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Bosnien-Herzegowina: Auf dem Balkan wächst die Zahl der Flüchtlinge - WELT
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Ausland Bosnien-Herzegowina

Auf dem Balkan wächst die Zahl der Flüchtlinge

Wieder mehr Flüchtlinge in den Balkanländern unterwegs

Immer mehr Flüchtlinge campieren derzeit in Sarajevo. Bosnien-Herzegowina zählt wieder deutlich mehr Flüchtlinge. Obwohl die Balkanroute seit zwei Jahren offiziell als geschlossen gilt.

Quelle: WELT/Kevin Knauer

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Migranten campieren plötzlich in Sarajevo. Bosnien-Herzegowina fühlt sich überfordert. Nach vier Monaten sind es schon mehr Flüchtlinge als im gesamten vergangenen Jahr. Von einer neuen Balkanroute ist die Rede.

Sie kamen über Nacht – wie aus dem Nichts. Hunderte Migranten, die plötzlich in einem kleinen Park in Sarajevo campierten. Dutzende Zelte hatten sie vor der mondänen Nationalbibliothek aufgeschlagen. An einem Ort, an dem sonst Touristen flanieren.

Kinder, Frauen, Männer – mit wenig mehr außer ein paar Decken. Die Einheimischen in Bosnien-Herzegowinas Hauptstadt waren betroffen, sie brachten den Menschen Essen und ein wenig Kleidung.

Offiziell wurde die Balkanroute im März 2016 geschlossen. Der damalige österreichische Außenminister und heutige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) feierte seinen Erfolg, auf den er wochenlang mit den Balkanstaaten hingearbeitet hatte. Doch das ist Geschichte.

Seit Jahresbeginn kommen die Migranten wieder vermehrt über den Landweg in die EU. Es ist von einer neuen Balkanroute die Rede. In den ersten vier Monaten des Jahres hat Bosnien-Herzegowina schon so viele Flüchtlinge aufgenommen wie im gesamten Vorjahr. Das Sicherheitsministerium spricht von 2200, andere Medien gar von 5000.

Mitte Mai campierten Flüchtlinge schließlich sogar in Sarajevo, zu sehen sind Bilder wie im Herbst 2015. „Sie kommen von allen Seiten“, schrieb „Dnevni Avaz“, eine der populärsten Tageszeitungen in Bosnien-Herzegowina, vor zehn Tagen.

Quelle: Infografik WELT

Der Balkanstaat ist ratlos. Und überfordert. Im Land gibt es nur eine einzige Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, sie kann 150 Menschen versorgen. Der stellvertretende Sicherheitsminister Marijan Baotic klagt über seine chronisch unterbesetzte Grenzpolizei.

Beamte an der Grenze zu Montenegro erzählen in einer Reportage in „Dnevni Avaz“ davon, dass sie zu wenig Kapazitäten hätten, um die 140 Kilometer lange Zone mit viel Wald abzudecken. Zudem kommen sie nicht überall hin, weil noch Minen aus dem Bürgerkrieg in dem Gebiet lägen. Hinzu komme, dass sich die Migranten vor allem nachts bewegen würden.

Für 100 Euro, so berichtet es eine Pakistanerin, bringen Taxifahrer die Migranten dann von der Grenze nach Sarajevo. „Das sind keine Kriegsflüchtlinge, sondern vor allem Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen“, sagt Slobodan Ujic, verantwortlich für Migration in Bosnien-Herzegowina.

Ein neuer Weg hinein in die EU

Auch durch die Schließung der Balkanroute sank die Zahl der Migranten in Deutschland von 890.000 im Jahr 2015 auf 280.000 ein Jahr später. Beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Sarajevo geht man davon aus, dass die meisten der Neuankömmlinge in Bosnien weiterziehen möchten, über Kroatien in Richtung Westeuropa.

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Bosnien-Herzegowina ist unvorbereitet, auch weil das Land 2015 abseits der Balkanroute lag. Allein in den vergangenen drei Wochen kamen rund 1200 Migranten an, so Peter Van der Auweraert, Leiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Bosnien. Er warnt vor einer neuen humanitären Krise. Hilfsorganisationen teilten Reis aus. Es seien vor allem Iraner und Nordafrikaner, die in den vergangenen Wochen nach Bosnien gekommen seien. Sicherheitsminister Dragan Mektic meldete im Mai zwischen 80 und 150 Neuzugänge pro Tag.

