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Von der Schulbank in den Untergrund – das waren die jüngsten RAF-Terroristen

Die meisten illegalen Linksextremisten waren im Studentenalter, als sie in den Untergrund gingen. Doch es gab auch noch Jüngere. Das zeigen die Fälle Irene Goergens und Ilse Stachowiak, die beide zur ersten RAF-Generation gehörten sowie – Burkhard Garweg.
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Irene Goergens, Ilse Stachowiak und Burkhard Garweg auf Fahndungsfotos (v.l.)
Quelle: Polizei Berlin / BKA (2)

Der Staat hatte sich mit der Angeklagten alle Mühe gegeben. Schon mit gerade 14 Jahren „trieb sie sich herum“ und wurde deshalb „mit Einwilligung ihrer Mutter“ in ein Erziehungsheim eingewiesen. Doch es nutzte nichts: Ein Jahr später war sie in eine Schlägerei verwickelt, riss aus und wurde 600 Kilometer entfernt von daheim von der Polizei festgenommen.

Auch das änderte nichts: Mit 16 Jahren fälschte sie sich einen Personalausweis, wovon die Behörden nichts mitbekamen. Dort wähnte man das Mädchen auf einem guten Weg, bewohnte sie doch inzwischen, obwohl mit 18 Jahren noch nicht volljährig, eine eigene kleine Wohnung, bezahlt aus „Fürsorgemitteln“, also vom Steuerzahler. „An der Lebensführung der Minderjährigen“, so hieß es im letzten Bericht des zuständigen Amtes, sei „nichts zu beanstanden“.

Bis zum 14. Mai 1970, auf den Tag genau vier Wochen nach dem Rapport. Da nämlich gehörte Irene Goergens zu den fünf Frauen (und einem Mann für die „Drecksarbeit“), die den Strafgefangenen Andreas Baader bei einer Ausführung aus dem Gefängnis Plötzensee nach Dahlem im Südwesten West-Berlins gewaltsam befreiten; dabei erlitt ein Unbeteiligter eine lebensgefährliche Schussverletzung. Es war die Geburtsstunde der linksextremistischen Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) – und das erste schwere Verbrechen der zu dieser Zeit gerade seit zwei Wochen 19 Jahre jungen Schülerin.

Sie war die jüngste Mittäterin der Gefangenenbefreiung; die vier anderen Frauen waren 23 bis 35 Jahre alt, der männliche Mittäter 31 Jahre. Anfang Oktober 1970 wurde Goergens in Berlin festgenommen und im Mai 1971 wegen Gefangenenbefreiung sowie versuchten Mordes zu milden vier Jahren Jugendstrafe verurteilt. Später kamen wegen mehrerer Banküberfälle und weiterer Delikte noch drei Jahre hinzu.

Auch wenn die meisten der im Laufe der Zeit mindestens 113 aktiven RAF-Terroristen zum Zeitpunkt ihres Abtauchens in den Untergrund junge Erwachsene waren, gab es auch einige, die noch nicht oder gerade die Volljährigkeit erreicht hatten. Die drei jüngsten, die soweit bekannt zum „harten Kern“ der Gruppe gehörten, waren neben Irene Goergens die noch drei Jahre jüngere Ilse Stachowiak, die ebenfalls zur „ersten Generation“ zählte, also zum ursprünglichen Kreis der RAF um die Anführer Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, sowie der seit 1989/90 untergetauchte Burkhard Garweg.

Stachowiak, geboren Mitte Mai 1954, gehörte nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes spätestens seit Dezember 1970, also mit etwas mehr als 16 Jahren, zum inneren Kern der Gruppe. Sie stammte aus zerrütteten Verhältnissen: Ihr Vater war kurz nach ihrer Geburt gestorben, ihr Stiefvater Alkoholiker und gewalttätig. Noch keine 15 Jahre alt, hatte sie im Februar 1969 zum ersten Mal das Weite gesucht – der Beginn eines steilen Abstiegs in die Kriminalität.

Mehrfach hatte man sie noch 1969/70 aufgegriffen und zurück zu ihrer Mutter oder in betreute Wohngemeinschaften für schwer erziehbare Jugendliche gebracht. Mehrfach kehrte sie auch an (freilich verschiedene) Schulen zurück – und begann sogar nach ihrem Kontakt mit Baader, Ensslin und Meinhof zum 1. Februar 1971 eine Ausbildung als Kfz-Mechanikerin. Schon zwei Monate später wurde sie unter dem (zutreffenden) Verdacht festgenommen, in Kontakt mit der RAF zu stehen. Dennoch kam sie schon im Juli 1971 wieder frei – und tauchte nun ab. Ihr Deckname in der Terrorgruppe: „Teeny“.

