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Deutscher Herbst Politischer Mord 1991

„Rohwedder war das einzige plausible Anschlagsziel der RAF“

Treuhand-Präsident Detlev Karsten Rohwedder wollte 1991 ein ruhiges Osterfest in Düsseldorf verbringen, bevor er nach Berlin zurückfuhr. Doch Linksterroristen erschossen ihn am 1. April aus 63 Meter Entfernung. Ein Ermittler erinnert sich.
Leitender Redakteur Geschichte
Die Leiche von Detlev Karsten Rohwedder wird am 2.4.1991 aus seinem Haus zu einem Leichenwagen getragen. Der Vorsitzende der Berliner Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, war am 1.4.1991 in seinem Haus in Düsseldorf erschossen worden. Seine Frau Hergard wurde bei dem Anschlag verletzt. Die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich zu dem Anschlag. Die Leiche von Detlev Karsten Rohwedder wird am 2.4.1991 aus seinem Haus zu einem Leichenwagen getragen. Der Vorsitzende der Berliner Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, war am 1.4.1991 in seinem Haus in Düsseldorf erschossen worden. Seine Frau Hergard wurde bei dem Anschlag verletzt. Die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich zu dem Anschlag.
Die Leiche von Detlev Karsten Rohwedder wird aus seinem Haus zu einem Leichenwagen getragen
Quelle: picture-alliance/ dpa

Über dem Rhein hängt Nieselregen. Knapp zehn Grad zeigen die Thermometer am Abend des Ostermontags 1991 in Oberkassel, dem eleganten Stadtviertel von Düsseldorf am linken Ufer des Stroms. Es ist kurz nach 23.30 Uhr, als sich im ersten Stock des Hauses Kaiser-Friedrich-Ring 71 ein Mann vom Schreibtisch seines Arbeitszimmers erhebt, um zu Bett zu gehen. Den Rücken wendet Detlev Karsten Rohwedder dem Fenster zu; das Zimmer ist hell erleuchtet. In diesem Moment knallt es, und der hoch aufgeschossene Mann bricht getroffen zusammen.

Noch zwei Schüsse folgen; der eine trifft Rohwedders Frau Hergard in den Arm, der dritte schlägt in ein Regal im Arbeitszimmer ein. Obwohl der Notarzt schon wenige Minuten später vor Ort ist, kommt jede Hilfe zu spät: Der 58-jährige Manager und Präsident der Treuhandanstalt in Berlin stirbt noch am Tatort. Seine gleichaltrige Gattin ist so schwer verletzt, dass die Ärzte nur knapp die Amputation ihres Armes vermeiden können.

Detlev Karsten Rohwedder , Vorstandsvorsitzender Treuhand AG. Pressekonferenz der Treuhandanstalt im Februar 1991
Detlev Karsten Rohwedder (1932–1991), Vorstandsvorsitzender Treuhand AG
Quelle: picture alliance /

Der Mord an Detlev Karsten Rohwedder war, wie man im Rückblick weiß, das letzte Attentat der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) auf eine Person, die Staat oder Gesellschaft repräsentierte: Er wurde das 36. Opfer des Amoklaufs gegen den Rechtsstaat, auf dem deutsche Linksextremisten zwischen 1970 und 1991 waren (zwei Jahre nach Rohwedder starb der GSG-9-Beamte Michael Newrzella beim gescheiterten Versuch, den RAF-Terroristen Wolfgang Grams festzunehmen).

Sehr rasch fanden die Ermittler die Stelle, von der aus die drei Schüsse abgegeben worden waren: In einem Schrebergarten in der Rheinaue stand, 63 Meter vom Arbeitszimmer Rohwedders entfernt, ein Camping-Klappstuhl, daneben lagen drei Patronenhülsen im Nato-Standard-Kaliber 7,62 × 51 Millimeter, außerdem ein einzelnes Haar und – in einer Plastikhülle – ein 13 Zeilen kurzes getipptes Schreiben mit dem RAF-Symbol.

ARCHIV - Blick auf die Einschusslöcher in dem Fenster, durch das der Vorsitzende der Berliner Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, erschossen wurde (Archivfoto vom 02.04.1991). Rohwedder, wurde am 1. April 1991 in seinem Haus in Düsseldorf erschossen. Die terroristische «Rote Armee Fraktion» (RAF) hat mit «gezielt tödlichen Aktionen» führende «Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat» ermordet. Auch 30 Jahre nach dem Terrorjahr 1977 ist in vielen Fällen nicht geklärt, wer den Finger am Abzug hatte oder die Bomben zündete. So fehlt immer noch jede Spur von dem Scharfschützen, der Rohwedder in Düsseldorf tödlich traf. Haar-Analysen brachten den 1993 in Bad Kleinen erschossenen Wolfgang Grams mit der Tat in Verbindung. Foto: Hartmut Reeh dpa (zu dpa 4152 vom 23.04.2007) +++ dpa-Bildfunk +++
Die Einschusslöcher im Fenster von Rohwedders Arbeitszimmer
Quelle: picture-alliance/ dpa