Migranten in einem Park inmitten Sarajevos, gegenüber der Nationalbibliothek am 14. Mai 2018
Migranten in einem Park inmitten Sarajevos gegenüber der Nationalbibliothek am 14. Mai 2018
Quelle: AFP/Getty Images/ELVIS BARUKCIC
sarajevo migrants
Die Behörden versuchten, die Migranten woanders unterzubringen
Quelle: AFP/Getty Images/ELVIS BARUKCIC

Entsetzt zeigte sich Dunja Mijatovic, Menschenrechtskommissarin des Europarats, in einem Brief an die Regierung, dass viele Flüchtlinge, vor allem Familien mit Kindern, unter freiem Himmel schlafen müssten und nicht ausreichend mit Nahrung versorgt seien. Ministerpräsident Denis Zvizdic forderte daraufhin Mitte Mai Hilfe, technische und „insbesondere finanzielle“ – von den Vereinten Nationen und Europa.

Denn die Flüchtlinge sind nicht nur in Sarajevo. Nahe der Grenze zu Kroatien, in Bihac, sitzen Migranten in einem zerstörten Universitätscampus. Etwas weiter, ebenfalls direkt an der Grenze, in Velika Kladusa, wurde ein weiteres improvisiertes Lager in einem Park eingerichtet.

Zugleich präsentierte der Ministerpräsident einen Notfallplan. Unter anderem werden mehr Polizisten eingestellt, um die Grenzen zu sichern. „Alle, die von Serbien oder Montenegro nicht an offiziellen Übergängen über die Grenze kommen, werden gestoppt und zurückgebracht“, sagte er. Wer über die Grenzübergänge komme, werde registriert und erhalte einen Platz in einem Flüchtlingsheim.

„Werden uns gegen die Invasion verteidigen“

Einer der Gründe, warum das Land zum neuen Hotspot geworden ist, ist auch, dass von Kroatien immer mehr Flüchtlinge, die einmal über die Grenze kamen, zurückgebracht werden. Zudem suchen Migranten und Schleuser über Montenegro und Albanien nach neuen Wegen Richtung Westeuropa.

In Bosnien-Herzegowina, in dem die Hälfte der Einwohner muslimisch ist und das mit ethnischen Konflikten kämpft, sind die Flüchtlinge wenig willkommen. „Wir werden einen Weg finden, uns gegen diese Invasion zu verteidigen“, kündigte gar Milorad Dodik, Präsident der Teilrepublik Srpska, an.

Am vergangenem Freitag wurde das Camp in Sarajevo von den Behörden aufgelöst. Die Menschen, es sollen rund 250 gewesen sein, wurden mit Bussen abtransportiert. Danach herrschte erst einmal Chaos, denn lokale Verantwortliche ließen die Busse nicht in ihren Bezirk Herzegowina-Neretva einfahren.

Polizisten lösen das Camp in Sarajevo auf
Polizisten lösen das Camp in Sarajevo auf
Quelle: AFP/Getty Images/ELVIS BARUKCIC
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Stundenlang sollen die Busse mit den Migranten an der Straße gewartet haben, berichtet das in Bosnien-Herzegowina meistbesuchte Webportal „klix.ba“. Die Polizei musste anrücken.

Auf der anschließenden Pressekonferenz kündigte Sicherheitsminister Mektic an, die Verantwortlichen strafrechtlich zu Rechenschaft ziehen zu wollen. Er sprach dabei auch von einer neuen „Flüchtlingskrise“. Am Ende wurden die Migranten vorerst in einer temporären Unterkunft in der Nähe von Mostar untergebracht.

Ob in Zukunft weiterhin Flüchtlinge kommen, hängt auch davon ab, wie erfolgreich die Polizei gegen Menschenhändler vorgeht. Fast täglich nimmt die griechische Polizei Schleuser fest, die Flüchtlingen versprechen, sie mit Minibussen und in Lastwagen über Albanien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina nach Mitteleuropa zu bringen. Die westgriechischen Häfen von Patras und Igoumenitsa gelten als die Drehscheiben für diese Route.

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