In der letzten Mai-Woche 1972 wurde Stachowiaks Foto erstmals auf ein Fahndungsplakat gedruckt – da war sie gerade einmal eine Woche 18 Jahre alt, also noch nicht einmal volljährig (die Senkung von bisher 21 auf 18 Jahre wurde erst zum 1. Januar 1975 wirksam). Mit Sicherheit war sie an der Seite von Ulrike Meinhof zu dieser Zeit Teil der Hamburger Zelle der RAF, die unter anderem den Bombenanschlag gegen den Axel Springer Verlag (in dem damals und heute WELT erscheint) verübte. Doch eine Verbindung zu diesem Attentat mit Dutzenden teilweise schwer Verletzten wurde nur vage über einen Kronzeugen hergestellt, nicht aber durch materielle Beweise.

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Der erfolgreichen Fahndung im Sommer 1972 entkam sie und blieb in der Illegalität; jedoch wurde sie Anfang Februar 1974 in einer konspirativen Wohnung in Hamburg festgenommen, in der sich ein echtes Waffenlager fand sowie konkrete Pläne für die gewaltsame Befreiung von Baader. Trotzdem urteilte das Landgericht äußerst milde über Ilse Stachowiak: Sie erhielt gerade einmal vier Jahre Jugendhaft.

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Noch nie verurteilt wurde Burkhard Garweg. Geboren am 1. September 1968 in Bonn, wuchs er in Hamburg auf und verließ 1987 das Gymnasium ohne Abschluss. Soweit bekannt, tauchte er dann in der linksradikalen Szene der Hausbesetzer in der Hamburger Hafenstraße ab. Wann er zur dritten Generation der RAF um die Wiesbadener Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld sowie Daniela Klette stieß, ist bisher nicht genau bekannt; jedenfalls verlor sich zur Jahreswende 1989/90 jede Spur von ihm.

Das aktuelle Foto zeigt nach Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Burkhard Garweg. Mit einer Reihe aktueller Fotos wenden sich die Ermittlungsbehörden an die Bevölkerung, die Staatsanwaltschaft Verden und das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen bitten um Hinweise. Die Ermittlungsbehörden fahnden weiterhin öffentlich nach den beiden noch flüchtigen mutmaßlichen Räubern Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg. Aufgenommen wurden die Bilder in den Jahren von 2021 bis 2024. +++ dpa-Bildfunk +++
Das Foto, das bei der festgenommenen RAF-Terroristin Daniela Klette sichergestellt wurde, soll Burkhard Garweg zeigen
Quelle: picture alliance/dpa/Landeskriminalamt Niedersachsen

Gesichert ist, dass Garweg Ende März 1993 am Bombenanschlag auf die fertig gestellte, aber noch nicht genutzte Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in Hessen beteiligt war. Ferner wurde seine DNA bei mehreren Raubüberfällen auf Supermärkte oder Geldtransporter gefunden; Fotos, die mutmaßlich ihn zeigen, entstanden beim Kauf von dabei verwendeten Tatfahrzeugen.

Bei der Durchsuchung der Wohnung von Daniela Klette Ende Februar 2024 stellte die Polizei ganz aktuelle Aufnahmen von Garweg mit seinen Hunden sicher, mit denen nun gefahndet wurde. Keine 18 Stunden nach der Veröffentlichung gab es einen Zugriff in Berlin-Friedrichshain und zwei Festnahmen.

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Irene Goergens und Ilse Stachowaik übrigens nutzten die Chance, die sich ihnen durch die milden Urteile eröffnete. Soweit bekannt, beteiligten sie sich nach ihrer Entlassung 1977 und 1978 nicht mehr an RAF-Straftaten. Damit war nicht unbedingt zu rechnen – Stachowiak hatte noch als Zeugin im Stammheim-Prozess am 28. Juli 1976 nach Kräften gestört und den Vorsitzenden Richter Theodor Prinzing als „Arschloch“ beschimpft.

Wann Burkhard Garweg verhaftet und wie er sich in einem folgenden Prozess verhalten wird, scheint derzeit völlig offen. Jugendstrafrecht jedoch gilt für ihn keinesfalls mehr. So milde wie bei Goergens und Stachowiak dürfte seine Strafe daher nicht ausfallen.

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