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Wie groß war Friedrich der Große?

Leitender Redakteur Geschichte
Mit Blick auf den 300. Geburtstag des Preußenkönigs diskutieren Historiker über den historischen Rang des Herrschers

Größe ist ein flüchtiges Gut. Mehr als 150 Herrschern sind Attribute wie "Magnus" oder "the Great" verliehen worden - vielfach offenkundig voreilig, denn den meisten kam diese Auszeichnung schon bald wieder abhanden. Nur wenige Monarchen sind allgemein anerkannte Träger des Titels "der Große". Unangefochten zählt zu der Handvoll solcherart ausgezeichneter Monarchen neben dem Makedonenkönig Alexander, dem fränkischen Kaiser Karl sowie den Zaren Peter und Katharina als einziger Herrscher aus Europas Mitte stets Friedrich II. von Preußen.

An diesem Wochenende spüren gleich zwei hochkarätige Tagungen der Frage nach, was denn diesen Herrscher zum wirklich "Großen" macht. In Potsdam treffen sich auf Initiative der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) europäische Experten, um über "historische Größe" zu diskutieren, während die Gerda-Henkel- und die Fritz-Thyssen-Stiftung über 40 Historiker aus sieben Ländern in das deutsch-italienische Kulturzentrum Villa Vigoni am Comer See in Norditalien eingeladen haben, um die Rolle des aufgeklärten Königs im Europa seiner Zeit zu beraten.

Wie bei kaum einer anderen historischen Figur wirkt im Bild Friedrichs noch die historistische Deutung fort. Leopold von Ranke hatte ihm 1878 ein "Heldenleben" attestiert, wie es "im 18. Jahrhundert möglich war, von großen Gedanken durchzogen, voll von Waffenstreit, Anstrengungen und schicksalsvollem Wechsel der Ereignisse, unsterblich durch das, was es erreichte, die Erhebung des preußischen Staates zu einer Macht, unschätzbar durch das, was es begründete für die deutsche Nation und die Welt".

Tatsächlich gilt Friedrich der Große heute in weiten Kreisen der Gesellschaft als Personifikation "des Preußischen" schlechthin. Das ist erstaunlich, denn manch klassisch "preußische Tugend" gehörte gerade nicht zu seinen Stärken. Sparsam zum Beispiel war er keineswegs: Friedrich ließ die teuersten Repräsentationsbauten aller preußischen Könige errichten. Treue zeichnete ihn ebenfalls nicht aus, jedenfalls nicht gegenüber der eigenen Frau: Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung verstieß er Elisabeth Christine und ließ sie fortan ihr Leben im goldenen Käfig meist des Schlosses Schönhausen bei Berlin fristen. Nicht einmal Aufrichtigkeit gehörte zu den Stärken des Preußenkönigs: Der Überraschungsangriff auf Österreich um der Beute Schlesien willen im Jahr 1740 war mehr kühnes Vabanque-Spiel als rational kalkuliert und damit das Gegenteil einer ehrlichen, aufrichtigen Politik.

Was also macht die "Größe" Friedrichs II. aus? Das ist die Kernfrage beider zufällig zeitgleichen Tagungen, die zur Vorbereitung des Jubiläumsjahrs 2012 gehören, in dem sich der Geburtstag des Königs zum 300. Mal jährt. Sie sollen, unabhängig voneinander und doch nicht zu trennen, ein realistisches Bild Friedrichs zeichnen helfen, jenseits des verbreiteten Mythos vom edlen, gerechten und selbstgenügsamen "Alten Fritz", der vor allem gütiger Erster Diener des Staates und unermüdlich tätiger Landesvater gewesen sei.

"Historische Größe" zu attestieren ist, wie meist vergessen wird, eben nicht ein uneingeschränktes Lob. Ein derartig ausgezeichneter Mensch taugt in der Regel keineswegs zum Vorbild. Für Jacob Burckhardt etwa gehörte zum "großen Individuum" eine "abnorme Willenskraft, welche magischen Zwang um sich verbreitet und alle Elemente der Macht und Herrschaft an sich zieht und unterwirft". Man kann derlei für bewundernswert oder verabscheuungswürdig halten - einem modernen Gesellschaftsbild entspricht es auf keinen Fall.

Jede moralische Rechtfertigung sprach gar Thomas Mann Friedrich II. ab: "Sein Recht war das Recht der aufsteigenden Macht, ein problematisches, noch illegitimes, noch unerhärtetes Recht, das erst zu erkämpfen, zu schaffen war. Unterlag er, so war er der elendste Abenteurer, ,un fou', wie Ludwig von Frankreich gesagt hatte. Nur wenn sich durch den Erfolg herausstellte, dass er der Beauftragte des Schicksals war, nur dann war er wirklich im Recht und immer im Recht gewesen." Erst durch das unwahrscheinliche Bestehen Preußens im Siebenjährigen Krieg gegen halb Europa erwies sich also, dass er "eines großen Volkes Erdensendung" erfüllt habe.