Darin hieß es unter anderem: „Wer nicht kämpft, stirbt auf Raten. Freiheit ist nur möglich im Kampf um Befreiung. Gegen den Sprung der imperialistischen Bestie im Aufbruch revolutionärer Gegenmacht.“ Unterzeichnet ist das Schreiben mit „Rote Armee Fraktion Kommando Ulrich Wessel“, dem Namen eines RAF-Terroristen, der sich selbst bei der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm 1975 in die Luft gesprengt hatte.

„Das Bekennerschreiben der RAF war authentisch“, ist der Kriminalbeamte Rainer Hofmeyer auch drei Jahrzehnte später noch überzeugt. 1991 liefen bei dem damaligen Leiter der Terrorismusbekämpfung im Bundeskriminalamt (BKA) alle Informationen zusammen – nach dem Attentat und auch schon davor. Das BKA war nach dem Mord an Rohwedder vom Generalbundesanwalt mit den Ermittlungen beauftragt worden.

Außenansicht des Rohwedder-Hauses in Düsseldorf-Oberkassel, aufgenommen am 2.4.1991. Der Vorsitzende der Berliner Treuhandanstalt, Detlev Carsten Rohwedder, war am Abend des 1.4.1991 in seinem Haus erschossen worden. Seine Frau Hergard wurde bei dem Anschlag verletzt. Die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich zu dem Anschlag. Ein Täter wurde bis heute nicht gefunden.
Durch das rechte Fenster im ersten Stock wird Rohwedder erschossen
Quelle: picture-alliance / dpa

Zwei Fragen treiben den heute 73-jährigen Polizeipensionär immer noch um: Warum konnte der Anschlag am 1. April 1991 trotz aller Prognosen und Warnungen nicht verhindert werden? Und weshalb halten sich bis heute wilde Verschwörungstheorien über dieses Attentat?

„Das BKA hat das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen massiv auf die herausragende Gefährdung von Rohwedder hingewiesen“, erinnert sich Hofmeyer. Der Leiter des Staatsschutzes des LKA Düsseldorf sei in einem „eigens angesetzten intensiven Gespräch auf die Gefahrenlage“ aufmerksam gemacht worden.

Auf einer Sitzung der Bund-Länder-Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung bestand Einigkeit darüber, dass der Treuhand-Präsident eine „K106-Person“ sei: „Dies entsprach der konkreten Gefahr eines Anschlages durch die RAF.“ Doch für die Bewertung der Gefahr und die Schutzmaßnahmen war allein die Düsseldorfer Polizei zuständig, nicht das BKA.

Während der Rekonstruktion des Attentats am 3. April 1991 hält ein BKA-Beamter ein baugleiches Modell der Tatwaffe in Händen. Der Vorsitzende der Berliner Treuhandanstalt (seit 29. Juni 1990) Detlev Carsten Rohwedder wurde am 1. April 1991 in seinem Haus in Düsseldorf erschossen. Seine Ehefrau Hergard wurde bei dem Anschlag verletzt. Die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich zu dem Anschlag.
Ein BKA-Beamter mit einem baugleichen Modell der Tatwaffe
Quelle: picture-alliance / dpa
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Rückblickend erklärt Hofmeyer: „Rohwedder war nach der Wende und dem Zusammenbruch des Ostblocks das einzige plausible Anschlagsziel der RAF. Sie wollte mit diesem Attentat eine zweite Revolution in der ehemaligen DDR auslösen. Viele Menschen dort waren höchst aufgebracht über die wirtschaftlichen und persönlichen Folgen der Auflösung der volkseigenen Betriebe – und sie hatten gerade eine erfolgreiche Revolution hinter sich.“

Außerdem gab es im Vorfeld Vorkommnisse, die zumindest für erhöhte Aufmerksamkeit hätten sorgen müssen. So erinnerte sich Hergard Rohwedder, es sei in den Wochen vor dem tödlichen Schuss „nachts angerufen“ worden, „um zwei, drei Uhr“. Ferner klingelte es manchmal nachts am Düsseldorfer Haus, während ihr Mann wie meist von Montag bis Freitag in Berlin war.

