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Maxeiner und Miersch: Standpunkte. Thema Äußerlichkeiten
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Wortmarke Maxeiner und Miersch

Standpunkte

Äußerlichkeiten

Hintergrund:
Es wird immer schwierige von den modischen Vorlieben eines Menschen auf die politische Gesinnung zu schließen.

 

Kleiderordnung

von Dirk Maxeiner und Michael Miersch

Einkaufen mit Heranwachsenden hält jung und ist lehrreich. Ein zwölfjähriger Zahnspangenträger besteht auf Schuhe, deren Farbe man als Rentner-Grau bezeichnen würde. Gilt als cool. Spätestens jetzt wird einem blitzartig klar: Das eigene Modebewusstsein ist ins Rentenalter gekommen.

Der Anblick flanierender Studenten auf der Schwabinger Leopoldstrasse gibt Rätsel auf. Was ist veraltet, was ist retro? Ist der Anzug dieses jungen Mannes angepasst streberhaft, oder ironisch rebellisch? Hat jene junge Frau den Geschmack an der Garderobe abgegeben, oder wurde ihr Outfit als provokative "White-Trash"- Pointe sorgfältig inszeniert? Fragen über Fragen. Manchmal braucht man keine Zeitmaschine, da reicht das eigene Leben um aus der Vergangenheit zu kommen. Den Überblick über die hoch differenzierte Welt der Jugendkulturen haben wir schon lange verloren. Nur noch Ethnologen können die verschiedenen Stämme sicher unterscheiden.

Wie beruhigend, wenn man im Dschungel der neuen Unübersichtlichkeit mal wieder auf gewohnte Kleiderordnungen stößt. Diesen Gefallen tat uns eine Wahlkampfbroschüre der grünen Bundestagsfraktion. Sie zeigt ein Kind, dem der Vater zärtlich die Hand auf die Mütze legt. Von dem Erwachsenen ist außer der Hand nur ein Stück der Beine zu sehen. Und mit was sind diese Beine bekleidet? Nein, nicht mit dem italienischen Tuch, das zur Uniform grüner Funktionsträger wurde, sondern mit Breitcordhosen, Wollsocken und - wirklich wahr - Holzschuhen! Was wollen uns die Grünen damit sagen? Die Welt ist so kompliziert geworden, wir wollen zurück in unsere alte Landkommune? Oder: Okay wir sehen aus, wie gewiefte, karrieregeile Opportunisten und handeln auch so, aber unsere Seele ist immer noch rein und aus naturbelassener Wolle. Wir werden es nicht erfahren.

Ähnlich altbacken wie die Grünen-Broschüre wirkte kürzlich die bunte Beilage einer überregionalen Zeitung. Da wurden "die neuen Konservativen" vorgestellt. Und wie sahen sie aus? Wie die Popper der frühen Achtziger. Händchen haltend stehen sie vor einem dieser gediegenen, säulengestützten Portale, mit denen man in Hamburg Pöseldorf oder am Londoner Sloan Square gern die Haustür umrahmt. Sie im biederen Kostümchen und er in Golfclub-Look so ziemlich alle Vorstellungen erfüllend, die ein bei Verdi organisierter Redakteur so über "die neuen Konservativen" hegt.

Draußen im Leben sind solche Klischees kaum noch zu finden. Manchmal, wenn wir auf ein Podium geladen werden, schließen wir untereinander gern Wetten ab, wer aus dem Publikum in der Diskussion wohl welches Argument vorbringen wird. Als beste Gewinnstrategie hat sich erwiesen, die Kleiderordnung der siebziger und achtziger Jahre einfach umzudrehen. Öko-fundamentalistische Weltuntergangstiraden kommen häufig von Herren mittleren Alters in Anzug, gestreiftem Hemd und Krawatte. Sie arbeiten in der Regel bei Banken oder Werbeagenturen, wo ihnen die Fratze des Kapitalismus tagtäglich entgegen grimmt. Die Gegenposition wird dagegen nicht selten von Frauen vorgetragen, die eigentlich dem Klischee der Ökobäuerin aus Vorabendserien entsprechen.

In lebhafter Erinnerung ist uns die Begegnung mit einem indischen Intellektuellen, der für seine liberalen, antibürokratischen Schriften einen Preis von Margaret Thatcher erhielt. Am Ort unserer Verabredung hielten wir nach dunkelhäutigen jungen Männern in Nadelstreifen Ausschau. Doch dann kam ein langhaariger Nickelbrillenträger in abgewetzter Cordjacke auf uns zu. Solche Insignien des akademischen Rebellen waren lange Zeit ein Monopol der Linken. Schön, dass auch diese Kleiderordnung wankt.

 

 

Erschienen in Die Welt vom 17.08.2005