Gleichzeitig steht die persönliche Brillanz Friedrichs außer Frage. Sein Biograf Johannes Kunisch stellt zu Recht fest: "Unter den Herrschern seiner Zeit und unter den Preußenkönigen hat es keinen gegeben, der mit einer solchen Fülle außerordentlicher Talente begabt war." Friedrich war ein eigenständiger Denker, wie sein Frühwerk "Antimachiavell" belegt, ein Musikmensch, der selbst komponierte, und ein literarisch ambitionierter Korrespondent, außerdem ein exzellenter Stratege und zu Pragmatismus fähiger Staatsmann.

Diese Vielfalt macht das Urteil über Friedrich so schwierig. Ein "Königtum der Widersprüche" nannte der Kölner Historiker Theodor Schieder 1983 seine große Friedrich-Biografie. Er attestierte darin die "Undurchdringlichkeit seines Charakters" und unternahm dennoch den Versuch, sich dem Preußenherrscher anzunähern: "Der Fürst der Aufklärung und der offenherzige Bekenner reiner Machtpolitik stehen sich wie zwei völlig unvereinbare Größen gegenüber, die nicht miteinander identisch sind. Diese Unvereinbarkeit und das Dilemma, das sie unablässig herstellte, ist das Grundproblem der Persönlichkeit Friedrichs."

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Viele Mythen haben sich wie Patina abgelagert auf dem Bild des Königs in den mehr als zweieinhalb Jahrhunderten der Friedrich-Rezeption. Doch entsprach der König weder dem Bild des harten, aber gerechten Landesvaters noch dem des militärischen Genies, als das Goebbels und Hitler ihn missbrauchten. Er war, aller Weisheit und Bildung zum Trotz, kein "Philosoph auf dem Thron", wie ihn sich einst Platon und mit Blick auf Friedrich sein Brieffreund Voltaire erträumt hatten, und ist vor allem heute kein Maßstab politischen Handelns für Gegenwart und Zukunft.

Drei Jahrzehnte sind vergangen seit der jüngsten und immer noch fortwirkenden Friedrich-Renaissance, als selbst Erich Honeckers SED-Diktatur ihre "Verbundenheit" mit dem Preußenkönig entdeckte und in der "Hauptstadt der DDR" Ost-Berlin durch wieder aufgestellte Standbilder zu dokumentieren suchte. Parallel zu dieser Rückbesinnung fand in der Bundesrepublik eine Wiederkehr des Biografischen statt, nachdem die Geschichtswissenschaft den Irrweg hin zur historischen Sozialwissenschaft abgeschüttelt hatte.

Auf diesem Fundament können die Vorbereitungen für 2012 aufbauen. Die beiden Tagungen in Potsdam und am Comer See signalisieren zwei Richtungen, in die das geläufige Friedrich-Bild erweitert werden sollte: Die SPSG interessiert unter dem allerdings etwas unglücklich gewählten Schlagwort "Friederisiko" der Hang zur Verwegenheit beim Preußenkönig, der seine Herrschaft mehr als einmal an den Rand des Abgrundes führte. Friedrich agierte politisch eben gerade nicht nachhaltig, nicht auf die Zukunft gerichtet, sondern ganz im Hier und Jetzt. Der Fortgang seiner Dynastie interessierte ihn kaum, sehr dagegen der eigene Nachruhm: "Seine große Leistung, und dafür ist er in meinen Augen auch der Große, ist, dass er es wie kein anderer geschafft hat, das Bild, das sich die Nachwelt von ihm gemacht hat, selbst zu bestimmen", sagt der SPSG-Historiker Jürgen Luh.

Die von dem Berliner Historiker Bernd Sösemann und dem Villa-Vigoni-Chef Gregor Vogt-Spira geleitete Tagung in Oberitalien konzentriert sich dagegen einerseits auf gängige Friedrich-Bilder und unternimmt es, ihre Entstehung zu analysieren. Andererseits interessiert die Wissenschaftler auf den insgesamt drei bis 2012 geplanten großen Tagungen der Preußenkönig im europäischen Vergleich. Das ist eine Perspektive, die in der ansonsten ausufernden Literatur über Friedrich II. bisher nur relativ schwach vertreten ist.

An Friedrichs Attribut "der Große" kratzen die zwei Tagungen nicht. Aber beide dürften das gängige Verständnis dieser Auszeichnung in Frage. Das populäre Bild des "Alten Fritz" werden sie nicht zerstören; das wäre auch gar nicht in ihrem Interesse, denn das Geschichtsbewusstsein profitiert von Jubiläen wie dem 300. Geburtstag des "großen" Friedrich. Aber sie wollen vermeintliche Gewissheiten erschüttern, und sei es nur die Mär vom "Vater des Kartoffelanbaus", wie SPSG-Generaldirektor Hartmut Dorgerloh sagt: "Ich fände es schon einen Fortschritt, wenn nicht mehr ganz so viele Besucher ausgerechnet Kartoffeln auf Friedrichs Grab legen würden."

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