Als er am Gründonnerstag 1991 nach Hause kam, um ein ruhiges Osterwochenende zu genießen, sprach Hergard die beiden Personenschützer auf ihre Sorgen an: „Da ist Bewegung, das macht mich misstrauisch.“ Doch die beiden Beamten reagierten nur cool: „Ja, was erwarten Sie denn? Sollen wir vielleicht auf dem Rhein mit einem Schiff hin- und herfahren?“

Am Ostersonntag sahen die Rohwedders sogar auf dem Parkplatz vor einer Rechtsanwaltskanzlei direkt neben ihrem Haus ein fremdes Auto, in dem ein junges Paar saß. „Ich wollte hingehen, aber mein Mann sagte: ,Komm, lass es, was soll’s, wir gehen rein!‘ Das müssen die Attentäter gewesen sein!“, berichtete Hergard Rohwedder 2018 in einem Interview: „Ich hätte zumindest die Autonummer aufschreiben können. Das werfe ich mir wirklich vor.“

Wären die Täter gefasst worden, so gäbe es heute vielleicht nicht so viele abstruse Verschwörungstheorien ausgerechnet über dieses Attentat. Obwohl die Echtheit des ersten, kurzen wie auch des drei Tage später verschickten zweiten, längeren Bekennerschreibens unter Experten völlig unstrittig ist, kursieren wilde Spekulation. Der US-Streamingdienst Netflix verbreitete in einem technisch exzellent gemachten Vierteiler im Herbst 2020 neben der zutreffenden Täterschaft der RAF gleich drei weitere Versionen. Demnach sollen entweder ehemalige Stasi-Scharfschützen, frustrierte andere frühere DDR-Bürger oder sogar westliche Geheimagenten Rohwedder ermordet haben.

Dabei bestand nie ein begründeter Zweifel an der Täterschaft der RAF – die Indizienkette war dicht: Die Bekennerschreiben, das zeigten Untersuchungen der Papierexperten, stimmten erstens mit denen früherer RAF-Schreiben bis ins Detail überein, unter anderem hinsichtlich des aufgedruckten Symbols der Terrorgruppe, einer Maschinenpistole in einem fünfzackigen Stern. Und der Inhalt war unzweifelhaft RAF-Diktion mit allen politischen „Begründungen“ dieser Gruppe.

Kriminalbeamte rekonstruieren am 3. April 1991 von einem Schrebergarten aus, von dem aus die Attentäter die drei Schüsse abgefeuert hatten, mit einem Lasergerät das tödliche Attentat. Der Vorsitzende der Berliner Treuhandanstalt (seit 29. Juni 1990) Detlev Carsten Rohwedder wurde am 1. April 1991 in seinem Haus in Düsseldorf erschossen. Seine Ehefrau Hergard wurde bei dem Anschlag verletzt. Die Rote Armee Fraktion (RAF) bekannte sich zu dem Anschlag.
Kriminalbeamte rekonstruieren am 3. April 1991 den Tathergang
Quelle: picture-alliance / dpa

Zweitens war mit einem belgischen Sturmgewehr des Typs FN FAL geschossen worden – das zeigten die Geschosse und die Patronenhülsen eindeutig. Mit genau derselben Waffe (und zwei weiteren, einer baugleichen und einer Kalaschnikow) hatten mindestens drei RAF-Terroristen sieben Wochen zuvor, am 13. Februar 1991, über den Rhein hinweg auf die US-Botschaft in Bad Godesberg bei Bonn geballert, ohne größeren Sachschaden anzurichten. Hofmeyer: „Dies war ein sogenannter militanter Anschlag der RAF, der bewusst nicht auf die Tötung von Menschen ausgerichtet war und in erster Linie ein politisches Signal gegen den US-amerikanischen Imperialismus sein sollte.“

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Schließlich konnte drittens ein in einem Handtuch am Tatort Rohwedder gesichertes Haar zwar noch nicht 1991, wohl aber acht Jahre später per fortentwickelter DNA-Analyse zweifelsfrei dem RAF-Terroristen Wolfgang Grams zugeordnet werden – der jedoch bei der versuchten Festnahme 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen Selbstmord begangen hatte. Indirekt bewies noch eine weitere, ebenfalls erst nachträglich analysierbare Spur in dieselbe Richtung: Im Fluchtwagen der Täter, die auf die US-Botschaft geschossen hatten, wurde ein Haar des RAF-Mitglieds Daniela Klette gefunden. Nach ihr wird bis heute gefahndet, inzwischen wegen mehrerer Überfälle auf Geldtransporter.

Rainer Hofmeyer ist sich sicher: „Die RAF war personell und von der Bewaffnung in der Lage, den Anschlag auf Herrn Rohwedder selbst durchzuführen.“ Irgendwelche Indizien, die dagegen gesprochen hätten, gab es nie. Doch von derlei Expertise lassen sich Verschwörungstheoretiker natürlich nicht beeindrucken.

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