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Medien Journalist Leyendecker belastet

„Spiegel“ gesteht „journalistische Fehler“ bei Titelgeschichte zu Bad Kleinen ein

ARCHIV - 17.04.2019, Nordrhein-Westfalen, Leichlingen: Der Journalist und Kirchentagspräsident Hans Leyendecker spricht bei einem Interview. (zu dpa: "Vor Kirchentag: Heilige Yogamatte statt Religion?" vom 14.06.2019) Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit ARCHIV - 17.04.2019, Nordrhein-Westfalen, Leichlingen: Der Journalist und Kirchentagspräsident Hans Leyendecker spricht bei einem Interview. (zu dpa: "Vor Kirchentag: Heilige Yogamatte statt Religion?" vom 14.06.2019) Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit
Hans Leyendecker
Quelle: picture alliance/dpa
Vor 27 Jahren erscheint im „Spiegel“ eine Titelgeschichte zu einem pannenreichen Polizeieinsatz gegen die RAF. In der Folge trat der damalige Innenminister zurück. Jetzt gesteht das Magazin Fehler ein. Der Vorgang erinnert an den Fall Relotius.

Mit einer vor rund 27 Jahren erschienenen Titelgeschichte zu einem GSG-9-Einsatz gegen die terroristische Rote-Armee-Fraktion (RAF) in Bad Kleinen hat der „Spiegel“ aus Sicht einer Aufklärungskommission einen Fehler gemacht.

Im Abschlussbericht, den das Nachrichtenmagazin am Donnerstag auf seiner Website veröffentlichte, heißt es: „Nach vielen Gesprächen mit damals Beteiligten – innerhalb und außerhalb der Redaktion – ist die Kommission zu der Überzeugung gelangt, dass der ‚Spiegel‘ mit der Berichterstattung über die Abläufe in Bad Kleinen auf Basis einer mangelhaft geprüften und falschen Aussage einen journalistischen Fehler begangen hat.“

Der Autor der damaligen Titelgeschichte „Der Todesschuss“ („Spiegel“ 27/1993), Hans Leyendecker, bezeichnete den Abschlussbericht als „unredlich und unseriös“.

In dem Artikel geht es um den pannenreichen Einsatz der Elite-Polizisten 1993 in der Kleinstadt Bad Kleinen in Mecklenburg-Vorpommern zur Festnahme von zwei RAF-Mitgliedern. Terrorist Wolfgang Grams sowie ein GSG-9-Beamter starben. Grams hatte sich laut einem Gutachten selbst umgebracht.

Anonyme Quelle will Erschießung gesehen haben

Allerdings gab es Gerüchte, dass das RAF-Mitglied hingerichtet worden sei, und auch Medienberichte wie den „Spiegel“-Artikel zu dieser Frage. In die Titelgeschichte floss als Quelle auch ein anonymer Zeuge ein, der laut Artikel gesehen haben wollte, wie ein Polizist Grams erschoss.

In der Folge trat der damalige Innenminister Rudolf Seiters (CDU) zurück, Generalbundesanwalt Alexander von Stahl wurde in den einstweiligen Ruhestand geschickt. Im Nachgang zu der Geschichte kamen jedoch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Quelle auf – und daran, ob Leyendecker auch eine zweite Quelle für die These hatte.

Nach dem Tod von Wolfgang Grams suchen Polizisten auf den Gleisen des Bahnhofs von Bad Kleinen nach Spuren
Nach dem Tod von Wolfgang Grams suchten Polizisten auf den Gleisen des Bahnhofs von Bad Kleinen nach Spuren
Quelle: picture-alliance / dpa

Die vom „Spiegel“ beauftragte Kommission schreibt, dass es eine Quelle gegeben habe – zumindest eine anonyme –, laut Leyendecker ein Bundesbeamter. Zugleich wird an anderer Stelle im Bericht kritisiert: „Die redaktionellen Kontrollen und die Überprüfung durch die Dokumentation haben versagt; das Justiziariat hat zwar Unstimmigkeiten bemerkt, aber nicht Alarm geschlagen.“

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„Offenbar erschwerte es der exponierte Status, den sich Leyendecker in der Redaktion durch herausragende investigative Recherchen erarbeitet hatte, in diesem Fall Zweifel zu äußern“, konstatiert die Kommission weiter.

Der Fehler sei aber nicht nur Leyendecker anzulasten. Ganz zum Schluss des Berichts heißt es: „Die Verantwortung dafür, eine nicht überprüfte, widersprüchliche Aussage dieser Tragweite zu einer Titelgeschichte zu machen, trug allerdings die Chefredaktion.“

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Leyendecker, der heute für die „Süddeutsche Zeitung“ arbeitet und zu den profiliertesten Journalisten im investigativen Bereich zählt, teilte der Deutschen Presse-Agentur mit: „Dass der „Spiegel“ den Quellenschutz im Grunde nicht respektiert, ist für jemanden, der fast 20 Jahre für dieses wichtige Blatt gearbeitet hat, nicht nachzuvollziehen. Die Frage der Kommission, ob ich einen Kontakt zu der damaligen Quelle herstellen könne, war eine Bankrotterklärung der heutigen ‚Spiegel‘-Macher.“

„Das war mein Fehler“

Leyendecker betonte auch: „Seit 27 Jahren entschuldige ich mich dafür, dass ich 1993 die Glaubwürdigkeit einer Quelle falsch eingeschätzt habe. Das war mein Fehler. Aber natürlich gab es diese Quelle.“ Dass der „Spiegel“ nun hingehe und der damaligen „Spiegel“-Chefredaktion Fehler in der Sache vorwerfe, sei absurd: „Die damalige Chefredaktion hat alles Notwendige gemacht. Mit dieser Art Berichterstattung schadet der ‚Spiegel‘ der notwendigen Diskussion über Fehler im Journalismus.“

Der ganze Vorfall in Bad Kleinen samt den Gerüchten dazu hatte die damalige Bundesregierung und die Sicherheitsbehörden in eine Krise gestürzt. Es gab personelle Konsequenzen. Der damalige Generalbundesanwalt von Stahl musste seinen Posten räumen. Auch Bundesinnenminister Seiters trat ab. Nach „Spiegel“-Angaben meldete sich von Stahl 25 Jahre nach Erscheinen des Artikels – das sei der Ausgangspunkt für die Überprüfung gewesen.

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Medienjournalist Stefan Niggemeier kritisierte den Abschlussbericht der Kommission als „schwer leserlich“. „Offenbar war niemand involviert, der weiß, wie man einen so komplexen Sachverhalt mit widersprüchlichen Aussagen aufschreibt, ohne Schilderungen und Zitate dauernd zu wiederholen und den Leser vollends zu verwirren“, bemängelte er.

Die Aufklärungskommission, die mittlerweile von einer Ombudsstelle abgelöst wurde, hatte auch den Fälschungsskandal um Claas Relotius aufgearbeitet. Den Skandal hatte das Magazin im Dezember 2018 selbst öffentlich gemacht. Der Reporter Relotius hatte in „Spiegel“-Artikeln immer wieder Szenen, Gespräche und Ereignisse erfunden. Die Ombudsstelle ist eine Folge aus dem Skandal gewesen. Sie ist dafür gedacht, unparteiisch auf Strittiges einzugehen.

dpa/jmi

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