Der ehemalige Ressortleiter des Geschichtenfälschers Claas Relotius soll nicht mehr in der „Spiegel“-Redaktion arbeiten. Nach WELT-Informationen haben Vertreter des Nachrichtenmagazins am Montag mit Matthias Geyer, der das Gesellschaftsressort viele Jahre leitete, verhandelt. Einen Tag vor einem Termin am Hamburger Arbeitsgericht, der am späten Montagnachmittag abgesagt wurde.
Zuvor hatte der „Spiegel“ dem Journalisten Geyer gekündigt. Angeblich ohne Angabe von Gründen. Gegen diese Kündigung setzte sich Geyer zur Wehr. Bevor nun bei einer öffentlichen Verhandlung schmutzige Wäsche gewaschen werden konnte, kam es zu einer außergerichtlichen Einigung. Die Kündigung ist damit zurückgenommen.
Beim „Spiegel“ heißt es auf Nachfrage, man werde sich „nicht zu vertraulichen Personalfragen öffentlich äußern“. Möglicherweise hat man eine elegantere Lösung als eine harte Kündigung gefunden – so wäre es denkbar, dass der Journalist zwar weiter bei dem Nachrichtenmagazin angestellt ist, aber nicht mehr in der Redaktion arbeitet.
Zuvor waren der für Relotius zuständige Dokumentar wie auch der Chef der „Spiegel“-Dokumentation in den Vorruhestand gegangen, jeweils „auf eigenen Wunsch“.
Der im Mai veröffentlichte Abschlussbericht einer Kommission hatte Geyer in ein denkbar schlechtes Licht gesetzt. Rund 60 Geschichten veröffentlichte der Starreporter Relotius über mehrere Jahre hinweg, und die meisten davon waren teilweise manipuliert oder schlichtweg erfunden.
Einer der Gründe, warum Relotius’ Fälschungen ins Blatt kamen, war nach dem Befund der Kommission das Verhalten seiner Vorgesetzten. Sie förderten den Journalisten, der für viele seiner Geschichten mit Preisen ausgezeichnet wurde, nach Kräften – und schützten Relotius darum auch noch, als es erste Verdachtsmomente gegen diesen gab.
Konkret wurde der „Spiegel“-Reporter Juan Moreno, der Relotius auf die Schliche kam, ausgebremst. Im Bericht der Kommission ist zu lesen: „Die Reaktionen auf den Whistleblower Moreno sowie das Handling des Falles in den ersten Tag und Wochen waren langsam und mangelhaft, geprägt von Vertrauen gegenüber Relotius und Misstrauen gegenüber Moreno.“
Ohnehin galt das Gesellschaftsressort in der Redaktion als autonome Festung von Edelfedern, die sich mehr oder weniger nach Belieben Themen an den Fachredakteuren vorbei schnappen konnten. Wo auf der einen Seite Neid keimte, herrschte auf der anderen Seite, also beim Gesellschaftsressort, Hochmut bis hin zur Arroganz.
Der Relotius-Bericht zitierte beispielsweise aus einer Mail von Geyer an Relotius, in dem dieser seinem Reporter konkrete Regieanweisungen gab, wie er seine Geschichte aufzubauen habe und welche Protagonisten es dazu brauche. Was sich wie eine Einladung zur Manipulation liest und aus journalistischer Sicht ein höchst fragwürdiges Vorgehen ist.
Schon vor Veröffentlichung des Berichts wurde Geyer eine bereits vereinbarte Beförderung verwehrt, er hatte eigentlich Blattmacher unter dem neuen Chefredakteur Steffen Klusmann werden sollen. Stattdessen wurde er zum Redakteur „für besondere Aufgaben“ ernannt.
Gleichfalls wurde Ullrich Fichtner, der designierte Chefredakteur, mit Sonderaufgaben betreut. Fichtner hatte als Geyers Vorgänger ebenfalls seinen Anteil am Werdegang des Claas Relotius und im Zuge der internen Aufklärung den nötigen Esprit vermissen lassen.
Dass sowohl Geyer als auch Fichtner trotz des für sie desaströsen Abschlussberichts bleiben durften, weckte bei einem Teil der Redaktion erheblichen Missmut. Während es die Chefredaktion mit der Herabstufung der beiden Journalisten offenbar zunächst bewenden lassen wollte, waren die Kritiker der Ansicht, dass das Verhalten von Geyer und Fichtner ein Verbleiben bei dem Nachrichtenmagazin nicht zulasse.
Denn sie deckten den Täter zwar nicht, wussten nichts von dessen Machenschaften, verhinderten aber eine schnellere Aufdeckung der Fälschungen, vermutlich auch, weil sie seine preisgekrönten Geschichten für unwiderstehlich hielten.
Im Vorfeld der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht hatte der Rechtsanwalt Geyers gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt, sein Mandant „möchte ungern ein politisches Opfer sein“. Eine einvernehmliche Lösung sehe er darum nicht.
Nun kommt es doch anders. Und diejenigen beim „Spiegel“, für die der Fall Relotius mit der Veröffentlichung des Abschlussberichts noch lange nicht erledigt war, werden zumindest ein wenig Genugtuung verspüren.