fremd“, bedauert das ehemalige Transportkind.

Nun muss Walter Momper entscheiden

Während der Zweite Weltkrieg noch voll im Gange war und Nachrichten über Juden-Vernichtungen bekannt wurden, begann Heinz Kallmann 1942 mit einer Lehre als Einzelhandelskaufmann. Rasch konnte er sich bei der Handelskette „Smart Westen“ eines jüdischen Unternehmers hocharbeiten.

„Immer wieder musste ich in dieser Zeit an meine Mutter denken. Was war aus ihr geworden?“ Doch erst im Jahr 1952 meldete sie sich bei ihm in London. Über das Rote Kreuz hatte Käte Kallmann ihren Heinz wiedergefunden. Sie war inzwischen nach Berlin zurückgekehrt und hatte einen deutschen Anwalt geheiratet, der als Jude ebenfalls nach Chile geflohen war.

Bei einem Besuch in Berlin lernte Heinz Kallmann dann seine heutige Frau Käthe kennen. „Sie arbeitete in dem Büro des Anwalts“, erzählt er. 1969 wurde in London geheiratet. „Eigentlich wollte ich nie nach Deutschland zurück.“ Doch es kam anders. Als seine Mutter schwer erkrankte, siedelte Kallmann 1976 mit seiner Frau doch nach Berlin um. „Seitdem sind wir hier und engagieren uns, damit die Geschichte nicht vergessen wird.“

Und dazu gehört für Heinz Kallmann das Mahnmal der Kindertransporte an der Ecke Friedrich- und Georgenstraße. Ein weiteres Anliegen ist für ihn die Ausstellung „Der gelbe Stern“, die ständig in Räumen des Abgeordnetenhauses gezeigt werden soll. „Noch steht die Entscheidung des Präsidenten Walter Momper aus“, sagt Heinz Kallmann und hofft auf eine positive Lösung. Der britischen Regierung ist der 81-Jährige dankbar. „Ohne den Kindertransport hätte ich bestimmt nicht überlebt.“ Nun setzt er auf das Engagement von Lisa Schaefer, selbst keine Jüdin. „Ihr Einsatz wider das Vergessen ist beispielgebend. Gerade, wo immer mehr rechte Gruppen die jungen Leute beeinflussen wollen, sind Symbole wie das Mahnmal wichtig.“

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